CDU in Meseberg - Neues aus Liliput

Im Zuge der Kabinettsklausur in Meseberg offenbaren sich erstaunliche Vorgänge bei der CDU. Nicht mehr nur Horst Seehofer und Jens Spahn sticheln wiederholt gegen Kanzlerin Angela Merkel. Die bedingungslose Gefolgschaft scheint vorbei. Das erinnert an einen berühmten Roman

Mit Jens Spahn und Horst Seehofer haben die Liliputaner der CDU Verbündete im Kabinett / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Als „sechs Zoll kleine Winzlinge“ hat Jonathan Swift in seinem satirischen Roman „Gullivers Reisen“ die Bewohner Liliputs beschrieben. Ungefähr dieses Größenverhältnis kennzeichnete bisher auch die Riesin Angela Merkel im Vergleich zu ihren innerparteilichen Feinden. Und doch merkten die Liliputaner bei Swift, dass sie gemeinsam stark sein können und haben den Riesen Gulliver im Schlaf mit vielen kleinen Seilen an den Boden gefesselt und bewegungsunfähig gemacht.

Seehofer und Spahn an der Spitze der Kritik

Die CDU ist das Liliput der deutschen Politik. Aber die Bewohner haben im Kampf um den Kurs der Partei die Taktik geändert. Bisher waren sie vereinzelt, atomisiert und mehrheitlich mutlos. Das ist nicht mehr so. In Horst Seehofer als Bundesinnenminister der Schwesterpartei CSU haben sie spätestens nach dessen Vorstoß gegen Merkels Islam-Verdikt einen Verbündeten auf einem der wichtigsten Posten des Kabinetts unmittelbar neben der Kanzlerin.

Dazu kommt Jens Spahn, der sich standhaft weigert, in dem Serail zu bleiben, das die Kanzlerin ihm zugedacht hat, dem Gesundheitsressort. Spahn nimmt sich die Freiheit, zu Islam, Migration, Recht und Ordnung seine Meinung zu sagen. Alle Versuche, ihn mundtot zu machen mit dem Hinweis, er solle sich gefälligst um seine Ressortpolitik kümmern, gehen ins Leere. Das ist auch ein  wohlfeiler Vorhalt. Sein Vorgänger und Merkelianer Hermann Gröhe hat politisch nichts gesagt und fachlich fast nichts gemacht. Spahn könnte sich davon doppelt abheben: indem er sich politisch einmischt und fachlich etwas voranbringt. Das geht nämlich. Man kann reden und handeln.

Der Widerstand wird größer

Jenseits der beiden Minister Seehofer und Spahn entdecken jedoch auch andere den aufrechten Gang und das kritische Wort und lassen sich von Stoppschildern aus dem Kanzleramt nicht mehr aufhalten. Carsten Linnemann, neuerdings Fraktionsvize, verlässt das politische Terrain von Wirtschaft und Mittelstand und mischt sich in die Seehofer-Merkel-Islam-Debatte ein. Der konservative Kreis um Alexander Mitsch bekommt ein größeres Gehör. Die Wortmeldungen nebst Flankenschutz der CSU von Landesgruppenschef Alexander Dobrindt wirken weniger zufällig als bisher. Sogar Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, ist kürzlich bei einer vom Kanzleramt-Kurs abweichenden Einlassung im Fall des vergifteten russischen Doppelagenten Sergej Skripal ertappt worden.

CDU entdeckt den Pluralismus

Das alles fällt deshalb noch wenig auf, weil sich die Politik nach den dauererregten Monaten der Koalitionsfindung  allgemein in einer Art postkoitalen Erschlaffung befindet. Die Koalitionsklausur in Meseberg kommt deshalb auch so träge und müde daher als ginge es um einen Wellnessaufenthalt. Im Radio werden die Appelle der Eintracht seitens der Kanzlerin von vier Jahren ausgestrahlt. Die SPD beklagt zugleich aus taktischen Gründen den Streit. Same procedure as every four years, könnte man meinen.

Aber es hat sich eben doch etwas geändert. Der Kauderismus, die bedingungslose und selbstleugnerische Gefolgschaft gegenüber der Kanzlerin und Parteivorsitzenden Angela Merkel ist vorbei. Die CDU ist dabei, den Binnenpluralismus zu entdecken. Das ist wirklich neu im Lande Liliput. 

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