Bundestagswahl - Wie Merkel Schulz in die Falle locken könnte

Kolumne Grauzone: Zwei Bundestagswahlen hat Angela Merkel dank der asymmetrischen Demobilisierung gewonnen. Mit dem Aufkommen der AfD und von Martin Schulz schien die Strategie dann an ihr Ende gekommen. Doch mit einem neuen Kniff könnte die Strategie wieder funktionieren

Aus Angst vor einem rot-rot-grünen Bündnis könnten viele Wähler ihr Kreuz bei der CDU machen / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Schon der Ausdruck wirkt wie ein Monstrum aus der Alchemistenküche der Politstrategen: asymmetrische Demobilisierung. Was so kompliziert klingt, ist der Sache nach aber ganz einfach. Im Kern handelt es sich um eine Wahlkampfstrategie, im weitesten Sinne um ein umfassendes politstrategisches Verhalten zur langfristigen Machtsicherung. Es basiert darauf, die potenzielle Anhängerschaft des politischen Gegners von der Wahlurne fernzuhalten – also zu demobilisieren.

Wie erreicht man das? Dafür bieten sich zwei Manöver an: Zum einen übernimmt man weitestgehend Positionen des politischen Konkurrenten. Zum anderen vermeidet man jede programmatische Provokation, klammert Reizthemen aus und verzichtet auf alles, was man als inhaltliche Festlegung verstehen könnte. Der gewünschte Effekt: Potenzielle Anhänger der politischen Mitbewerber sind nicht motiviert, ihre Stimme abzugeben und gehen lieber gleich in den Biergarten.

Die Königin und der Initiator

Da sich die narkotisierende Wirkung einer solchen Strategie jedoch auch auf die eigene Gefolgschaft auswirkt, wird eine sinkende Wahlbeteiligung nicht nur in Kauf genommen, sondern geradezu provoziert. Das entscheidende Kalkül dabei: Die Demobilisierung erfolgt eben asymmetrisch. Die Anzahl der eigenen Wähler nimmt ab, ihr Stimmenanteil jedoch steigt – die Wahl wird gewonnen.

Die unbestrittene Königin der asymmetrischen Demobilisierung war in den vergangenen Jahren ohne Zweifel Angela Merkel. Ob aus Kalkül, aus Überzeugung oder weil es schlicht ihrem Charakter entspricht – wer weiß das schon? Als Initiator dieser Strategie in Deutschland gilt Roland Pofalla. Der, jetzt Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn, war 2009 Generalsekretär der CDU und als solcher verantwortlich für den damaligen Bundestagwahlkampf. Doch auch hier gilt: Was Intention war und was den Umständen geschuldet, müssen irgendwann einmal Historiker entscheiden.

Strategie mit Verfallsdatum

Dass die asymmetrische Demobilisierung – zumindest vorläufig – in die Mottenkiste der Politstrategen gehört, ist anscheinend ausgemacht. Spätestens seitdem das politische Klima deutlich angeheizt ist und die AfD Wahlerfolge feiert, gilt das alte Erfolgsrezept als überholt. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die asymmetrische Demobilisierung gelingt nur für ein paar Jahre. Danach schlägt sie um in eine Sehnsucht nach eindeutigen Positionen, programmatischer Schärfe und klarer Kante. Die Frustration über die Konturlosigkeit der Politik nimmt zu. Die politischen Ränder werden gestärkt, die Mitte gerät in die Defensive. Aus der asymmetrischen Demobilisierung wird die asymmetrische Mobilisierung.

Mit dem zeitweiligen Hype um Martin Schulz schien sich die asymmetrische Demobilisierung als Wahlkampfstrategie der CDU endgültig erledigt zu haben. Denn in politisch aufgewühlten Zeiten ist die Strategie präsidialer Ruhe und einlullender Dekonfrontation leicht auszukontern. Man muss nur den Mut haben, den Schleier des Konsenses zu zerreißen und klare Frontlinien aufzumachen.

Der Umschwung

Doch dann kam die Saarlandwahl. Und auch wenn diese in ihrer Bedeutung nicht überschätzt werden sollte, so zeigte sie doch einen paradoxen Effekt: die asymmetrische Remobilisierung. Angestachelt durch die Euphorie der Sozialdemokraten stieg zwar deren Wählerzahl – noch stärker allerdings stieg die Anzahl derjenigen, die CDU wählten, um eine rot-rote Regierung zu verhindern.

Wenn nicht alles täuscht, könnte dieser paradoxe Effekt den Ausgang der Bundestagswahl entscheiden. Zwar gelänge es dem Hoffnungsträger aus Würselen, den Sozialdemokraten ein paar Prozentpunkte mehr zuzuspielen, doch besorgt von der Möglichkeit einer rot-dunkelrot-grünen Koalition würden noch mehr Wähler CDU wählen. Nicht so sehr, weil sie von einer weiteren Legislaturperiode Angela Merkels so beigeistert sind, sondern schlicht, um Schlimmeres zu verhindern.

Gute Ausgangslage für CDU

Der Ausgang der Wahl im September wird im Wesentlichen davon abhängen, in welchem Umfang es der Union gelingt, diese asymmetrische Remobilisierung ihrer potenziellen Wählerschaft zu organisieren und zu kommunizieren. Doch eines ist klar: Die Ausgangslage dafür ist nicht einmal schlecht.

Denn Martin Schulz hat sich schon jetzt in eine Falle hineinmanövriert: Zu deutlich kokettiert die SPD mit einem Linksbündnis. Zu sehr ist er aufgrund seiner Rhetorik verpflichtet, sich – und sei es unausgesprochen – auf eine Koalition mit der Linkspartei festzulegen. Für eine asymmetrische Remobiliserung wahlmüder CDU-Sympathisanten ist das eine ideale Ausgangssituation. Dies gilt umso mehr, als zahlreiche Umfragen und Erhebungen zeigen, wie gut es den Deutschen geht und wie optimistisch sie ihre persönliche Zukunft sehen.

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