Bundesparteitag der CDU - Wiedervereint

Der Showdown zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz blieb aus. Die Parteivorsitzende überzeugte die Christdemokraten mit der Forderung, dass ein Ruck durch Deutschland gehen müsse. Sogar ihr größter Konkurrent sagte ihr seine Unterstützung zu

Luftküsse an die Partei: AKK geht gestärkt vom Parteitag nach Haus / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Sie müsse, so hieß es hier gestern im Vorblick auf den CDU-Parteitag, in Leipzig die zweite Rede ihres Lebens halten. Einen Tag später kann man sagen: Es ist ihr gelungen. Die zuletzt schwer angeschlagene Vorsitzende hat sich mit kämpferischen, nach vorne gerichteten Worten vor die Delegierten gestellt. Und nach einer mehr als einstündigen Rede schließlich standing ovations bekommen. Die Partei (zumindest deren in Leipzig anwesenden Vertreter) hat sich geschlossen hinter Annegret Kramp-Karrenbauer versammelt; die Führungskrise der Union scheint aufs erste gelöst. AKK geht gestärkt von diesem Parteitag nach Hause. Sie muss den Aufwind jetzt aber dazu nutzen, um auch dauerhaft an Flughöhe zu gewinnen. Es wäre falsch, sie da zu unterschätzen.

Der Showdown mit Friedrich Merz blieb aus; er selbst war es, der AKK ausdrücklich seine Anerkennung zollte. Frisch, mutig und zukunftsgewandt nannte er die Rede seiner Vorsitzenden, beteuerte ihr gegenüber seine Loyalität. Und wiederholte sein Angebot an die Partei: „Wenn Sie wollen, dass ich dabei bin, bin ich dabei!“ Es gehe ihm nicht um seine Person. Natürlich machte Merz, der nach AKK als sechster ans Mikrofon trat, deutlich, dass er der überlegene Redner ist – vielleicht sogar der beste Redner seiner Partei.

Brillianter Rhetoriker 

Merz versteht es, mitreißend zu sprechend, pointiert zu formulieren, die Leute auch inhaltlich zu begeistern. Eigentlich kann die CDU, zumal in ihrer jetzigen Lage, auf einen wie ihn nicht verzichten. AKK und Merz wären beide gut beraten, wenn sie miteinander eine auskömmliche Lösung fänden.

AKK hat ihren Führungsanspruch untermauert und wurde von den Delegierten darin bestätigt. Wenn sie jetzt auf Merz zugehen und ihm beispielsweise das Wirtschaftsministerium anbieten würde, könnte die Hängepartie der CDU elegant beendet werden. Dann müsste der Sauerländer zeigen, wie ernst es ihm mit seinem Angebot ist, der CDU selbstlos zu dienen.

Gegen Ende ihrer Rede hatte AKK die verfeindeten Flügelgruppen der CDU ins Visier genommen, Werte-Union wie Union der Mitte gleichermaßen.

Ringen um einen neuen Kurs

Solche innerparteilichen Abspaltungen schadeten dem Gesamtbild der CDU. „Es gibt nur eine Werte-Union, und das ist die CDU Deutschlands“, rief sie den Delegierten zu und erhielt dafür dröhnenden Applaus. Merz beleuchtete die Sache ein bisschen anders: Am besten wäre es, wenn es solche Untergruppen überhaupt nicht bräuchte. Lauten Applaus gab es auch dafür. Ein klares Zeichen, dass die Delegierten die Flügelstreitigkeiten in ihrer Partei satt haben.

Die schlechten Wahl- und Umfrageergebnisse scheinen den an der Macht ausgerichteten Pragmatismus der Union neu belebt haben. In Leipzig war förmlich mit Händen zu greifen, wie die Partei am Ende der Ära Merkel mit sich ringt und einen neuen Kurs sucht. Dieser Parteitag könnte da ein wichtiger Schritt in die Zukunft gewesen sein. Die Bundeskanzlerin spielte in Leipzig übrigens keine große Rolle; ihr nichtsagendes Eingangsstatement wurde zwar mit freundlichem Applaus bedacht. Furios gefeiert wurde Merkel aber nicht.

