Burka-Verbot - Absolute Religionsfreiheit gibt es nicht

Kolumne Grauzone: Rechtsstaat oder Religionsfreiheit, was ist wichtiger? Für Alexander Grau ist die Sache klar: Bereits heute steht das Strafrecht über religiösen Normen und Geboten. Der deutsche Staat sollte aufhören, sich bei Religionsgemeinschaften anzubiedern

Frauen mit Gesichtsschleier sind in deutschen Städten eine Ausnahmeerscheinung / picture alliance
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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Nun ist sie also offiziell: Die „Berliner Erklärung“, in der die CDU-Innenminister ein Verschleierungsverbot im öffentlichen Raum fordern, ein „Burka-Verbot light“, wie umgehend gespottet wurde.

Eine interessante Entwicklung, ist es doch erst wenige Tage her, dass Bundesinnenminister de Maizière ein Burka-Verbot verfassungsrechtlich für bedenklich hielt. Er betonte, man könne nicht alles verbieten, was man ablehne. Ähnlich hatte sich SDP-Chef Gabriel geäußert. Ob der sich allerdings ähnlich wendig zeigen wird wie de Maizière, bleibt abzuwarten. Sein Vize, Ralf Stegner, hatte noch letzte Woche zu Protokoll gegeben, ein Verschleierungsverbot sei mit der Religionsfreiheit nicht zu vereinbaren.

Viele Medien gegen Burka-Verbot

Da verwundert es nicht, dass der Spiegel mahnte, Deutschland dürfe sich nicht auf eine Stufe mit Saudi-Arabien und dem Iran stellen, indem es Frauen vorschreibe, wie sie sich in der Öffentlichkeit zu kleiden haben. Der Stern sah in der Diskussion über das Burka-Verbot reine „Placebo-Politik“. Und die Süddeutsche Zeitung erkannte in der Burka sogar die „Freiheit, Außenseiter zu sein“.

Und in der Tat: Auf den ersten Blick ist ein Burka-Verbot eine heikle Sache. Es wäre ein erheblicher Eingriff in ein einfaches Persönlichkeitsrecht: sich so zu kleiden, wie man will. Allerdings sind weder Burka noch Niqab, um den es in der deutschen Alltagspraxis vor allem geht, ein reiner Modegag. Sie beanspruchen für sich, Ausdruck einer religiösen Ethik zu sein. Hinter der Gesichtsverschleierung und auch dem Kopftuch, Hidschab, steht eine religiös begründete Vorstellung von Sittlichkeit. Das haben wir zunächst zu akzeptieren.

Damit sind wir jedoch bei der Kernfrage: Wäre es somit tatsächlich ein Eingriff in die Religionsfreiheit, wenn man Burka und Niqab verbieten würde? Und wenn ja: Was folgt daraus?

Auch Religionsfreiheit hat Grenzen

Zunächst sollte klar sein: Nicht jede Handlung ist dadurch legitimiert, dass jemand für sich in Anspruch nimmt, dass sie durch seine Religion geboten ist. Vor so einer sehr großzügigen Auslegung der Religionsfreiheit steht schon das Strafgesetzbuch. Tier- oder gar Menschenopfer zum Beispiel sind unter allen Umständen verboten, was immer irgendeine Religion dazu sagen mag. Auch eine religiöse Lehre, die den Eigentumsbegriff nicht anerkennen würde, käme sehr schnell in Konflikt mit dem Gesetz.

Insofern muss man zur Kenntnis nehmen: Religionsfreiheit ist relativ. Auch die liberalste Gesellschaft zeigt Religionsgemeinschaften Grenzen auf. Es ist nicht alles erlaubt, nur weil es aufgrund einer Religion geboten ist. Bleibt die Frage, welche religiösen Vorschriften durch die Religionsfreiheit gedeckt sind und welche nicht. Vor allem: Wer definiert, was eine religiöse Vorschrift ist?

Kein Fall für den Sachverständigenrat

Machen wir uns nichts vor: Es wäre lächerlich, einen staatlichen Katalog oder eine staatliche Sachverständigenkommission aus Theologen und Religionswissenschaftlern zu haben, die Religionsgemeinschaften vorschreibt, welche ihrer Gebote religiös sind und welche eigentlich nicht. Es gibt hier keinen neutralen oder gar „objektiven“ Standpunkt. Es sind immer die Religionsgemeinschaften selbst, die über ihre Gebote und Verbote entscheiden. Neunmalkluge Auslassungen darüber, dass etwa die Gesichtsverschleierung gar nicht zum ursprünglichen Islam gehöre, gehen am Thema vorbei. Ein religiöses Gebot ist ein religiöses Gebot, weil es die Gläubigen dafür halten. Es gibt keine echten und falschen religiösen Gebote. Wer so argumentiert, hat das Wesen des Religiösen nicht verstanden.

Das bedeutet: Da der Staat nicht entscheiden kann, was als religiöses Gebot zu gelten hat und was nicht, muss er zwangsläufig zwischen gewünschten und unerwünschten religiösen Geboten, Ritualen und Handlungen unterscheiden. Und das wiederum heißt: Absolute Religionsfreiheit gibt es nicht. Sie kann es nicht geben. Wer das Gegenteil behauptet, erteilt einen Freibrief für jede Verletzung unserer Normen, solang sie nur unter dem Fähnchen „Religion“ daher kommt.

Sonderbehandlung für Religionen nicht zeitgemäß

Das Primat der Religionsfreiheit ist ein Anachronismus aus der Zeit der Konfessionskriege. Alle relevanten Rechte, die damit verbunden werden, sind durch andere Grundrechte wie Versammlungs- oder Meinungsfreiheit gedeckt. Für den säkularen Staat gibt es keinen logisch erkennbaren Grund, Religionen Privilegien einzuräumen, die er anderen Weltanschauungen untersagt. 

Dies gilt umso mehr, weil der liberale Verfassungsstaat das Ergebnis der Einschränkung der Religionsfreiheit und ihrer Begrenzung auf die Privatsphäre ist. Der moderne Rechtsstaat wurde gegen die Religionen erkämpft – nicht mit ihrer Hilfe.

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