Carsten Linnemann zu Rassismusvorwürfen - „Es wurde polemisiert und moralisiert“

Carsten Linnemann kritisiert die Debattenkultur in Deutschland. Die heftige Kontroverse um Deutschkenntnisse von Kindern mit Migrationshintergrund und angebliche Schulverbote zeige, dass wichtige Themen kaum noch sachlich diskutiert werden könnten

Löste „eine Welle emotionaler Reaktionen“ aus: Carsten Linnemann / picture alliance
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Autoreninfo

Carsten Linnemann ist Bundesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Wirtschaft, Mittelstand und Tourismus.

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Meine Forderung nach einer Vorschulpflicht für Kinder, die kaum Deutsch können, löste eine Welle emotionaler Reaktionen aus, wie ich sie bisher selten erlebt habe. Diese reichten von Rassismusvorwürfen bis hin zu dankbarer Zustimmung. Viele Lehrer, Erzieher, Eltern, aber auch Bürger mit Zuwanderungsgeschichte haben mir ihre Erfahrungen geschildert. Viele Rückmeldungen haben mich nochmals aufgerüttelt. Zum einen, weil die Zustände an manchen Schulen noch dramatischer sind als befürchtet. Zum anderen, weil unsere Gesellschaft offenbar schon so sehr gespalten und auch polarisiert ist, dass wichtige Themen kaum noch sachlich und differenziert diskutiert werden können. 

Umso mehr gilt es, nüchtern die Fakten zu betrachten. In vielen deutschen Städten gibt es eine immer größer werdende Zahl von Kindern im Kita- und Vorschulalter, die kaum oder gar nicht Deutsch sprechen. In Berlin etwa fielen fast drei Viertel der Kinder, die im Kita-Alter sind, aber keine Kita besuchen, bei Sprachtests durch. In Duisburg ergaben Schuleingangsuntersuchungen, dass 16 Prozent aller Kinder kein Deutsch oder sehr schlechtes Deutsch sprechen.

Überforderte Lehrer 

Wie sollen diese Kinder in der Grundschule ordentlich lernen, wenn sie nicht einmal die Unterrichtssprache verstehen? Und von wem sollen diese Kinder die Unterrichtssprache lernen, wenn gleichzeitig der Anteil von Kindern mit wenigen bis gar keinen Deutschkenntnissen immer größer wird? Ein bis zwei nicht-deutschsprechende Schüler mag ein Klassenverbund noch auffangen können. Aber in zu vielen Klassen haben wir dieses machbare Verhältnis bereits überschritten. Lehrer können dann nicht mehr ausgleichen, was im Vorschulalter versäumt wurde. Sie werden genau wie die Kinder schlicht überfordert. 

Alle Experten sind sich einig: Die Sprache ist der Schlüssel zu Integration, zu schulischem und beruflichem Erfolg. Wenn wir also allen Kindern, egal welcher Herkunft, möglichst gute Startchancen geben wollen, müssen wir hier ansetzen. Dann müssen deutschlandweit Sprachtests durchgeführt werden und bei Kindern, die durch Sprachdefizite auffallen, Fördermaßnahmen greifen. Und zwar frühzeitig und verpflichtend. 

Sanktionen für Sprachtestverweigerer

Wie die vorschulische Sprachförderung dann letztlich aussieht, ist Sache der Länder. Ich persönlich halte Vorschulen für zielführend, aber auch eine Kita-Pflicht mit speziell auf Sprachvermittlung geschulten Erziehern kann den richtigen Impuls geben. Im Regelfall dürfte der verpflichtende Vorschul- oder auch Kitabesuch ausreichen, um die Sprachkenntnisse auf das für die Einschulung notwendige Niveau zu heben. In Sonderfällen muss es auch die Möglichkeit geben, ein Kind erst ein Jahr später einzuschulen, um diese Zeit für eine spezielle Förderung zu nutzen.

Berlin ist ein Paradebeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte: Auf dem Papier gilt eine Kita-Pflicht für Kinder, die durch Sprachtests aufgefallen sind. In der Realität aber bleiben die meisten dieser Kinder zuhause. Die Leidtragenden sind die Kinder selbst. Wir müssen die Regeln daher endlich konsequent durchsetzen: Wenn Eltern sich weigern, ihre Kinder zum Sprachtest oder bei Nichtbestehen in die Kita zu bringen, müssen Sanktionen greifen.

Armutszeugnis für Debattenkultur 

Ich würde mir wünschen, dass wir jetzt eine ernsthafte und sachliche Debatte darüber führen, wie die beschriebenen Probleme zu lösen sind. Die vergangenen Tage haben leider dazu nicht beigetragen. Anstatt sachlich zu argumentieren, wurde oftmals polemisiert. Anstatt um die besten Lösungen zu ringen, wurde moralisiert. Zudem habe ich den Eindruck, dass viele nur noch dort im Netz unterwegs sind, wo die eigene Meinung bestätigt wird. Es werden oft nur noch aus dem Zusammenhang gerissene Zitate gelesen und kommentiert, ohne den vollständigen Kontext zu kennen. Kurzum: Um unsere Debattenkultur ist es nicht gut bestellt. Wenn wir hier nicht schnell umsteuern, droht unsere Gesellschaft weiter gespalten und polarisiert zu werden.

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