Bundesparteitag - Showtime bei den Grünen

Auf ihrer digitalen Bundesdelegiertenkonferenz haben sich die Grünen drei Tage lang als Kanzlerpartei im Wartestand präsentiert. Die Regie stimmte – jedenfalls fast. So war die Wahlkampfrede der Kanzlerkandidatin nicht mehr als solide. Der Bundesvorsitzende stellte sie rhetorisch in den Schatten.

Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, beim digitalen Parteitag Foto: Kay Nietfeld/dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Die Botschaft der digitalen Bundesdelegiertenkonferenz, wie die Grünen ihre Parteitage nennen, war eindeutig: Wir wollen im Bund endlich wieder regieren, wollen erstmals das Kanzleramt erobern. Dementsprechend präsentierten sie sich jetzt drei Tage lang als Kanzlerpartei im Wartestand, geradezu staatstragend, die Menschen umarmend.

Es war eine perfekt orchestrierte Show, wie sie auf einem normalen Parteitag mit Tausenden Teilnehmern und vielen Hinterzimmer-Deals gar nicht möglich gewesen wäre. Die schöne neue digitale Welt hat eben ihre Vorzüge. Da kann kein böser Zwischenruf aus der Tiefe des Raumes kommen, kein grummelnder Delegierter plötzlich ein Plakat in die Höhe halten, um seinen Missmut zu artikulieren. Nein, digital läuft das alles harmonisch ab: die Hauptakteure idyllisch in einem künstlich angelegten Garten mit Sommerblumen platziert, die Pausen von zwei professionellen Moderatoren gefällig plaudernd überbrückt. So schön kann eine Parteitagsshow sein, wenn die Regie klappt. Bei den Grünen war das der Fall – jedenfalls fast.

Regieelement 1: Sprechen wie die Mehrheit

Die Grünen wollen vor allem bei den Wählern der Mitte, nicht zuletzt bei denen von CDU und CSU, Sympathiepunkte sammeln. Deshalb verzichtete die Parteiprominenz konsequent auf das Gendern. Annalena Baerbock hatte, als sie noch nicht „Kanzler:innenkandidat:in“ war, mal mit dem „Bund der Steuer-Innen-Zahler“ eine sprachakrobatische Bruchlandung hingelegt.

Aber als angehende Staatsfrau sprach sie ebenso wie das Grünen-Establishment jetzt von Bürgerinnen und Bürgern, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Mieterinnen und Mietern. Das hielt einige Delegierte nicht davon ab, bei ihrer „gendergerechten“ Wortmeldungen das „Binnen-I“ mit Hilfe einer Schluck-auf-Pause zu integrieren. Aber die Botschaft war klar: Die künftige Kanzlerin spricht wie ihr Volk, nicht wie die Bewohner der „Gender-Studies-Blase.“

Regieelement 2: Deutschland bleibt Deutschland

„Deutschland. Alles ist drin.“ So lautete der Entwurf des Wahlprogramms. Das war vielen linken Delegierten zu viel Deutschtümelei. Sie stellten den Antrag, „Deutschland“ zu streichen. Wie deutsch darf man als deutsche Partei noch sein? Was hätte das für eine Debatte werden können! Gut möglich, dass die Befürworter der Streichung Robert Habeck zitiert hätten. Der schrieb 2010: „Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen. Ich wusste mit Deutschland noch nie etwas anzufangen und weiß es bis heute nicht.

Ja, das hätte peinlich werden können. Wenn auf der Krönungsmesse für die erste grüne Kandidatin für das Amt der Regierungschefin der „Bundesrepublik Deutschland“ die grüne Deutschland-Frage für Schlagzeilen gesorgt hätte. Ob die Parteitagsregie viel Zuckerbrot oder gar die Peitsche eingesetzt hat? Sie war jedenfalls erfolgreich. Der Antrag wurde sang- und klanglos zurückgezogen. Die schwarz-rot-goldene Flagge im Schrebergarten soll niemanden davon abhalten, auf Grün zu setzen.

