Gerichtsentscheidung zur Bundeswehr - Prüde Truppe? Trans-Kommandeurin muss sich beim Dating zurückhalten

Anastasia Biefang kam als Mann zur Bundeswehr und outete sich dann als gefühlte Frau. Seitdem kämpft sie selbstbewusst und offensiv für mehr sexuelle Freiheit. Ein Gericht hat ihr nun Grenzen auferlegt. Die Entscheidung stößt auf Empörung. Doch ganz falsch ist deren Grundgedanke nicht.

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Das Vorurteil, Verwaltungsrecht sei eine trockene und dröge Angelegenheit, wird durch den Fall Anastasia Biefang eindeutig widerlegt. Denn die Richter des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig hatten sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie freizügig eine Bundeswehr-Kommandeurin im Internet nach Sexpartnern suchen darf. Ihre Antwort: Soldaten in besonders repräsentativen Funktionen müssten „auch bei privaten Internetauftritten bei der Form ihres Auftretens Zurückhaltung üben“.

Die „außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht“ verlange, „dass eine Bataillonskommandeurin mit Personalverantwortung für ca. 1.000 Personen bei der Wahl der verwendeten Worte und Bilder im Internet Rücksicht auf ihre berufliche Stellung nimmt“, heißt es in einer Pressemitteilung des Gerichts. „Sie muss daher Formulierungen vermeiden, die den falschen Eindruck eines wahllosen Sexuallebens und eines erheblichen Mangels an charakterlicher Integrität erwecken.“

Der vollständige Beschluss liegt noch nicht schriftlich vor, empörte Reaktionen hat er aber schon ausgelöst. Verteidigungspolitiker der Grünen und der FDP beklagen „Moralvorstellungen aus den 1950er Jahren“. Und der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, will mit Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und der Wehrbeauftragten Eva Högl „beraten, wie sich künftig disziplinarische Urteile wie das gegen Anastasia Biefang verhindern lassen.“

Ich bin schwul, habe eine offene Beziehung und ein Profil auf Dating-Apps.

Wäre ich bei der #Bundeswehr, würde mir die „charakterliche Integrität“ abgesprochen.

Ich bin aber Staatssekretär.

In einer Bundesregierung, für die wichtig ist wie man arbeitet - nicht wie man datet.

— Sven Lehmann (@svenlehmann) May 27, 2022

Auch in juristischen Fachmedien wird harsche Kritik an den Leipziger Verwaltungsrichtern geübt. Deren Entscheidung sei „nicht nur prüde, sondern für den Zusammenhalt der Truppe gefährlich, und wird hoffentlich vom Bundesverfassungsgericht korrigiert werden“, schreibt ein Verwaltungsrechtler in Legal Tribune Online.

Erste Transgender-Kommandeurin der Bundeswehr

Dass der Fall eine solche Aufmerksamkeit erfährt, hängt damit zusammen, dass die Soldatin einst ein Soldat war. Biefang kam 1994 als Wehrdienstleistender zur Bundeswehr und schlug die Offizierslaufbahn ein. 2015 outete sie sich als gefühlte Frau und gilt nun als „erste Transgender-Kommandeurin“ der Bundeswehr. Als zweite Vorsitzende des Vereins QueerBw setzt sie sich für mehr Offenheit gegenüber sexuellen Minderheiten innerhalb der Armee ein.

Ihre Niederlage vor dem Bundesverwaltungsgericht sieht die Offizierin daher nicht nur als persönlichen, sondern auch als gesellschaftspolitischen Rückschlag. „Es passt doch nicht zusammen, dass die Bundeswehr sich ihre Offenheit zugute hält, dann aber mit antiquierten Moral­vorstellungen agiert“, sagte Biefang dem Redaktionsnetzwerk Deutschland und fordert Konsequenzen: „Die Wohl­verhaltens­pflicht im Soldaten­gesetz ist so unbestimmt – da kann jeder Vorgesetzte nach seinen Moral­maßstäben urteilen. So ein Gummi­paragraph öffnet Tür und Tor für Diskriminierung und Verfolgung. Da muss es eine Klar­stellung geben.“

