Bushido und der Abou-Chaker-Clan - „Ein Säure-Anschlag auf eine Frau gilt als Kavaliersdelikt“

Mit der Verhaftung von Bushidos Ex-Manager Arafat Abou-Chaker hat die Justiz einen ersten Erfolg gegen die arabischen Clans erzielt. Die Hinweise, die zu seiner Verhaftung führten, kamen von zwei Frauen. Der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban über die Emanzipation in den Clans und ihre Folgen

Aus Freunde wurden Feinde: Bushido (links) und sein Ex-Manager Arafat Abou-Chaker / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Ralph Ghadbahn, geboren 1949 im Libanon, kam 1972 mit einem Doktoranden-Stipendium nach Deutschland. Von 1977 bis 1992 war er in der Sozialarbeit aktiv, unter anderem als Leiter der Beratungsstelle für Araber beim Diakonischen Werk. Seitdem hat er sich einen Namen als Migrationsforscher mit dem Schwerpunkt Islam gemacht. Zu dem Thema hat er mehrere Bücher veröffentlicht. 

Herr Ghadban, mit Arafat Abou-Chaker hat die Polizei einen der bekanntesten Chefs der arabischen Clans in Berlin verhaftet. Ist das der schon lange erwartete Schlag gegen die Clans – oder eher eine Show-Veranstaltung?
Zum ersten Mal hat die Polizei das getan, was von ihr erwartet wird. Das hätte schon viel früher passieren müssen. Dann wäre es erst gar nicht so weit gekommen, dass die Abou-Chaker-Familie unsere Gesellschaft jahrelang terrorisiert hat. Die Verhaftung hat gezeigt, dass es mit den vorhandenen Gesetzen durchaus möglich ist, zu intervenieren – wenn der politische Wille dahinter steht.

Die Begleitumstände dieser Verhaftung waren filmreif. Der Clan-Chef hatte gerade im Gericht eine Bewährungsstrafe wegen Körperverletzung kassiert, als ihm die Oberstaatsanwältin einen Haftbefehl in die Hand drückte und Abou-Chaker von Polizeibeamten direkt in die JVA Moabit gebracht wurde.  
Das war wirklich filmreich, aber dieser Effekt war eingeplant, schätze ich. Theatralik gehört dazu, um die Signalwirkung zu unterstreichen.

Muss die Abou-Chakers das beeindrucken, solange sie sich die besten Anwälte der Stadt leisten können?
Man muss jetzt abwarten, wie die Anwälte reagieren. Die waren ziemlich enttäuscht. Die dachten, alles läuft wie immer. Ihr Auftritt als Super-Anwälte wird schon reichen, um das Gericht zu erschrecken. Aber die Oberstaatsanwältin (Petra Leister, Anm. der Red.) lässt sich von niemandem erschrecken. Die hat echt Mut. 

Arafat Abou-Chaker und seinem Bruder Yasser wird vorgeworfen, geplant zu haben, die Familie des Rappers Bushido zu entführen. Als Angeklagter in einem Prozess wegen Körperverletzung stand der Clan-Chef ohnehin schon im Fokus der Medien. Zeugt so ein Entführungsplan vor diesem Hintergrund von Leichtsinn oder von Größenwahn?
Ich gehe nicht davon aus, dass dieser Entführungsplan ernst gemeint war. Der ist vielleicht in einem Wutanfall entstanden.

Wie kommen Sie darauf?
Bushido wird zur Zeit von einem mächtigen Clan beschützt. Für die Familie Abou-Chaker hätte das schwerwiegende Konsequenzen. Es gibt aber andere Berichte, nach denen die Abou-Chakers ein Säure-Attentat auf Bushidos Frau geplant hatten. Solche Pläne halte ich für wahrscheinlicher.

Warum?
Weil ein großer Clan solche Racheakte nicht erwartet. Solange es nicht um Leib und Leben geht, hoffen die Attentäter, dass sich die Konsequenzen in Grenzen halten.

Ein Säure-Attentat soll das Gesicht der Frau entstellen. Das ist kein Anschlag auf ihr Leben? 
In unseren Augen ist es eine schwerwiegende Straftat  – in den Augen der Clans ist es ein Kavaliersdelikt. Die leben in ihrer eigenen Welt. 

