CDU - Am intellektuellen Nullpunkt

Die CDU verleugnet ihren konservativen Markenkern. Stattdessen regiert Verzagtheit und offenbar der unbedingte Wille, sich selber aufzugeben. Dabei ist die Situation für Konservative so günstig wie schon lange nicht mehr. Doch dafür fehlt der Partei der Schneid. Von Alexander Grau

Angela Merkel und Julia Klöckner: Wo ist das Konservative?
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Nein, um die CDU steht es gar nicht gut. Wie gebannt schaut man auf den Niedergang der SPD und ahnt, dass er ein Menetekel sein könnte. In einer solchen Situation wäre Entschlossenheit gefragt und die Besinnung auf alte Stärken. Doch in der Union regiert Verzagtheit und der unbedingte Wille, sich selber aufzugeben.

Wie ernst die Identitätskrise der Union ist, wurde in der letzten Woche deutlich. Da überraschte der nordrheinwestfälische Ministerpräsident Armin Laschet in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung die Öffentlichkeit mit der These: „Unser Markenkern ist eben nicht das Konservative.“

Nie konservativ? 

Was für eine erstaunliche Einsicht. Bürger, Wähler und politische Beobachter – sie alle müssen in den vergangenen Jahrzehnten wohl etwas missverstanden haben. Die CDU war nie konservativ. Und da sie nie konservativ war, so der Subtext von Laschets Ausführungen, ist die CDU in den vergangenen Jahren auch gar nicht nach links gerückt. Denn letztlich, so der Ministerpräsident, müsse das „christliche Menschenbild über allem stehen.“ Das jedoch ist anscheinend alles Mögliche, ganz sicher aber nicht konservativ – manch katholischer Glaubensbruder Laschets wird es mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen.

Bei so viel intellektueller Nonchalance verwundert es auch nicht, wenn Laschet den Konservativismus allenfalls für „eine der Wurzeln“ der CDU hält. Angesichts von Parteigrößen wie Alfred Dregger, Roland Koch und Friedrich Merz eine bemerkenswerte Aussage.

Offensichtlich kann sich der Ministerpräsident unter einem Konservativen bestenfalls einer Karikatur vorstellen, jemanden, der von einer vorrevolutionären Feudalgesellschaft träumt, den Parlamentarismus abschaffen möchte und die Einheit von Thron und Altar predigt.

Dass es in der CDU tatsächlich einmal ein so unterbelichtetes Verständnis der eigenen intellektuellen Herkunft und einer bedeutenden europäischen Denktradition geben könnte, hätte man noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten. Aber so ist sie wohl: die CDU der Merkels und Laschets.

Dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern wird, kann als ausgeschlossen betrachtet werden. Denn auch die designierte Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer konnte am Dienstag in einem Interview mit dem Deutschlandfunk nur sagen, was konservativ sein nicht bedeutet (Antworten der 50er-Jahre). Zeitgemäß wolle man vielmehr sein.

Anspruchslose Erklärungen

Ein Konservativismus, der dem Zeitgeist hinterherhechelt, das ist alles, was der zukünftigen Generalsekretärin der Union zum Stichwort einfällt. Auch die rheinlandpfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner wirkt nicht inspirierter. Konservativ sein, ließ die ehemalige Weinkönigin jüngst wissen, bedeute, „die Veränderungen, die auf uns zukommen, so zu gestalten, dass sie den Schrecken für die Bürger verlieren“. Selbst der konservative Hoffnungsträger Jens Spahn gab vor ein paar Wochen zu Protokoll: „Konservativ zu sein heißt, die Geschwindigkeit von Veränderungen so zu reduzieren, dass sie erträglich sind.“ 

Konservativ sein, bedeutet aus Sicht führender Mitglieder des CDU-Präsidiums also, das zu tun, was Linke tun – nur zehn Jahre später. Anspruchsloser geht es kaum noch. Das ist der intellektuelle Nullpunkt. Auf die Idee, Abläufe selbst zu gestalten, statt sie einfach hinzunehmen, oder am Ende sogar Alternativen zu den Zukunftsszenarien zu entwickeln, die uns von einschlägigen Instituten, Think-Tanks und Entwicklungsabteilungen als unvermeidbar verkauft werden, darauf kommt man schon gar nicht mehr.

Sagen wir mal so: Einfallslos waren Konservative vielleicht auch schon immer, doch immerhin hatten sie früher noch Mut, Haltung und die Entschlossenheit zum Widerspenstigen. Doch in der CDU unter Merkel ist es nun auch damit vorbei. Der Stolz eines jeden Konservativen – nämlich unzeitgemäß zu sein und den intellektuellen Moden zu entsagen – ist der windschnittigen Merkel-CDU schon lange abhandengekommen.

Eine große Chance wäre da

Dabei ist die Situation für Konservative so günstig wie schon lange nicht mehr. Denn erstmals in der europäischen Kulturgeschichte steht der Konservativismus nicht unter dem latenten Verdacht, die billige Rechtfertigungsideologie der Mächtigen zu sein. Im Gegenteil, der Konservativismus ist in die gesellschaftliche Opposition geraten. Ein dankbarer Ort. Denn hier, unbelastet von dem verunglimpfenden Verdacht, überkommene Herrschaftsstrukturen zu rechtfertigen, hat der Konservativismus die große Chance, das subversive Potential zu entfalten, das immer schon in ihm wohnte.

Denn unter den Bedingungen der späten Moderne und ihres Fortschrittsfatalismus hat der Konservativismus im Grunde eine befreiende, ja geradezu anarchistische Botschaft. Sie lautet: Die Zukunft ist nicht alternativlos, sondern offen. Nichts geschieht zwangsläufig. Alles könnte auch anders kommen. Man muss nur wollen. Doch dafür braucht man den Schneid, in Alternativen zu denken und für diese zu werben. Ob die CDU die richtige Partei dafür ist, darf allerdings bezweifelt werden.
 

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