Fragestunde im Bundestag mit der Kanzlerin - Einmal Teflon, immer Teflon

Um die Debatten im Bundestag zu beleben, hat die Bundesregierung eine Fragestunde eingeführt. Abgeordnete fragen, die Kanzlerin antwortet. Damit die Opposition besser zum Zuge kommt, darf sie jetzt auch nachhaken. Aber streut das Sand in die gut geölte Abstimmungsmaschine?

Nicht ohne meine Raute: In einer Fragestunde im Bundestag markierte die Bundeskanzlerin markierte ihr Revier / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Teflon ist hitze- und frostbeständig. An Teflon perlt alles ab – Säure,  Benzin, ja, auch Fragen. Sogar die Frage eines AfD-Abgeordneten, die wie eine Pistolenkugel durch die Luft schwirrt: „Gestehen Sie ein, dass es Zeit ist, dass Sie weg müssen?“ Teflon ist der beste Schutz, wenn man sich als Bundeskanzlerin in einer Fragestunde den Fragen des Parlaments stellt. Und Angela Merkel wäre nicht immer noch Bundeskanzlerin, wenn sie diese Schicht nicht sorgsam pflegen würde.

Dreimal im Jahr nun aber, so hatte es die SPD im Koalitionsvertrag verankert, dürfen die Abgeordneten die Bundeskanzlerin jetzt löchern. Die Teflon-Schicht der Kanzlerin soll endlich ein paar Kratzer abbekommen. Zu gut geölt wirkte die parlamentarische Abstimmungsmaschine. Sie verschaffte der Kanzlerin Mehrheiten. Sie winkte Vorlagen der Ministerialbürokratie durch. Schnell, effektiv, geräuschlos. Wo bleibt da die Auseinandersetzung, das Spontane, das Unvorhergesehene? Gestritten wird nur noch im Fernsehen, in den TV-Talkshows. Hart, aber unfair.

Speeddating mit Angela  

Diese Lücke also soll die Kanzlerinnen-Fragestunde schließen. Eine gute Idee, zumindest in der Theorie. Doch ihre Umsetzung gestaltet sich schwierig. Diese Erfahrung hatten die Parlamentarier schon bei der Premiere im Juni dieses Jahres gemacht. Dreißig Fragen. Dreißig Antworten. Mehr passten in sechzig Minuten nicht rein. Speeddating  mit Angela. Das Format entlarvte die Kanzlerin nicht. Im Gegenteil: Es kam ihrem Talent entgegen, unliebsamen Fragen auszuweichen oder sie einfach an sich abperlen zu lassen. Was, die Redezeit ist schon herum? Next, please.

Unter diesen Bedingungen konnte die Opposition nicht punkten. FDP, Linke und Grüne forderten deshalb das Recht, Nachfragen zu stellen, um Waffengleichheit zu schaffen.  Von diesem Recht machten die Parteien nun in der zweiten Fragestunde zum Jahresende ausgiebig Gebrauch. Aber wurde die Diskussion dadurch lebendiger?

Falle: UN-Migrationspakt

Schalten wir uns kurz in die Debatte ein. Man kann die Kanzlerin gar nicht übersehen. Sie trägt ein rotes Sakko. Sie steht da wie ein Leuchtturm inmitten der Brandung, und jede Welle prallt an ihr ab. Vor der Fragestunde gibt sie einen kurzen Rückblick auf den G20-Gipfel und einen Ausblick auf die bevorstehende Sitzung des Europarates.Ein geschickter Schachzug. Thematisch hat Angela Merkel damit die Weichen in Richtung Außenpolitik gestellt. Keine Fragen zum Streit in der CDU. Keine Fragen zur Zukunft der Groko. Keine Fragen zum umstrittenen Paragraphen 219 a. 

Es geht um den Brexit, um den UN-Migrationspakt oder um die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich. Die Klaviatur dieser Themen beherrscht Angela Merkel, die Antworten könnte sie auch noch im Schlaf aus dem Ärmel schütteln. Ja, der UN-Migrationspakt betone, was die Bundesregierung ausgehandelt habe. Aber der Streit um das Abkommen sei mit Falschinformationen befeuert worden. Und die – sie sagt das an die Adresse des AfD-Abgeordneten Martin Hebner – „sind auch aus Ihren Reihen gekommen.“

Noch Fragen? 

Das ist die Merkel, wie man sie kennt. In den Bundestag könnte ein Meteorit krachen und alles in Schutt und Asche legen, sie bleibt ganz cool. Wie es wirklich in ihr aussieht, ahnt man, als sie die Nachfrage Hebners kontert, was sie denn dazu sage, dass einige UN-Mitglieder sich geweigert hätten, das Abkommen zu unterzeichnen. „Die Zahl der EU-Staaten, die den Pakt angenommen haben, ist größer als die, die ihn abgelehnt haben. Wollen wir nachzählen?“ Lautes Gelächter im Saal. Dieser Punkt geht an Merkel – wie die meisten in dieser Stunde. Wenn dies ein Kasperle-Theater ist, dann ist Merkel das Krokodil. Jedes Mal, wenn man denkt, sie sei nur physisch anwesend, schnappt sie plötzlich zu. 

Eine, die das auch zu spüren bekommt, ist Franziska Brantner von den Grünen. „2018 war ein verlorenes Jahr für Europa“, lamentiert sie. Wo bleibe denn der Aufbruch, den die Kanzlerin versprochen habe. „Sie verkaufen Tippelschritte als die große Antwort.“ Merkel macht jetzt das, was sie immer macht. Sie drückt auf einen versteckten Knopf und spult die Phrasenmaschine ab. Eurozonen-Budget. Bankenunion. Mobilitätspakt für Spediteure. Mehr Schlagworte passen nicht in 60 Sekunden. Die Zeit reicht nicht, um komplexe Zusammenhänge zu erklären. Glück für Merkel, Pech für die Opposition. Aber Franziska Brantner gibt nicht auf. Ob das denn noch auf der Höhe dessen sei, was Europa brauche, hakt sie nach. Und jetzt spielt die Teflon-Kanzlerin ihre größte Trumpfkarte aus. Bei einer Minute Antwortzeit sei es ihr nur möglich, ein halbes Prozent dessen darzustellen, was sie schon erreicht habe.

Noch Fragen?

Sehen Sie hier die Fragestunde:

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