Regieelement 3: Ja nicht zu links erscheinen

Einem nicht unerheblichen Teil der Delegierten – 20 bis 30 Prozent – war der Programmentwurf in vielen Punkten nicht links genug. Sie forderten beispielsweise eine Erhöhung des CO2-Preises auf 120 Euro je Tonne, Tempolimits von 70 Stundenkilometern auf Landstraßen und 100 auf Autobahnen, das Diesel-Aus schon 2025, eine sofortige Erhöhung von Hartz IV um 200 Euro, einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent oder einen Mindestlohn von 13 Euro. Das alles wurde abgelehnt. Und die meisten Medien feierten die ach so vernünftigen Grünen.

Das hätten die Wahlstrategen nicht besser orchestrieren können. Das Nein zu noch radikaleren Forderungen verdeckte wunschgemäß die Tatsache, dass die Grünen ein dezidiert linkes Wahlprogramm verabschiedet haben. Ein Spitzensteuersatz von 48 Prozent, die Besteuerung von Vermögen, die Umwandlung von Hartz IV in ein bedingungsloses Grundeinkommen, ein Mindestlohn von zwölf Euro und nicht zuletzt eine Klimapolitik, die die Belastbarkeit der Wirtschaft testet. Um einen alten Slogan der SPD-Linken aufzugreifen: Wenn das kein linkes Programm ist, was dann? Dies alles könnten die Grünen mit SPD und Linkspartei viel leichter verwirklichen als mit CDU/CSU oder FDP.

Ganz abgesehen davon: Ab und zu ein paar linke Zwischentöne können helfen, die vielen „Fridays for Future“-Aktivisten bei der Stange zu halten. Deren klimapolitische Forderungen reichen weit über das grüne Wahlprogramm hinaus. Aber bei den Grünen finden sie immerhin Gehör, wenn auch nicht zwangsläufig Zustimmung.

Regieelement 4: Einigkeit macht stark

Jede Partei tut alles, dass ihr Spitzenkandidat in hellem Licht erstrahlt, dass er umjubelt wird, dass er wie der sichere Sieger aussieht. Nach Baerbocks Pannenserie wagte die Parteitagsregie es aber nicht, die selbst ernannte Kanzlerkandidatin in geheimer Wahl zu bestätigen. So kam man auf die trickreiche Idee, in einem Wahlgang über das Spitzenduo Baerbock/Habeck mit Baerbock als Kanzlerkandidatin abstimmen zu lassen. Diese Einheitsliste bekam 678 von 688 Stimmen – und der schöne Schein war gewahrt.

Eines ging freilich unter: Von den 820 Delegierten beteiligten sich mehr als 100 nicht an der Abstimmung. Das dürften eher Baerbock-Skeptiker als Baerbock-Fans gewesen sein. Doch das brauchte die Regisseure nicht zu stören. Die magischen 98,5 Prozent überstrahlten medial alles – wie gewünscht und wie geplant.

Der einzige Regiefehler: Baerbocks Rede

Robert Habeck hat keinen Hehl daraus gemacht, dass er liebend gern Kanzlerkandidat geworden wäre. Als Baerbock aber die Frauenkarte zog, hatte er als Mann in einer Partei, für die das richtige Geschlecht das ausschlaggebende Kriterium ist, keine Chance mehr. Seitdem unterstützt er die Kandidatin recht loyal. Auch auf dem Parteitag, als er „Kameradschaft und Solidarität“ einforderte.

Doch bei aller Loyalität: Robert konnte zum Auftakt nicht einfach eine schlechte Rede halten, um Annalena am nächsten Tag umso mehr erstrahlen zu lassen. Im Gegenteil: Er hielt die Kanzlerkandidaten-Rede, zeigte bewusst, dass er rhetorisch nur schwer zu schlagen ist. Baerbock brachte dagegen nur eine solide, weitgehend abgelesene Wahlkampfrede zustande. Die war freilich besser als ihre eigene Benotung mit dem Sch-Wort.

Als ehemalige Trampolin-Sportlerin weiß Baerbock, dass es im Wettkampf stets zwei Noten gibt: für den Schwierigkeitsgrad und die Haltung. Doch ihre Redenschreiber hatten zu sehr auf Sicherheit gesetzt, was zu einer niedrigen Bewertung der Schwierigkeit führt und zu keiner guten Gesamtnote. So ist das eben: Selbst grüne „Regisseur:innen“ sind nicht perfekt.

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