Machtoptionen der CDU - Mit Ausschließeritis in die Sackgasse

Die Diskussion um eine etwaige Zusammenarbeit der CDU mit Linken oder AfD bricht nicht ab. Das ist nur logisch, denn längst nicht nur Mike Mohring fehlt zunehmend die Option zur Macht. Es ist an der Zeit für Experimente, wenngleich nicht überall und nicht mit jedem

Mike Mohring (CDU) sucht Optionen / picture alliance
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Die Wahlergebnisse von Thüringen stellen die etablierten Parteien vor ein erwartbares Dilemma. Stabile Regierungsmehrheiten sind vorerst nicht in Sicht. Das liegt nicht nur an den Entscheidungen des Wahlvolkes, sondern auch an den moralischen und taktischen Selbstbeschränkungen der etablierten Parteien.

Schon vor der Wahl hatte Thüringens CDU sowohl ein Bündnis mit den Linken als auch der AfD radikal ausgeschlossen. Was aber, wenn das Wahlvolk den parteipolitischen Taktikern einen Strich durch die Rechnung macht - wie in Thüringen geschehen? Eine stabile Mehrheitsregierung wäre rechnerisch nur in drei Konstellationen denkbar: Entweder müssten sich Linke und CDU, CDU, AfD und FDP oder - horribile dictu - die Postkommunisten und Rechtspopulisten zusammentun.

Da sitzt sie nun, die Thüringen-CDU

CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring ließ bereits wenige Stunden nach dem Wahlsieg der Linken und der Abwahl von rot-rot-grün im ARD-Morgenmagazin einen Testballon steigen. Die CDU Thüringen sei demnach bereit, sich der „Verantwortung“ für ein stabiles Bündnis zwischen Linken und CDU zu stellen: „Mir sind stabile Verhältnisse wichtiger für das Land, als dass es nur um parteipolitische Interessen geht.“ Der Sturm der Entrüstung vor allem aus der West-CDU ließ nicht lange auf sich warten und nur wenige Stunden später kassierte die CDU-Bundesvorsitzende diesen Vorstoß wieder ein. Und da sitzt sie nun, die Thüringen-CDU, strategisch eingezwängt in die Folgen ihrer Ausschließeritis. Ohne politische Machtoption - und das auf Jahre.

Dabei wird sie, wenn auch mit Jahrzehnten Verspätung, nur das Opfer ihrer eigenen Politik. Es war das Jahr 1994, als der damalige CDU-Generalsekretär Peter Hintze seine „Rote-Socken-Kampagne“ vorstellte. Das Motiv dahinter war durchsichtig: Die SED-Nachfolgepartei sollte als postkommunistische Erbin des Stalinismus und damit als unwählbar gegeißelt werden. Mit Kellerkindern spielt man eben nicht. Im PDS-Milieu bewirkte dieser Angriff freilich das Gegenteil: Die Reihen wurden fester geschlossen und die Wahlergebnisse im Osten ein ums andere Mal besser. Aber das machte letztlich nichts, diente Hintzes Schachzug doch einem ganz anderen Ziel: der Sozialdemokratie jedwede Machtoption jenseits einer bürgerlichen Meinungsführerschaft zu nehmen.

Moralische Prinzipien oder Tabubruch

Die SPD musste dazu nicht einmal gezwungen werden, sie stieß von selbst begeistert in dasselbe Horn. Sie zog sich damit an dem Ring durch die Manage, der ihr zuvor von der CDU am Riechorgan platziert wurde. Das lag vor allem an einer traumatisierten Ost-SPD, die nach der Wende stets darauf bestanden hatte, ehemalige Genossen nicht einmal in die neu gegründete Partei aufzunehmen. Ein gravierender politischer Fehler – wie sich bald herausstellen sollte. In mehreren ostdeutschen Ländern war die Sozialdemokratie daher schnell vor die Alternative gestellt: Entweder an den moralischen Prinzipien festhalten und auf Dauer eine subalterne politische Macht bleiben – oder den Tabubruch wagen und nach der Macht im Staate greifen.

Den ersten Vorstoß unternahm der spätere Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner. Er bildete bereits im Jahr 1994 eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Duldung der damaligen PDS, ohne dass seine SPD überhaupt als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgegangen wäre. Der spätere Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff, ging 1998 noch einen Schritt weiter. Nach einem fulminanten Wahlsieg schmiedete er die erste rot-rote Koalition Deutschlands und positionierte die Landes-SPD damit machtpolitisch als Partei der Mitte. Damals hätte es den eigenen Landesverband fast zerrissen – und auch die wohlmeinenden Ratschläge der West-SPD waren zahlreich. Ringstorff ignorierte beides. Seitdem kann sich die Nordost-SPD nach jeder Wahl aussuchen, mit wem sie eine Regierung bildet. Für erfolgreiche Koalitionsverhandlungen ist das nicht unbedingt hinderlich.