Ist so ein Säure-Attentat eine typische Waffe im Krieg der Clans?
Nein, gar nicht. Es ist eigentlich eher unter ihrer Würde. Ein Clan sucht die Konfrontation, aber mit richtigen Waffen. In der Regel sind das Messer, Pistolen oder Baseballschläger. Aber hier geht es um eine Attacke gegen eine Frau. Und das ist neu. In den Auseinandersetzungen der Clans haben die Frauen bislang keine Rolle gespielt.

Und in diesem Fall spielen plötzlich Frauen auf beiden Seiten eine Rolle.
Genau, auf deutscher Seite die Frau von Bushido – und auf palästinensischer Seite die Frau von Yasser Abou-Chaker.

Der Hinweis auf Pläne zur Entführung von Bushidos Familie kam von der Frau von Yasser Abou-Chaker. Dass Familienangehörige Clan-Mitglieder bei der Polizei anschwärzen, ist schon ungewöhnlich. Hat es Sie überrascht, dass es in diesem Fall eine Frau war?
Nein, die Abou-Chakers sind kein richtiger Clan. Bei den richtigen Clans würden es sich die Frauen gar nicht trauen, zu rebellieren und mit den Kindern abhauen. Ihre Unterwerfung ist total.

Die Abou-Chakers sind kein richtiger Clan?
Nein, sie sind eine palästinensische Großfamilie, wie alle anderen möchten sie aber ein Clan werden. Die Trennung der Eheleute ist keine Seltenheit. Was Bushidos deutsche Frau (Anna-Maria Ferchichi, Anm. der Red.) betrifft, da haben sie nicht mit ihrer entschiedenen Reaktion gerechnet.

Bushidos Frau hat ihren Mann vor einem Jahr vor die Wahl gestellt: Entweder, er trennt sich von seinem kriminellen Manager Abou-Chaker – oder sie verlässt ihn ...
... und das völlig zu Recht. Was ihr Bushido durch seine Unterwerfung unter die Abou Chakers zugemutet hat, war unglaublich. Dass ihr Mann ihrer Forderung nachgegeben hat, spricht für seinen Familiensinn. Und es spricht dafür, dass er seine Frau und ihre Bedürfnisse offenbar wertschätzt. 

Sie waren der erste in Berlin, der ein Aussteigerprogramm für die Frauen von Clan-Mitgliedern gefordert haben. Was muss der Staat diesen Frauen denn bieten, damit sie ihre Männer verlassen können, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen?
Das fängt mit Deutschkursen an und geht bis zu Ausbildungsangeboten. Da müssen viele Ämter zusammen arbeiten. 

Das Bezirksamt Berlin-Neukölln arbeitet so ein Programm für Aussteiger gerade aus. Vorbild ist das Anti-Mafia-Programm aus Italien. Kritiker haben Zweifel daran, dass es auf die arabischen Clans übertragbar ist.
Ich bin da zuversichtlich wäre, sonst hätte ich das vor Jahren nicht vorgeschlagen. Es gibt viele Familienangehörige, die in dieser Clan-Struktur gefangen sind, die aber gern ein normales Leben führen würden. Denen muss man einen Weg zeigen.

Was schwebt Ihnen da vor – eine Art Zeugenschutzprogramm?
Nein, so was existiert bereits. Außerdem niemand hindert die Männer ein normales Leben zu führen, solange sie den Clan nicht verraten und der Schweigepflicht nachkommen. Für Jugendliche und vor allem Frauen, die sich vom Clan trennen wollen, ist eine langzeitige Unterstützung notwendig. Eine Infrastruktur dafür ist für Jugendliche nicht ausreichend entwickelt und für die Frauen bislang gar nicht vorhanden.  

Muss die Ex-Frau von Yasser Abou-Chaker jetzt nicht auch Angst vor Rache-Akten haben?
Nein, die palästinensischen Frauen, die ihre Männer verlassen, gehen zu ihren Eltern zurück. Die Familie fängt sie auf – es sei denn, sie brennen mit einem anderen Mann durch. Dann würde die eigene Familie sie töten. Das gilt dann als Ehrenmord. Bei den Clans ist das anders. Da wird die Ehre der Männer schon durch eine Trennung total verletzt. Man kann sagen: Die Unterwerfung der Frauen ist eine Grundbedingung für die Clan-Solidarität.

