Die CDU unter Friedrich Merz - Zum Ausgangspunkt zurück

Nach dem Abgang von Angela Merkel liegt die CDU am Boden. Seine triumphale Wahl durch die Parteimitglieder zeigt: Der neue Parteichef Friedrich Merz ist keineswegs ein Mann des Gestern, sondern könnte mit seinem modernen Konservatismus die Christdemokraten in die Zukunft führen. Das würde auch die Parteiendemokratie wieder stärken.

Den Blick in die Zukunft gerichtet: Friedrich Merz / dpa
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Markus Karp ist an der Technischen Hochschule Wildau Professor für Public Management und Staatssekretär a.D.

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Angela Merkel war eine außergewöhnlich erfolgreiche Kanzlerin, zumindest gemessen an der demoskopischen und medialen Zustimmung und der Rekorddauer ihrer Kanzlerschaft. Dazu gehört ein außergewöhnliches politisches Geschick. Gerade wenn keine historische Ausnahmesituation für Rückenwind sorgt, wie es bei den Langzeitkanzlerschaften auf Rang zwei und drei der Fall war. Angela Merkel war aber keine erfolgreiche CDU-Parteichefin. Die Partei liegt am Boden. Noch nie war ihr Wählerstimmenanteil so schwach und ihre Identität derart erschüttert wie heute. Wofür die Partei steht, wo sie ihre Kernwählerschaft sieht, wo sie hinmöchte: All das kann mit einem Fragezeichen versehen werden. Die Hochburgen sind samt und sonders geschleift, ein Stammland gibt es nicht mehr. 2022 könnte mit einem Negativrekord der Zahl von „B-Ländern“, also unionsgeführten Bundesländern, enden. Während also Angela Merkel als strahlende Siegerin vom Platz geht und sich ihres Platzes im politischen Pantheon sicher sein kann, sind ihre christdemokratischen Truppen geschlagen, demoralisiert und uneins.

Wer aber an einer Weggabelung fehlgeht, muss manchmal zum Ausgangspunkt zurück, anstatt an einem augenscheinlich falschen Ort umherzuirren. Friedrich Merz, der vermeintliche Mann von gestern, verkörpert dies. Denn er ist tatsächlich kein Mann des Gesterns, sondern die Verkörperung eines Weges, den eine moderat konservative Partei im Gestern auch hätte einschlagen können, um ins Heute zu gelangen. Es ist das Bild eines Konservatismus, der mit den Zeitläuften ringt, anstatt sich ihnen zu unterwerfen. Die asymmetrische  Mobilisierung, jene Lieblingsstrategie Angela Merkels, sich die Positionen von Mitte-Links in abgeschwächter Form anzueignen, um den dort lauernden Rivalen mittels Mimikry das Wasser abzugraben, hat die überparteilich auftretenden Kanzlerin zur Ikone werden lassen, die Partei aber als ausgezehrte Hülle ohne große Inhalte hinterlassen.

Dem Zeitgeist die Stirn bieten

Es wäre aber wohlfeil, einem Neokonservatismus das Wort zu reden, der sich darin erschöpft, hinter die Ära Merkel zurückgehen zu wollen. Das wäre zum Scheitern verurteilt, denn einige Merkel’sche Hauruck-Wenden sind populärer, als es christdemokratische Traditionalisten wahrhaben wollen. Es bräuchte also einen modernen Konservatismus. Tausendundein Essay haben versucht, diesen Widerspruch in sich mit Leben zu füllen. Offenkundig gibt es keine einheitliche politische Agenda, die den Begriff mit Leben füllen könnte. Die wenigen erfolgreichen westeuropäischen Konservativen, die es noch gibt, zeichnet vor allem eines aus: die gleichzeitige Bereitschaft, mit maximalem Pragmatismus heilige Kühe der eigenen Tradition zu schlachten, aber an anderer Stelle dem vermeintlichen Zeitgeist eisenhart die Stirn zu bieten und schlechte Presse und die Wut in den sozialen Netzwerken auszuhalten. Ersteres ist zum Quasi-Markenzeichen der Union geworden, zu Zweiterem fehlt ihr seit einem Jahrzehnt die Kraft. Zumindest wird die Union der letzten Dekade in der Öffentlichkeit so wahrgenommen. Und 2021 hat Angela Merkel dieses Defizit nicht mehr überstrahlt.

