CDU Thüringen - Die Kandidatur von Hirte ist eine Ansage an die Kanzlerin

Nach seinen Glückwünschen für Thomas Kemmerich zur Wahl zum thüringischen Ministerpräsidenten entließ die Kanzlerin den Ostbeauftragten Christian Hirte. Jetzt kandidiert er für den Landesvorsitz der CDU Thüringen. Die erstaunliche Karriere eines unscheinbaren Mannes.

Anmutung eines Sparkassendirektors: Christian Hirte kandidiert für den Landesvorsitz der CDU Thüringen / dpa
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Martin Debes ist Chefreporter der Thüringer Allgemeinen.

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Neulich war Christian Hirte im Theater, das erste Mal seit Langem. „Othello!“, sagt er, mit vieldeutigem Ausrufezeichen. Die Pointe dazu lässt sich denken. Verrat, Intrigen, Machtspiele – das alles ist gerade in seiner Partei zur Genüge vorzufinden. Im Februar wurde Hirte als Ostbeauftragter der Bundesregierung und Parlamentarischer Staatssekretär entlassen. Seitdem ist er nur noch ein einfacher Bundestagsabgeordneter der CDU, der seine Facharbeit im Umwelt- und im Bauausschuss verrichtet.

Doch schon dräut die Wiederauferstehung, daheim in Thüringen. Irgendwann nach Ostern, wenn der Corona-Ausnahmezustand wieder einen Parteitag zulässt, dürfte der 43-jährige Hirte die Nachfolge des zurückgetretenen CDU-Landesvorsitzenden Mike Mohring antreten. Zusammen mit dem neuen Fraktionschef Mario Voigt soll er die Partei in die für April 2021 geplante Neuwahl führen. Wie ist das zu erklären?

Ein „funktionales Verständnis zu Ämtern“

Der Abgeordnete sitzt an einem verregneten Märztag, an dem noch niemand von Sicherheitsabstand redet, in der Cafeteria des Reichstags und gibt sich maximal gefasst. „Ich habe ein funktionales Verständnis zu Ämtern“, sagt er. „Personalentscheidungen sind selten persönlich, sondern das Ergebnis komplexer Abwägungen.“ In diesem Fall begann der Abwägungsprozess am 5. Februar. Der Staatssekretär Hirte befand sich auf Dienstreise in Tokio, als rund 9.000 Kilometer westlich der Thüringer Landtag den FDP-Landesvorsitzenden Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten wählte, mit den Stimmen der Liberalen, der CDU – und der AfD.

„Herzlichen Glückwünsch“, twitterte Hirte an Kemmerich und die Welt: „Deine Wahl als Kandidat der Mitte zeigt noch einmal, dass die Thüringer Rot-Rot-Grün abgewählt haben. Viel Erfolg für diese schwierige Aufgabe zum Wohle des Freistaats Thüringen“.

Das Problem: Angela Merkel, gerade in Südafrika unterwegs, verlautbarte das Gegenteil. Die Wahl mit Stimmen der AfD sei ein „unverzeihlicher Vorgang“, dekretierte sie. Der nächste Tweet, den Hirte am 8. Februar absetzte, lautete: „Frau Bundeskanzlerin Merkel hat mir in einem Gespräch mitgeteilt, dass ich nicht mehr Beauftragter der Bundesregierung für die Neuen Länder sein kann. Ihrer Anregung folgend, habe ich daher um meine Entlassung gebeten.“

Hirte machte sein eigenes Ding

Natürlich war da mehr als die Gratulation. Zu den Abwägungen, über die Hirte nicht mutmaßen will, gehörten der Koalitionspartner SPD, der nach dem Erfurter Eklat ein christdemokratisches Opfer auf dem Koalitionsaltar verlangte – und sein CDU-Landeschef. Obwohl es Mohring später dementieren sollte: Er hatte sich in Berlin über die angebliche Illoyalität Hirtes beschwert.

Bis dahin war es Hirte zwei Jahrzehnte lang gelungen, sich aus den Thüringer Fehden herauszuhalten. Mit Mohring, den er vom Jura-Studium in Jena kannte, kam er ebenso klar wie Voigt, als dessen Landesvize er in der Jungen Union amtiert hatte. Ansonsten machte Hirte sein eigenes Ding, wurde Rechtsanwalt und gründete im heimischen Bad Salzungen eine Familie. 2008 rückte er in den Bundestag nach, ab 2009 wurde er dreimal direkt gewählt.

Plötzlich republikweit präsent

Im Herbst 2014, als die Thüringer CDU die Macht an die erste rot-rot-grüne Koalition unter dem Linken Bodo Ramelow verlor, verhandelte Hirte als eine Art Mediator das neue Machtgefüge in der Landespartei: Er und Voigt wurden Stellvertreter des neuen Vorsitzenden Mohring – der sich wiederum später bei Merkel dafür einsetzte, dass Hirte Ostbeauftragter wurde. Plötzlich war der bis dahin kaum bekannte Abgeordnete mit der Anmutung eines Sparkassendirektors republikweit präsent.

Und er polarisierte. Erst jetzt fiel vielen Sozialdemokraten und Linken auf, dass er für einen konsequenten katholischen Konservatismus steht, wie er in der Thüringer Rhön noch existiert. Auch deshalb forderte Hirte nach der verlorenen Landtagswahl im Oktober Mohring öffentlich dazu auf, gegen Ramelow anzutreten – und ermunterte später Kemmerich zur Kandidatur.

Ansage an die Kanzlerin

Damit war der Machtkampf eröffnet. Voigt führte den Aufstand der Landtagsfraktion gegen Mohring und die Gespräche mit Ramelow, die zu dessen Wiederwahl führten. Die Strategie: die Neuwahlen weit genug nach hinten zu schieben, um die Partei unter Hirte neu aufbauen zu können. Tritt er an? Er denke darüber nach, sagt Hirte. Viele Parteimitglieder drängten ihn dazu, insbesondere nach seiner Entlassung habe er „großen Rückhalt“ erfahren. Entschieden sei aber nichts.

Ein paar Tage nach dem Treffen im Bundestag, am 17. März, teilt er dann dem Landesvorstand in Thüringen mit, dass er kandidieren will. Es ist auch eine Ansage die Frau im Kanzleramt: Den Tweet, der ihn sein Amt kostete, hat er bis zu diesem Zeitpunkt nicht gelöscht.  

Dieser Artikel ist eine Vorabveröffentlichung aus der kommenden März-Ausgabe des „Cicero“-Magazins, das Sie hier abonnieren können.

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