Bruchlandung im Stadion - „Finanzamt muss Greenpeace die Gemeinnützigkeit entziehen“

Nach der lebensgefährlichen Protestaktion im EM-Stadion streiten Politiker über die Steuerbegünstigung des Umweltschutz-Vereins. Doch die Rechtslage sei eindeutig, meint Staatsrechtler Sebastian Müller-Franken. Wer solche Straftaten plant, könne nicht gemeinnützig sein.

Gemeinnützig oder gemeingefährlich? Abgestürzter Greenpeace-Aktivist wird in München vom Spielfeld geführt / dpa
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Zwei Tage nach der gefährlichen Bruchlandung eines Greenpeace-Aktivisten im Münchner EM-Stadion hat sich Annalena Baerbock zur der missglückten Protestaktion geäußert. „Diese Stadion-Aktion war natürlich total daneben und unverantwortlich und ist hart zu kritisieren“, sagte die Kanzlerkandidatin der Grünen am Donnerstag bei der Vorstellung ihres neuen Buchs.

Laut des auf ihrer Internetseite veröffentlichten Lebenslaufs ist Baerbock selbst Mitglied der Umweltschutzorganisation, die immer wieder durch gezielte Gesetzesbrüche öffentliche Aufmerksamkeit erregen will.

Am Dienstagabend war ein Motorschirm-Flieger kurz vor Anpfiff des EM-Spiels Deutschland gegen Frankreich über das mit zahlreichen Zuschauern besetzte Fußballstadion geflogen und stürzte schließlich auf das Spielfeld. Zwei Männer wurden verletzt. Greenpeace erklärte, technische Probleme an dem Elektro-Fluggerät hätten den Piloten zur Notlandung gezwungen.

Unions-Politiker fordern Konsequenzen

Mehrere Politiker, darunter Friedrich Merz (CDU) und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), stellten daraufhin die steuerliche Begünstigung von Greenpeace in Frage. „Nach dem Vorfall von gestern mit einer ernsthaften Gefährdung der Stadionbesucher wird es Zeit, die Gemeinnützigkeit von Greenpeace zu überprüfen. Den beiden Verletzten wünsche ich baldige Genesung!“, schrieb Merz am Mittwoch auf Twitter.

Dagegen wiederum wehrte sich nun Grünen-Chefin Baerbock. „Ich erlebe ja gerade, was hier politische Wettbewerber gerade für Spiele treiben“, sagte sie bei ihrer Buchvorstellung. Zur Frage der Gemeinnützigkeit von Organisationen gebe es klare gesetzliche Regelungen, die jeder Politiker kennen solle.

Von Karneval bis Naturschutz

Diese Regeln gibt es. Sie sind in der bundesweit geltenden Abgabenordnung festgelegt. Darin heißt es: „Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern.“

Im Anschluss werden eine ganze Reihe von gemeinnützigen Zwecken aufgelistet. Von der „Förderung der Tierzucht, der Pflanzenzucht, der Kleingärtnerei, des traditionellen Brauchtums einschließlich des Karnevals, der Fastnacht und des Faschings“ bis zur „Förderung des Naturschutzes“, auf den sich Greenpeace wohl bezieht.

Für die An- oder Aberkennung der Gemeinnützigkeit sind die Finanzbehörden am jeweiligen Vereinssitz zuständig. Der deutsche Greenpeace-Verein hat seinen Sitz in Hamburg.

Spendenbereitschaft würde sinken

Hauptvorteil der Gemeinnützigkeit ist, dass Geldgeber ihre Spenden von der Steuer absetzen können. Fällt dieses Privileg, sinkt auch die Spendenbereitschaft. Zudem kann es passieren, dass Steuern nachgezahlt werden müssen. So erging es etwa dem Deutschen Fußballbund (DFB), dem nach dem Korruptionsskandal um die Vergabe der WM 2006 rückwirkend die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde.

Sebastian Müller-Franken, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Marburg, hält den Fall Greenpeace für „ziemlich eindeutig“. Gemeinnützigkeit setze Rechtstreue voraus, sagt der Steuerrechtsexperte. „Straftaten zu planen, ist keine Förderung der Allgemeinheit. Zumal dann nicht, wenn es sich um gemeingefährliche Taten wie den Flug auf das Fußballstadion handelt.“

Vereinssitz Hamburg könnte für Aktivisten von Vorteil sein

„Eigentlich ist daher klar: Das Finanzamt muss Greenpeace die Gemeinnützigkeit aberkennen, wenn Organe des Vereins oder von diesen beauftragte Personen Kenntnis von dieser Aktion hatten“, sagt der Jurist. „Liest man sich die Stellungnahme von Greenpeace hierzu durch, so wussten sie allerdings davon und bedauern nur den unglücklichen Ausgang.“

Müller-Franken weiter: „Aber Behörden sind politisch weisungsgebunden. Es kann daher für Greenpeace von Vorteil sein, dass der Verein seinen Sitz in Hamburg hat und nicht in München.“

Eine Klagemöglichkeit für einzelne Bürger oder Steuerzahlerverbände gebe es nicht, erklärt er. „Wenn die zuständige Behörde nicht reagiert, lässt sich auf dem Rechtsweg nichts dagegen tun.“

Attac hat Gemeinnützigkeit verloren, gibt aber nicht auf

Die Steuerbegünstigung von politischen Vereinen ist schon länger umstritten. So hat der Bundesfinanzhof 2019 nach jahrelangem Rechtsstreit dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac die Gemeinnützigkeit aberkannt.

Das Gericht urteilte, dass die von Attac geführten Kampagnen keine gemeinnützige politische Bildungsarbeit sind. Tagespolitischer Aktivismus zähle nicht zu den gemeinnützigen Zwecken. Schließlich seien auch politische Parteien im Steuerrecht nicht gemeinnützig.

Das letzte Wort ist in diesem Streit allerdings noch nicht gesprochen. Attac hat Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingelegt. Und im Bundestag wird über eine Änderung der Abgabenordnung diskutiert. Die SPD will dabei klarstellen, dass sich Steuerbegünstigung und politische Tätigkeit nicht ausschließen.

Diese Diskussion hat allerdings nur am Rande mit dem zu tun, um was es nach der Greenpeace-Bruchlandung im Fußballstadion geht. „Straftaten, bei denen Menschenleben riskiert werden, können auf keinen Fall als gemeinnütziger Zweck gelten“, sagt Rechtswissenschaftler Müller-Franken. 

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