So wird Merz’ triumphale Wahl zu einer alternativen Geschichtsschreibung im Zeitraffer. Auch für die vor ihm liegende Aufgabe bleibt ihm nicht unendlich viel Zeit. So geduldig er in Wartestellung gelegen hat, so schnell muss er jetzt auch handeln, um zumindest einen Teil der turmhohen Erwartungen zu erfüllen, die eine frustrierte Basis in ihn setzt. So wie er die Liebe der Mitgliedschaft nicht verspielen darf, muss er eine skeptischere, teils feindselige Öffentlichkeit überzeugen. Bei ihm verhält es sich mit der Popularität innerhalb und außerhalb der Partei verglichen mit der Altkanzlerin genau umgekehrt. Absehbar ist schon jetzt, dass er keine 16-jährige Kanzlerschaft vor sich hat. Das befreit ihn aber auch von der Notwendigkeit, nur eine kurzfristige Wiederwahlstimmung oder das Wohlwollen potentieller linker Koalitionspartner in den Blick zu nehmen. Er ist in der Wolle gefärbter Christdemokrat genug, um deutlich zu machen, dass seine Abgrenzung von extremen Bestrebungen glaubhaft ist, verkörpert aber genug Außenseitertum, um den eingeübten Trott der Ära Merkel und die Lethargie des Machtverlustes zu durchbrechen. Sein sensationelles Wahlergebnis trägt ihm nun einen gewaltigen Vorteil in allen schwelenden Diadochenkämpfen ein. In den nächsten Monaten wird ihm kein Parteigrande öffentlich die Stirn bieten können. Dann allerdings werden die Landtagswahlen im Westen und Nordwesten der Bundesrepublik – die Herzländer beider deutscher Noch-Volksparteien – schon den entscheidenden Test für den neuen Parteichef bringen.

Nur Nixon konnte nach China gehen

Seine geringe Popularität außerhalb der Partei ist dabei nicht unbedingt ein Hindernis. Angela Merkel war die zu aktiven Zeiten populärste Figur, die die Union seit ihrer Gründung vorzuweisen hatte, gleichzeitig ist die Partei historisch schwach geworden. Was wohlgemerkt nicht allein auf die ehemalige Kanzlerin abgewälzt werden kann, sondern viele Ursachen hat. Es beweist aber, dass der Erfolg der Christdemokraten nicht mit der Beliebtheit ihrer Spitze steht oder fällt. Allerdings muss es dem Parteichef gelingen, die innere Balance der heterogenen Partei und die Glaubwürdigkeit der politischen Marke wiederherzustellen. Zupass kommt Friedrich Merz dabei, dass die Ampelregierung im Erneuerungs- und Fortschrittsfuror hochfliegende Ziele in die Politik bringt, die ihr noch auf die Füße fallen werden, weil deren praktische Umsetzung viele Wähler vergrätzen beziehungsweise für Zwist in dem ungleichen Trio sorgen wird. Weltanschauliche Prinzipienreiterei aber könnte die Ampel-Regierung aus eben jener Mitte katapultieren, die sie so gern auf Dauer für sich beanspruchen möchte. Positioniert sich der Sauerländer hier als Stimme der Vernunft, aber doch offen für Kompromisse, kann er die Situation für seine Zwecke nutzen. Gerade weil er als neoliberaler Satan überzeichnet wird, vermag Merz es, zu überraschen. Wie die Amerikaner sagen: Nur Nixon konnte nach China gehen.

Ein Gewinner lässt sich schon jetzt ausmachen: Die Parteiendemokratie. Der Mitgliederentscheid in der CDU ist auch ein Triumph über Listenlurche und Gremiengremlins. Es bleibt zu hoffen, dass diese dringend notwendige Revitalisierung der innerparteilichen Demokratie keine Eintagsfliege bleibt. Es gibt wenig probatere Mittel gegen Politikverdrossenheit als den Beweis, dass Mitgliedschaft auch Mitbestimmung bedeutet.

 

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