Die CDU und die Merkel-Nachfolge - Plötzliches Rendezvous mit der innerparteilichen Demokratie

Die Zeit der Hinterzimmer-Deals ist vorbei: Bei der Frage um die Nachfolge von Angela Merkel auf dem Parteivorsitz steht der CDU eine Kampfabstimmung bevor. Das stellt die sonst so konsensbedachte Partei vor eine bisher ungeahnte Herausforderung

Die Qual der Wahl: Parteitag oder Mitgliedervotum? / picture alliance
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Die CDU ist eine durch und durch demokratische Partei. Sie ist auch eine auf Konsens bedachte Organisation. Wenn sich innerparteiliche Auseinandersetzungen vermeiden lassen, dann tut die Union das meistens auch. Deshalb verlaufen CDU-Bundesparteitage viel harmonischer als solche bei der SPD. Das aber wird Anfang Dezember in Hamburg anders sein. Denn mit drei namhaften Bewerbern um den Parteivorsitz sowie drei eher unbekannten Außenseitern steht der CDU etwas bevor, was die Partei sonst sorgsam zu vermeiden sucht: eine Kampfabstimmung. 

Eine Premiere wäre das nicht, aber man muss schon bis zum Jahr 1971 zurückgehen, um auf eine vergleichbare Situation zu stoßen. Damals standen sich der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Rainer Barzel, und der aufstrebende rheinland-pfälzische Ministerpräsident Helmut Kohl im Kampf um die Nachfolge von Kurt-Georg Kiesinger gegenüber. Barzel gewann klar. Doch schon zwei Jahre später gab er nach einer verlorenen Bundestagswahl auf: Der Weg für Kohl war frei.

Partei und Öffentlichkeit verlangen Transparenz

Fast ein halbes Jahrhundert nach dem „Show down“ zwischen Barzel und Kohl steht wieder eine Abstimmung ins Haus, der ein innerparteilicher Wahlkampf vorausgehen wird. Erfahrungen mit einer solchen Konstellation hat die Partei jedoch keine. Nur eines scheint klar: Die Zeit der Hinterzimmer-Deals dürfte vorbei sein. Die Partei und die Öffentlichkeit verlangen Transparenz. Und die CDU hat plötzlich ein Rendezvous mit der innerparteilichen Demokratie. 

Schon werden Stimmen laut, die den Dreikampf zwischen CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, Gesundheitsminister Jens Spahn und dem Ex-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz gleich für einen innerparteilichen Urknall nutzen wollen: einen Mitgliederentscheid über die erste Frau oder den ersten Mann an der Spitze. Ganz unerfahren ist die CDU auf diesem Gebiet nicht. Schließlich haben die beiden größten Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg ihre Spitzenkandidaten schon per Urwahl bestimmen lassen. So richtig erfolgreich waren sie bei dieser Form der Personalauswahl aber nicht: In NRW stürzte die CDU 2010 mit dem so gewählten Norbert Röttgen ab. Sechs Jahre später fiel die CDU mit dem von der Basis gekürten Guido Wolf in Baden-Württemberg auf Platz zwei hinter die Grünen zurück.

Parteirechtliche Probleme

Es sind weniger diese Erfahrungen, die jetzt eine Wiederholung auf Bundesebene wenig wahrscheinlich machen. Viel wichtiger ist, dass das Parteiengesetz einer Urwahl entgegensteht. Es schreibt nämlich zwingend vor, dass der Vorstand von einem Parteitag zu wählen ist. Andererseits ist laut Satzung der Bundes-CDU eine Mitgliederbefragung möglich. Deren Votum wäre für den Bundesparteitag jedoch nicht bindend. Den Delegierten fiele es freilich schwer, sich über das Mitgliedervotum hinwegzusetzen. Aber rechtlich ausgeschlossen wäre das nicht.   

Wollte die CDU dennoch ihre Mitglieder auf diese Weise in die Entscheidung miteinbeziehen, müsste der Parteitag wohl auf Januar oder Februar nächsten Jahres verschoben werden. Denn die Organisation einer Mitgliederbefragung braucht Zeit. Eine solche Hängepartie wird sich die Partei nicht zumuten. Solange nicht geklärt ist, wer künftig an der Spitze steht, wirkt sich das auch lähmend auf die Arbeit der Großen Koalition aus. 

Mittelweg Regionalkonferenzen?

Es spricht deshalb alles  dafür, dass die CDU sich für einen Mittelweg entscheidet – für ein Schaulaufen der Kandidaten auf mehreren Regionalkonferenzen. Dort hätte dann jedes Mitglied die Möglichkeit, sich selbst einen Eindruck von den potenziellen Merkel-Nachfolgern zu verschaffen. Das sorgt für Transparenz, aber nicht für echte Mitbestimmung. Da kann der eine oder andere Bewerber auf einer Regionalkonferenz noch so umjubelt werden: Die Entscheidung fällen allein die 1001 Delegierten auf dem Bundesparteitag in geheimer Wahl. Allerdings gilt auch: Wenn der eine oder die andere bei der Parteibasis besonders gut ankommt, kann das die Delegierten durchaus beeinflussen.  

Drei hochkarätige Bewerber, das allein wäre für eine Partei wie die CDU schon Neuerung genug. Hinzu kommen noch drei andere Kandidaten, die ursprünglich Merkel herausfordern wollten: der renommierte Bonner Völkerrechtler Matthias Herdegen, der hessische Unternehmer Andreas Ritzenhoff und der Berliner Jurastudent Jan-Philipp Knoop. Ihnen muss die Parteiführung die gleichen Chancen zur Präsentation einräumen wie den drei Schwergewichten. Wobei nicht auszuschließen ist, dass die Aussichten auf bundesweite Aufmerksamkeit noch den einen oder anderen Außenseiter zu einer Kandidatur verleiten könnten. 

Mit Regionalkonferenzen hat die CDU Erfahrung. Nach dem Rücktritt des CDU-Vorsitzenden Wolfgang Schäuble im Gefolge der Spendenaffäre hatte die damalige Generalsekretärin Angela Merkel die in der Satzung gar nicht vorgesehenen Regionalkonferenzen „erfunden“, um die aufgewühlte Mitgliedschaft zu informieren und zu beruhigen. Am Ende waren die Mitglieder von der jungen Ostdeutschen so angetan, dass sie zur einzigen Kandidatin für die Schäuble-Nachfolge aufstieg. So schließt sich der Kreis: Merkels Regionalkonferenzen als Sprungbrett für die Merkel-Nachfolge. 

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