Privates Profil bei Tinder

Der konkrete Anlass, um den es in dem Gerichtsverfahren ging, war Biefangs privates Profil in der Dating-App Tinder. Das Portal dient der Partnersuche, zumeist für schnellen, eher unverbindlichen Körperkontakt. Es wird sowohl von Hetero- als auch von Homo- und Bisexuellen genutzt. Biefang hatte dort ein Profilbild von sich „in sitzender Pose mit erkennbaren Gesichtszügen und unter Verwendung ihres tatsächlichen Vornamens eingestellt“, so das Bundesverwaltungsgericht. Dazu der Text: „Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome.“

Screenshots von diesem Tinder-Profil, das nur für angemeldete Nutzer sichtbar ist, müsse irgendjemand an die Bundeswehr geschickt haben, so Biefang. Daraufhin erteilte ihr der Disziplinarvorgesetzte vor drei Jahren einen Verweis. Das ist die mildeste disziplinarrechtliche Maßnahme. Im August dieses Jahres werde der Verweis ohnehin aus der Personalakte entfernt, sagt die Betroffene selbst. Doch ihr ging es nicht nur um die Akte, sondern ums Prinzip. Deshalb zog die Bundeswehrsoldatin gegen ihren Dienstherrn vor Gericht.

Großer Gegensatz zur Kießling-Affäre

Der juristische Streit und die öffentliche Debatte darüber zeigen, wie sehr sich die Bundeswehr bereits gewandelt hat. 1984 wurde der Vier-Sterne-General Günter Kießling entlassen, weil es Gerüchte über seine angebliche Homosexualität gab. Der Bundeswehrgeheimdienst MAD ließ Mitarbeiter von Kölner Schwulenkneipen befragen, die Kießling – wie sich hinterher herausstellte: fälschlicherweise – als Stammgast identifizierten. Ein homosexueller General galt damals als Sicherheitsrisiko, schließlich sei er erpressbar.

Die Affäre Kießling und der Fall Biefang stehen in großem Gegensatz zueinander. Ging es damals um eine vermeintliche, heimlich ausgelebte Sexualität, deren bloßes Bekanntwerden zum Skandal taugte, trägt die „Transgender-Kommandeurin“ ihre Sexualität mit einer Offenheit zur Schau, die an Exhibitionismus grenzt.

„Ich lasse mich gern vögeln in Darkrooms“

Davon zeugt der Auftritt Biefangs in einer Online-Show der Berliner Dragqueen Jurassica Parka. Die Soldatin redet dort über ihr Comingout, ihre Erfahrungen bei der Bundeswehr, ihre künstlichen Brüste und ihr privates Partyleben. „Ich lasse mich gern vögeln in Darkrooms“, erzählt die Offizierin im Plauderton. Das überrascht selbst die Gastgeberin. „Du lässt dich gerne durchbumsen?“, fragt Jurassica Parka. Biefangs Antwort: „Ja, warum nicht.“ Später erwähnt sie noch die „Fuck Your Gender“-Partyreihe der „The Nipple Liberation Army“ und sagt: „Ich bin in einem Kollektiv. Wir machen unsere eigenen sexpositiven Partys. Ist geil, ne?“

Ist es vorstellbar, dass ein heterosexueller Bundeswehrkommandant, der sich im angeborenen Geschlecht zuhause fühlt, in einem öffentlichen Videointerview so über sein ausschweifendes Sexualleben spricht? Dass er von Swingerpartys mit Ehefrauentausch schwärmt oder von seinen regelmäßigen Besuchen bei einer Domina?

Die Grenzen des Wohlverhaltens

Selbstverständlich darf niemand inner- und außerhalb der Bundeswehr aufgrund seiner Sexualität diskriminiert werden. Und es wäre auch keine gute Entwicklung, wenn Soldaten sich ihre privaten Datingprofile von Vorgesetzten genehmigen lassen müssen. Aber der Staatsbürger in Uniform, zumal der mit Führungsverantwortung, legt seine Verantwortung für das Ansehen der Streitkräfte nicht ab, wenn er diese auszieht.

Das ist der Gedanke hinter der „außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht“ im Soldatengesetz. So falsch ist er nicht. Auch wenn es in einer Gesellschaft, deren allgemeine Moralvorstellungen im Wandel sind und sich je nach Gruppenzugehörigkeit und Lebensgefühl erheblich voneinander unterscheiden, immer schwieriger wird, die Grenzen des Wohlverhaltens zu bestimmen. Die Leipziger Verwaltungsrichter haben es zumindest versucht.

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