CDU verschiebt Parteitag - Abgekartetes Spiel gegen Merz?

Wegen steigender Infektionszahlen hat die CDU ihren Parteitag verschoben – und damit auch die Wahl eines neuen Vorsitzenden. Favorit der Basis ist derzeit Friedrich Merz. Er wirft dem Partei-Establishment vor, die Wahl zu verschleppen. Hat er Recht?

Wer führt die CDU? Die Partei hat die Wahl des neuen Vorsitzenden nochmal aufgeschoben / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

So erreichen Sie Alexander Marguier:

Anzeige

In der CDU ist jetzt wirklich Feuer unterm Dach. Mit der heutigen Entscheidung des Bundesvorstands, den für den 4. Dezember vorgesehenen Parteitag – und damit die Wahl des neuen Vorsitzenden – abzusagen, dürften die Fronten endgültig klar sein: Partei-Establishment versus Partei-Basis. Zumindest versus jenen Teil der Basis, der sich hinter Friedrich Merz versammelt hat. Mithin: die Mehrheit.

Wie CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak heute während einer Pressekonferenz mitteilte, ist wegen der sich verschärfenden Corona-Lage ein Präsenzparteitag in wenigen Wochen „nicht zulässig“, auch nicht in hybrider Form an mehreren Standorten. Über die unterschiedlichen Szenarien war am Sonntagabend noch beraten worden, offenbar auch unter Einbeziehung der bisherigen Kandidaten Friedrich Merz, Armin Laschet und Norbert Röttgen. Wobei Merz als einziger der drei auf eine Vorsitzendenwahl noch in diesem Jahr gedrängt hatte. Rechtlich wäre dies sehr wohl möglich gewesen – zwar nicht im Rahmen eines digitalen Parteitags, durchaus aber auf dem Wege der Briefwahl.

Verzögerungstaktik mit üblem Beigeschmack

Doch natürlich geht es hier nicht um juristische Feinheiten in der Parteiengesetzgebung. Und deswegen dürfte Merz mit seiner Vermutung alles andere als falsch liegen, dass die Absage des Stuttgarter Parteitags am 4. Dezember zuvorderst eine Entscheidung gegen ihn selbst ist. Denn schon längst ist völlig klar, dass die derzeitige Führungsspitze den Sauerländer (und politischen Außenseiter) verhindern will. Dafür mag es gute Gründe geben, beispielsweise besagtes Außenseitertum. Aber die jetzt gewählte Verzögerungstaktik hat einen ganz üblen Beigeschmack. Als „Partei der Verlässlichkeit“ hatte Ziemiak seine CDU soeben noch bei der Pressekonferenz gerühmt. Der Merz-Anhängerschaft dürfte das wie Hohn vorkommen.

Im Lager von Friedrich Merz befürchtet man völlig zu Recht, dass ein abermaliges Hinauszögern der Vorsitzendenwahl auf Kosten des Favoriten der Partei-Basis geht. In jedem Fall gewinnt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Laschet, der nach einer aktuellen Umfrage mit einem Zustimmungswert von 24 Prozent weit abgeschlagen hinter Merz liegt, noch einmal Zeit hinzu, um sich zu profilieren. Wie das geschehen soll, ist allerdings eine ganz andere Frage, denn Laschet hat es trotz seines Regierungsamts auch während der vergangenen Monate nicht vermocht, auch nur annähernd die parteiinternen Beliebtheitswerte von Merz zu erreichen. Ihn favorisieren 45 Prozent der Parteimitglieder.

Der Verschleiß des Kandidaten Merz 

Jetzt soll also im Dezember oder im Januar der CDU-Bundesvorstand darüber beraten, ob bei anhaltender Corona-Lage nicht doch ein digitaler Parteitag mit Briefwahl des neuen Vorsitzenden stattfinden kann. Ganz ersichtlich ist die innere Logik dieses Vorgehens allerdings nicht. Natürlich ist ein Präsenzparteitag erstrebenswert. Aber die CDU schiebt ihre ungelöste Führungsfrage eben schon monatelang vor sich her; da wäre eine zeitnahe „Distanzwahl“ also durchaus im Rahmen des Vertretbaren gewesen. Davon abgesehen erscheint es im Lichte der Ereignisse doch sehr zweifelhaft, dass jetzt ebenso verfahren worden wäre, wenn Laschet mit einer soliden Mehrheit der Delegierten hätte rechnen können.

Man muss Friedrich Merz wirklich nicht zugetan sein, um hier ein abgekartetes Spiel zu vermuten. Gut möglich sogar, dass sich CDU und CSU irgendwann auf einen gemeinsamen Kanzlerkandidaten einigen, noch bevor die Christdemokraten ihren neuen Vorsitzenden küren. Und nicht ausgeschlossen, dass da plötzlich jemand ins Spiel findet, der bisher nur als Laschets „running mate“ im Kandidatenrennen mitläuft: Jens Spahn nämlich. Er könnte am Ende als eine Art deus ex machina die politische Bühne betreten und sich der von Hahnenkämpfen ermüdeten Partei als Retter in höchster Not präsentieren. Bis es soweit ist, dürfte der Verschleiß insbesondere des Kandidaten Merz weiterbetrieben werden. Da dieser sich aber kaum freiwillig zurückziehen wird, darf man gespannt sein, was die Verhinderungstaktiker als nächstes aufzubieten haben.

Nimbus als Stabilitätsanker verloren 

Fakt ist: Die CDU hat mit ihrer heutigen Parteitags-Absage noch einmal versucht, Zeit zu gewinnen. Das zeigt, wie verzweifelt die Lage in der Partei mittlerweile ist, die sich immer mehr von ihrem einstigen Nimbus als politischer Stabilitätsanker entfernt. Die Lagerbildung innerhalb der Union dürfte jetzt noch verschärft worden sein, und wer auch immer die CDU eines fernen Tages als neuer Vorsitzender zu alter Geschlossenheit wird zurückführen müssen, hat eine Herkulesaufgabe vor sich. Die deutsche Christdemokratie geht schweren Zeiten entgegen. Denn aufgeschoben ist nicht aufgehoben. In Corona-Zeiten übrigens weniger denn je.

Anzeige