Dass die Ex-Frau von Yasser Abou-Chaker ihren Ex-Mann bei der Polizei angezeigt hat, ist hinnehmbar?
Nein, aber hier ist eine Problematik entstanden, die im Nahen Osten in der Regel nicht existiert. Dort bleiben die Kinder nach einer Trennung in der Regel bei den Männern. In diesem Fall hat die Frau die Kinder mitgenommen und ist in ein anderes Land gefahren, nach Dänemark. Die Chancen ihres Mannes, die Kinder zurückzubekommen, sind gering.

Der Boulevard berichtet über diesen Clan-Krieg, als wäre es eine arabische Seifenoper. Profitiert die Justiz von der Aufmerksamkeit, die die Medien diesem Thema widmen? Oder ist die Berichterstattung bei der Aufklärung der Verbrechen eher hinderlich?
Ich glaube nicht, dass diese Aufmerksamkeit die Arbeit der Justiz behindert. Die Abou-Chakers sind lange genug als Helden gefeiert worden. Jetzt können sie ruhig Werbung als  Anti-Helden bekommen.

Aber bleibt nicht unterm Strich der Eindruck, eigentlich seien das ganz coole Typen – so wie die Hamadis aus der TV-Serie „Four Blocks“?
Quatsch, ich glaube, die Öffentlichkeit blickt schon durch. Ein Krimineller kann sich verhalten, wie er will – inzwischen weiß man, dass er ein Krimineller ist. Die einzige Frage, die die Öffentlichkeit interessiert, ist: Warum sind die meisten Strafverdächtigten immer noch frei? Dass die Justiz jetzt so konsequent gegen diese Familie Abou Chaker vorgeht, beruhigt die Öffentlichkeit. Vielen verschafft es auch eine gewisse Genugtuung.

Bushido wird jetzt von einem Mitglied des Remmo-Clans gemanagt. Dieser Clan ist einer der größten arabischen Clans in Deutschland. Er entspricht Ihrer Definition von Clan. Ist  der Rapper damit nicht vom Regen in die Traufe gekommen?
Nein, mit Ashraf Remmo hat er eine Abmachung getroffen: Der Clan beschützt ihn solange, wie er ihn bezahlt. Mit den Abou-Chakers war das etwas anderes. Mit denen hatte er sich verbrüdert, weil die ihm geholfen hatten, aus dem Vertrag mit seiner damaligen Plattenfirma herauszukommen. Er hatte denen dann eine Generalvollmacht für sein Vermögen ausgestellt, das war sein Fehler. Er musste denen einen Teil seiner Einkünfte abtreten.

Der Remmo-Clan spielt eine wichtige Rolle in der Organisierten Kriminalität. Drei seiner Mitglieder stehen gerade wegen des Raubs der Riesengoldmünze im Bode-Museum vor Gericht ...
... und die 77 Immobilien, die die Staatsanwaltschaft eingezogen hat, um zu prüfen, woher das Geld stammt, gehören ihnen auch.

Wie kann man so einem Clan vertrauen?
Dieser Clan geht gerade durch eine schwierige Zeit, aber das wird er überstehen. Wenn Bushido Schutz braucht, holt er sich ihn bei Leuten, die ihm den gewährleisten können.

Ist es nicht eigentlich Aufgabe des Staates, seine Bürger zu schützen?
Im Prinzip ja, wenn man aber in diesem Sumpf gesteckt hat, kommt man nicht so schnell raus.

Und was ist, wenn die Staatsanwaltschaft bei der Prüfung der beschlagnahmten Remmo-Immobilien keine Beweise dafür findet, dass das Geld aus der Organisierten Kriminalität stammt?
Das Vermögensabschöpfungsgesetz ist lückenhaft. Es ist zu erwarten, dass der Staat der Familie die meisten Immobilien zurückgeben muss.

Was würde das für das Ansehen des Rechtsstaates bedeuten?
Wenn das so ausgeht, steht der Staat dumm da. Und die Clans lachen sich tot.

Wie könnte dieser Worst Case noch vermieden werden?
Das Gesetz zur Vermögensabschöpfung muss unbedingt verbessert werden. Der Staat sollte sich ein Vorbild an Italien nehmen. Dort wurde die Beweislastumkehr ohne Wenn und Aber eingeführt. Das heißt, die Besitzer von Gütern ungeklärter Herkunft müssen beweisen, dass sie das Geld legal erworben haben. Das ist die einzige Waffe, die wirkt.

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