Als „Opfer des Systems“inszenieren

Allerdings ging es Ringstorff nie nur um Beinfreiheit bei der Bildung von Regierungsbündnissen. Es war ein unausgesprochenes Geheimnis, dass er neben der Nachwendeversöhnung zugleich die Dezimierung der PDS im Sinn hatte. Und das Kalkül ging auf. Erreichte die SED-Nachfolgepartei im Jahr 1998 noch ganze 24,4 Prozent, waren es bei den letzten Wahlen 2016 nur noch 13,2 Prozent. Bis heute konnte sich die Linkspartei von ihrer Regierungsbeteiligung nicht recht erholen. Der Grund hierfür ist klar: Populismus – ob nun von rechts oder links – verliert in Regierungsverantwortung deutlich an Sexappeal.

Die Lage der AfD ist heute nicht so völlig anders als die der PDS in den 1990er – nur von rechts eben. Die beharrliche Weigerung der restlichen Parteien, die AfD am politischen System teilhaben zu lassen – ihr wird zum Beispiel bis heute im Bundestag der Vizepräsident verwehrt –, ist ein wichtiger Teil ihres Erfolges. Sie kann sich so um so mehr als „Opfer des Systems“ und glaubwürdiges Sprachrohr all der Unzufriedenen inszenieren.

Als Notbremse ein Bündnis mit der FPÖ

Und diese Lage geht einher mit der Tatsache, dass sich die CDU zumindest in einigen Ländern in eine machtpolitische Sackgasse manövriert hat – und hat manövrieren lassen. So, wie einst die CDU ihre „Rote-Socken-Kampagne“ ins Werk gesetzt und zumindest die SPD mitgeschleift hat, ist es später umgekehrt ihr selbst unter dem Eindruck zahlreicher „Kampf gegen rechts“-Kampagnen gegangen. SPD, Linke und Grüne erhalten seit Jahren den gesellschaftspolitischen Druck aufrecht, dem sich die Union unter ihrer sozialdemokratischen Kanzlerin Merkel Schritt für Schritt glaubte ergeben zu müssen. Heute geißelt sie AfD-Funktionäre für Reden, deren Inhalte vor etwas mehr als zehn Jahren noch der Kanzlerin selbst über die Lippen gegangen waren.

Manchmal hilft ein Blick über die Landesgrenzen, zum Beispiel nach Österreich. Als dort im Burgenland die große Koalition im Wahljahr 2015 mehr als 10 Prozentpunkte verlor, zog Landeshauptmann Niessl (SPÖ) die Notbremse und schmiedete ein Bündnis mit der FPÖ. Die Gründe für diesen ungewöhnlichen Schritt erläutert er noch vor seinem Rücktritt an einem Ostersonntag in einem Lokal am Neusiedler See recht offenherzig: „Die FPÖ hat bei den Wahlen 2015 mehr als sechs Prozent zugelegt und lebt vor allem von ehemaligen SPÖ-Wählern. Sie vertritt nicht wie die ÖVP in erster Linie Kapitalinteressen. Mit ihr kann mehr sozialdemokratische Politik umgesetzt werden als in einer Großen Koalition.“ Auf die Frage, ob es ihm auch um die Entzauberung der Freiheitlichen durch Einbindung in Regierungsverantwortung gehe, greift Niessl zum Glas, nimmt einen Schluck Grünen Veltliners und lächelt - ganz mit sich zufrieden.

Immerhin ein historisches Experiment

Einen ähnlichen Weg für Deutschland mag der Landeshauptmann a. D. dennoch nicht empfehlen. Die AfD sei schon ein anderes Kaliber als die FPÖ. Auch für ihn gebe es Grenzen des politisch Erträglichen. Diese Differenzierung mag aus bundesrepublikanischer Sicht etwas überraschen. Aber in der Tat ist schwer vorstellbar, dass in Thüringen eine der etablierten Parteien ausgerechnet eine Annäherung an die AfD des Björn Höcke wagen wollte. Die jüngste Zurückweisung eines solchen Versuches von Vertretern der CDU-Thüringen durch deren Parteispitze ist nur folgerichtig. Mike Mohring allerdings hilft das am Ende wenig. Schließt er auf Druck der Bundes-CDU in Thüringen ad infinitum ein Bündnis sowohl mit AfD als auch Linken aus, werden er und seine Thüringen-CDU auf Dauer am Katzentisch der Politik sitzen müssen. Immerhin vereinen die beiden Geächteten mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich. Gegen sie geht nichts.

Politische Taktik ohne Moral ist gesinnungslos, politischer Moralismus ohne auf Sachgründen ruhende Taktik jedoch auf Dauer machtlos. Die CDU wäre daher gut beraten zu akzeptieren, dass die Linke des Jahres 2019 allenfalls noch eine etwas linkere Sozialdemokratie darstellt. Gewiss: Ein Bündnis aus Linken und CDU wäre ein historisches Experiment. Aber immerhin das! Oder wie Harald Martenstein, der in diesen Dingen schließlich immer recht hat, jüngst so schön sagte: „Staatskunst kann sehr unappetitlich sein.“

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