CDU und CSU - Neue Liebe nach dem Brexit-Schock

Nach der Volksabstimmung in Großbritannien, die die EU in eine Existenzkrise gestürzt hat, bleibt Horst Seehofer nichts anderes übrig, als sich Kanzlerin Merkel unterzuordnen

dpa/ picture alliance/ Ralf Hirschberger
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Es wurde gegrillt und es wurde geredet. Ein paar ehemalige Streithähne wurden spät am Abend auch noch an der Bar gesehen. Zum Friedensgipfel hatten sich CDU und CSU am Wochenende in einem Hotel am Stadtrand von Potsdam verabredet.

Doch in Wirklichkeit hätten sich die Schwesterparteien den Friedensgipfel auch sparen können. Bundeskanzlerin Angela Merkel war mit ihren Gedanken nicht bei der CSU, sondern bei der EU. Am Samstagmorgen hatte sie es sehr eilig, sich von den nervenden Verwandten zu verabschieden, um sich den wirklich wichtigen Gesprächen über die Zukunft Europas widmen zu können.

David Cameron dient der Abschreckung

Es sah in Potsdam allerdings so aus, als habe der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer spätestens am Donnerstag nach dem Brexit-Votum der Briten seine Lektion gelernt: Mit der Macht spielt man nicht. Vielleicht wird Seehofer auch an seinen Freund David Cameron gedacht haben, den er noch im Januar als Ehrengast auf der CSU-Klausur in Wildbad Kreuth begrüßt hatte.

Ohne politische Not hatte der konservative britische Premier Großbritannien in die EU-Abstimmung getrieben und sich bei diesem innerparteilichen Machtspielchen völlig verzockt. Vor einem Jahr war Cameron der unangefochtene Sieger der britischen Parlamentswahlen. Jetzt steht er vor dem Rücktritt, seine Partei vor der Implosion und das ganze Land vor einem politischen Scherbenhaufen.

Nach dem Brexit-Schock entschied sich Horst Seehofer also, nicht länger zurückzuschauen, sondern gemeinsam mit Angela Merkel pragmatisch nach vorne.

Monatelanger Streit zwischen CDU und CSU

War da was? Es ist erst ein paar Wochen her, da schien das Verhältnis zwischen CDU und CSU völlig zerrüttet. Merkel und Seehofer hatten sich kaum noch etwas zu sagen. Die Schwesterparteien stritten erbittert über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, über Obergrenzen und Grenzschließungen. Und als die Balkanroute endlich dicht war, entzweite CDU und CSU die Frage, wer denn mit seiner Politik recht gehabt habe. Unverhohlen ging Seehofer auf Distanz zu Merkel, brachte ein eigenes Bundestagswahlprogramm heraus und vermied es, sich zu einer Kanzlerkandidatur Merkels zu bekennen. Selbst über einen vollständigen Bruch und über eine bundesweite Ausdehnung wurde in der CSU spekuliert.

Doch es hatte sich schon vor der Brexit-Abstimmung in Großbritannien herumgesprochen: Der Schwesternstreit verunsichert die Wähler der Unionsparteien insgesamt und stärkt die rechten Populisten von der AfD. Und so standen die Signale zwischen CDU und CSU bereits vor Donnerstag auf Versöhnung. Die Brexit-Entscheidung der Briten hat Seehofer dann offenbar endgültig vor Augen geführt, wie gefährlich der Flirt mit dem Populismus ist. Wie gefährlich es ist, wenn Politiker der etablierten Parteien die Elitenverachtung, aus denen sich der Erfolg von Protestparteien speist, selber anheizen.

Gefährlicher Populismus

Der Brexit war für Merkel und Seehofer somit weit mehr als ein willkommener Anlass, ihren Streit erst einmal beizulegen. Vor allem Seehofer hatte keine andere Wahl, als sich hinter die Kanzlerin zu stellen. Die Herausforderungen, vor denen die EU in den kommenden Monaten steht, sind schließlich gewaltig. Für die Staatengemeinschaft stellt sich die Existenzfrage. Da braucht Merkel uneingeschränkte innenpolitische Handlungsfähigkeit. Den Streit in der Union in einer solchen Situation weiter lodern zu lassen, wäre einem politisch unverantwortlichen Spiel mit dem Feuer gleichgekommen.

Natürlich bleibt die Kluft zwischen CDU und CSU. Die strategischen Herausforderungen sind verschieden. Die CSU kämpft in Bayern um die absolute Mehrheit; die CDU ist glücklich, wenn sie bundesweit stärkste Partei bleibt und für die Regierungsbildung mehr als eine Koalitionsoption hat. Für die CSU sind SPD, FDP und Grüne gleichermaßen politische Gegner, für die CDU sind sie potenzielle Koalitionspartner. Zudem sind Angela Merkel und Horst Seehofer völlig unterschiedliche Charaktere. Merkel ist eine nüchterne Machtmaschine, Seehofer ein politischer Spieler. Und ein solcher Streit hinterlässt Wunden, die nicht so schnell verheilen. Zumal in den vergangenen Monaten auch viele CDU-Politiker große Sympathie für Horst Seehofer und dessen Position im Flüchtlingsstreit hegten.

Aber am Ende zeigt sich angesichts der Existenzkrise der EU eben auch: Die CSU bleibt eine Regionalpartei. Sie lebt vom dosierten Krawall gegen Berlin, aber sie gefährdet die eigene Machtbasis in Bayern, wenn sie in die Hauptstadt überzieht. Würde die CSU sich tatsächlich von der CDU lossagen und bundesweit ausdehnen, wären die Konsequenzen unkalkulierbar. Die CSU müsste ihre europaweit einmalige Vormachtstellung in Bayern, die ihr seit fünf Jahrzehnten fast unterbrochen die absolute Mehrheit garantiert hat, für eine völlig ungewisse Zukunft als bürgerlich-konservative Rechtspartei aufgeben.

Das heißt: Die CSU kann bundespolitisch nerven, sie kann gegenüber der CDU sticheln, aber sie kann die Kanzlerin nicht stürzen. Das könnte nur die CDU. Und die wurde durch den Schwesternstreit in der Flüchtlingskrise gezwungen, die Reihen hinter Merkel zu schließen. Aus bundespolitischer Sicht bleibt die CSU immer nur die kleine Schwester der CDU. Und vor allem die großen internationalen Bühnen muss diese der Bundeskanzlerin überlassen, vor allem in Krisenzeiten.

Die Sonderrolle der CSU im Verhältnis zur Schwesterpartei CDU ist also Stärke und Schwäche zugleich. Und auch Horst Seehofer kennt die alte politische Regel der Parteipolitik: Solange du die Kanzlerin nicht stürzen kannst, hast du keine andere Wahl, als sie zu stützen. Vielleicht brauchte es den Grillabend in Potsdam, mit oder ohne Brexit, um den CSU-Vorsitzenden an diese Regel zu erinnern.

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