Bildungspolitik - Judenhass im Klassenzimmer

Der antisemitische Hass, der sich immer wieder bei Palästina-Demos auf deutschen Straßen zeigt, ist schon seit langem auch an den Schulen angekommen. Die Schule muss hier ein Teil der Lösung werden: indem der Antisemitismus von Schülern mit Migrationshintergrund zum Thema gemacht und die Jugendlichen mit positiven Vorbildern bekannt gemacht werden.

Antisemitische Kritzeleien im Klassenzimmer / dpa
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Autoreninfo

Benjamin Franz ist Autor („Islam und Schule“, 2019), Hauptschullehrer und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der TU Braunschweig. Dort plant er in Kürze die Eröffnung einer Fachstelle für weltanschaulich-interreligiöse Kompetenz. 
Bild: Michaela Krüger/TU Braunschweig

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In einer traurigen und bedenklichen Regelmäßigkeit ereignen sich auf deutschen Straßen Szenen, die der moralischen Selbstverpflichtung des „Nie wieder!“ in krassester Weise entgegenstehen. Schon eine YouTube-Recherche unter Suchbegriffen wie „Al-Quds-Tag Berlin“ oder „Palästina-Demo“ bestätigt diesen Eindruck. Es ist einerlei, ob das jeweilige Video nun vor sieben Jahren, vor vier Jahren, vor zwei Jahren oder jüngst hochgeladen wurde, die Bilder gleichen sich. Aufgebrachte, wütende, teils hasserfüllte Menschen. Brennende Israelfahnen. Schilder und Ausrufe, die man ob ihres dumpfen Juden- und Israelhasses nicht zu zitieren wagt. Das alles auf deutschen Straßen – und mittendrin Kinder, Jugendliche, junge Menschen. Viele davon dürften in Deutschland geboren sein, die deutsche Staatsbürgerschaft anstreben oder besitzen und hiesige Schulen besuchen. Und selbstverständlich zeigt sich ihre antisemitische Wut auch in unseren Klassenzimmern und auf unseren Schulhöfen. Eine riesige Aufgabe für Schulpolitik und Pädagogik.  

Die Probleme sind schon länger sichtbar 

Wer will, kann diese Probleme sehen. Schon länger. „Religiöses Mobbing: Zweitklässlerin von Mitschüler mit dem Tode bedroht“, titelte die Berliner Zeitung 2018. „Nicht nur in Berlin: Hass auf Juden an deutschen Schulen – Eltern schildern erschütternde Vorfälle“, schrieb der Stern, ebenfalls 2018. Und letztes Jahr konstatierte Die Zeit: „,Du Jude‘ gehört zu den häufigsten Schimpfwörtern auf deutschen Schulhöfen“. Das sind nur drei von zahlreichen Schlagzeiten diesbezüglich aus der jüngeren Vergangenheit. Und nicht zuletzt beim Lesen der Dokumentation „Salafismus und Antisemitismus an Berliner Schulen: Erfahrungsberichte aus dem Schulalltag” des American Jewish Committee Berlin (2017) sollte sich die Frage stellen, wie sehr das, was doch nach den Lehren aus der deutschen Geschichte eigentlich nie wieder passieren sollte, hierzulande anscheinend wieder zur Normalität zu werden scheint.  

Klar ist: Antisemitismus ist ein Problem der gesamten Gesellschaft. Er wäre es auch, wenn keine Migranten in Deutschland leben würden. Doch die geschilderten Probleme müssen zwingend auch im Zusammenhang mit dem in der islamischen Welt verbreiteten Antisemitismus gesehen und vor allem diskutiert werden. Und genau hier kann einen das Gefühl beschleichen, dass man an dieser Stelle den sprichwörtlichen Elefanten im Raum stehen hat.  

Schulen als Teil der Lösung 

Das Problem des Antisemitismus und Israelhasses zeigt sich mitunter deutlich in unseren Schulen. Aber auch die Lösung dieses Problems liegt in den Schulen. An keinem anderen Ort in unserer Gesellschaft kann das gelingende Zusammenleben verschiedenster Herkünfte, Religionen, Weltanschauungen oder Einstellungen so gut eingeübt werden wie dort. Nirgendwo anders und auf keine andere Weise kann der Staat noch so viel Einfluss auf die Haltungen seiner Bürger nehmen wie durch die direkte Zusammenarbeit von sachkompetenten Lehrern und Schülern.   

Ganz ketzerisch könnte man diese Frage in den Raum stellen, doch die Antwort ist klar. Daher sind aus meiner Sicht als erste Maßnahme die folgenden zwei Punkte zwingend und umgehend umzusetzen.  

Erstens: Eine spürbare Weitung des Diskursraumes und stärkere Beachtung des kulturell-religiös geprägten Antisemitismus von Menschen mit Migrationshintergrund. Bundes-, Landespolitik und Medien müssen dies zum Thema machen. Dies sind sie nicht nur ihren jüdischen Mitbürgern schuldig, sondern auch jenen Muslimen und Migranten, die sich nicht mit antijüdischen Hassparolen identifizieren und trotzdem qua Herkunft, Aussehen oder Religion mit den Protestierern in einen Topf geschmissen werden. 

Zweitens: Den Bildungssektor präventions- und reaktionskompetent machen. Erzieher und Lehrer können im Kampf gegen Antisemitismus entscheidende Kräfte sein. Jedoch müssen für eine entsprechende Kompetenzentwicklung die jeweiligen Maßnahmen eingeleitet werden. In der Lehrerausbildung, sprich in Studium und Referendariat, muss die Auseinandersetzung mit Antisemitismus, seinen Ursachen, Erscheinungsformen und Reaktionsmöglichkeiten ein Pflichtbestandteil sein. Aus meiner Erfahrung als Dozent in der Lehrerausbildung und Fortbildung sind jüdische Geschichte, die Geschichte Israels oder Fragen des Nahostkonflikts zu oft blinde Flecken. Hier braucht es einen systematischen Aufbau von Fachkompetenz.  

Es braucht praxisnahe Mittel

Doch dem Problem darf nicht allein in theoretisch-textbasierter Form begegnet werden: Trainings, Rollenspiele, die Vorgabe von Dialogmustern und Redemitteln – es braucht maximal praxisnahe Mittel, um Lehrkräfte schnellstmöglich kompetent zu machen. Wenn möglich, sollten dabei Externe hinzugezogen werden – auch oder vor allem für die direkte Auseinandersetzung mit den Jugendlichen. Schule ist der optimale Raum für entsprechende Dialogformate. Für solche eignen sich zum Beispiel Muslime, die einerseits die üblichen Identitätskonflikte von jungen Muslimen sowie gängige antisemitische und israelfeindliche Narrative kennen, andererseits aber ihren Weg in dieser Gesellschaft gemacht haben und den Jugendlichen als positives Vorbild dienen können. Am Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der TU Braunschweig starten wir in Kürze ein entsprechendes Projekt.   

Nachdem Schulen den Corona-Modus langsam verlassen, muss der Blick auf den Antisemitismus junger Menschen aus unserer Gesellschaft gerichtet werden. Die Reaktion auf antisemitische und israelfeindliche Zwischenfälle auf deutschen Straßen darf kein ritualisiert-betroffenes „Nie wieder“ sein. Die Zeit zum Handeln ist jetzt! Wie richtig dieser Satz ist, zeigt sich, wenn man kurz darüber nachdenkt, was passiert, wenn man eben nicht jetzt handelt.

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