Schluss mit „Weiter so!“

Das Kunststück von AKKs Rede bestand darin, die gegenwärtige Regierungsarbeit zu kritisieren, ohne dass es wie ein Affront gegenüber der Regierungschefin wirkt. Außerdem sitzt Kramp-Karrenbauer ja auch selbst am Kabinettstisch. Und so schilderte sie in aller Ausführlichkeit, wie sie sich Deutschland in zehn Jahren vorstellt. Indirekt machte sie auf diese Weise deutlich, dass es ein „Weiter so!“ nicht geben dürfe; dass die von Merkel angeführte Regierung dabei ist, die Zukunft des Landes zu verspielen.

Und so spannte die Parteivorsitzende einen ganz großen Bogen, dessen Leitmotive Mut, Zuversicht, Leistung und Innovation waren. Im Prinzip handelte es sich um eine Wiederauflage des berühmten Leipziger Parteitags des Jahres 2003, bei dem Merkel als Oppositionsführerin zum Sturm aufs Kanzleramt geblasen hatte. Mit dem kleinen Unterschied, dass sie anno 2019 seit inzwischen 14 Jahren genau dort sitzt. Ein leicht bizarres Szenario.

Vom Reparaturbetrieb zur Zukunftswerkstatt

AKK jedenfalls sprach davon, die CDU dürfe sich nicht mehr als „Reparaturbetrieb der Republik“ verstehen, sondern müsse zur „Zukunftswerkstatt“ werden. Sonst riskiere man, dass das Land in zehn Jahren abgehängt sei. Agiler müsse die Bundesrepublik werden, die Köpfe solle man arbeiten lassen: „Wir sind doch nicht dümmer geworden!“ Der Ruck-Charakter in AKKs Zukunftsvision reichte von einer geringeren Steuerlast über Bürokratieabbau, beschleunigte Genehmigungsverfahren, Digitalisierung und etwas randständig erscheinende Themen wie „Quantenkryptologie“ bis hin zu einer Neujustierung des überbordenden Sozialstaats und größerer internationaler Verantwortung.

Nur mit einem klaren Bekenntnis zu Technologie, besserer Bildung und Innovation lasse sich die Zukunft der Bundesrepublik gewinnen und der Wohlstand wahren – und nicht zuletzt auch der Klimawandel bekämpfen. Die CDU-Vorsitzende beklagte, dass die Bürger in den vergangenen Jahren das Vertrauen in den starken Staat verloren hätten. Dagegen müsse etwas unternommen werden, Regeln seien keine unverbindlichen Handlungsanweisungen. Das heikle Thema Migration sparte AKK in diesem Zusammenhang allerdings komplett aus. Stattdessen bekräftigte sie ihre jüngste Initiative zu einer Schutzzone in Syrien. Deutschland dürfe sich international nicht wegducken. Deswegen bekannte sie sich auch ausdrücklich zur Nato und den zugesagten Rüstungsausgaben.

„Stützt mich!“ oder „Stürzt mich!“

Kramp-Karrenbauer zeichnete in Leipzig also das Bild eines starken, verantwortungsbewussten, innovativen Deutschlands; einer Bundesrepublik, die Kinder und Familien bestärkt und nur dann Hilfe leistet, wenn der einzelne Bürger sich nicht selbst helfen kann: Subsidiarität als Vernunftprinzip und leitendes Motiv der katholischen Soziallehre. Am Ende dann ein ziemlich schlauer Schachzug: Wer ihre Vision der künftigen Bundesrepublik nicht teile, der solle das in Leipzig offen sagen. „Dann lasst uns das hier und heute beenden!“ Das war eine wenig verklausulierte Rücktrittsdrohung nach dem Motto: Stützt mich oder stürzt mich. Die Delegierten entschieden sich eindeutig fürs Stützen. Wenn die gesamte Partei sich diesem Kurs anschließen sollte, könnte nicht nur die Bundesrepublik, sondern auch AKK selbst eine gute Zukunft haben. Aber mit einem erfolgreich verlaufenen Parteitag allein ist es eben längst nicht getan.

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