75 Jahre CDU - Kotau vor den Linken

Die CDU wird 75, aber ihre Erfolgsbilanz ist überschaubar. Außer ihrem Krisenmanagement in der Coronakrise fällt der Partei selbst nichts ein, womit sie punkten kann. Das liegt in der Natur der Sache, schreibt Alexander Grau.

Parteichefin auf Abruf: Annegret Kramp-Karrenbauer / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Man hört einen kurzen Trommelwirbel, der sich nach zwei Sekunden in eine enervierende Rhythmuslinie verwandelt. In den dann folgenden siebzehn quälenden Sekunden flimmern dem zermürbten Zuschauer im Stakkato eingeschnittene Worte vor den Augen: „75 Jahre. Aber keine Zeit zu feiern. Denn Deutschland ist in der Krise. Und wir sind in der Verantwortung. Deshalb keine Party. Keine langen Reden. ABER. 120 Sekunden für 75 Jahre Verantwortung, 50 Jahre Regierung, 5 Bundeskanzler. EINE PARTEI. Achtung! Jetzt wird es rasant. Gerade in Krisenzeiten zeigen wir, was in uns steckt. Warum?“

Doch bevor der von lauter Geflimmer und Getrommel entnervte Nutzer auch nur die Chance hat, über diese Frage nachzudenken, bekommt er schon die Antwort um die Ohren gehauen: „Weil wir Verantwortung, Verantwortung, Verantwortung, Verantwortung, Verantwortung übernehmen.“ Eingesprochen wird das V-Wort von Adenauer, Erhard, Kohl, Schäuble und AKK. Die derzeitige Kanzlerin übernimmt das „übernehmen“. Dass Kiesinger und Barzel in diesem fröhlichen Reigen ebenso fehlen wie die Vorsitzenden der ehemaligen Sowjetzone ist symptomatisch. Immerhin erspart es dem Zuhörer fünf weitere „Verantwortung“.

Billiges Herangeschleime

Der Werbeclip, den sich die CDU anlässlich ihrer Gründung vor 75 Jahren gegönnt hat, ist symptomatisch für den Zustand dieser Partei. Er malträtiert den Zuschauer mit einer kruden Mischung aus billigem Herangeschleime an den Zeitgeist, nervig geschnitten Bildern, noch nervigerer Musik, einfältigen Phrasen, historischer Gedankenlosigkeiten und einer aufgesetzt lockeren Selbstinszenierung. Stimmig ist hier gar nichts. Nicht die Musik, nicht die Bilder, nicht die Aussagen. Wofür diese Partei steht, bleibt selbst dem wohlmeinenden Betrachter schleierhaft.

Immerhin bot Corona den Machern dieses Wunderwerks der Parteienwerbung die Möglichkeit, die Union als Krisenmanagerin zu inszenieren. Ein Offenbarungseid. Denn einer Partei, der zu ihrer Selbstrechtfertigung nicht mehr einfällt, als dass sie Krisen halbwegs bewältigt, zeigt lediglich, wie programmatisch und weltanschaulich ausgehöhlt sie ist. Schließlich ist eine politische Partei kein Consulting-Unternehmen. Aber als genau das versteht sich die Union offensichtlich. Zumindest erklärt das die branchenüblichen Keynote-Phrasen des Filmchens – Krise-als-Chance-Geschwafel inklusive.

Innovationsfreude aus der Retorte 

Entlarvend auch, dass die CDU hier ihre angebliche Modernität mit der billigen Kopie eines Clips zu beglaubigen versucht, mit dem Apple vor vier Jahren für sein iPhone 7 warb – Innovationsfreude aus der Retorte.

Da wundert es auch nicht mehr, dass die Union an dem intellektuellen Tiefpunkt des Clips sich dafür entschuldigt, einmal konservativ gewesen zu sein: „Wir haben die Zeichen der Zeit nicht immer gleich erkannt“, „wir waren nicht immer an vorderster Front der Frauenbewegung“, klagt sich die zeitgeistgeformte Union nun selbst an. Aber nun sei man konsequent und entdecke immer wieder Neuland – wie schön. Allerdings fragt sich der traditionelle Unionswähler, weshalb er angesichts dieses Kotaus vor der politischen Großwetterlage nicht besser gleich das grüne Original wählen soll.

Die Linke rechts überholt 

Um sich klar zu machen, wie sehr sich die Union in den vergangenen 75 Jahren verändert hat, muss man sich nur einmal die Kritik der politischen Linken an den Positionen der CDU anschauen. Bis in die 90er Jahre hinein wurde die Union von links für ihren generellen Kurs kritisiert, für ihre inhaltliche Grundausrichtung. Diese Zeiten sind vorbei. Inzwischen kritisieren SPD, Grüne und Linke die Union lediglich dafür, zu langsam oder nicht entschlossen genug zu sein. Prinzipielle Kontroversen? Fehlanzeige.

Die Union hat sich zu einer Partei gemausert, die all das will, was die Linke will, nur langsamer und bedächtiger. In gewissen Unions-Kreisen hält man so etwas wahrscheinlich für den Ausdruck politischer Vernunft. Faktisch ist es jedoch Opportunismus. Gingen frühere Unions-Granden noch auf Konfrontationskurs mit der politischen Linken und ihrem medialen Vorfeld, so übt man sich nun in Geschmeidigkeit. Von der Europa- über die Einwanderungs- bis zur Familienpolitik ist kaum noch zu erkennen, wo ein prinzipieller und nicht nur gradueller Unterschied zwischen Union und politischer Linken besteht. Damit gewinnt vermutlich auch die nächste Bundestagswahl. Ob es allerdings für weitere 75 Jahre reicht, sei einmal dahingestellt.

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