Bauernproteste - „Wir wollten mit Habeck einfach vernünftig schnacken“

Die Anlegestelle Schlüttsiel ist zum Symbol für eine angebliche Eskalation der Bauernproteste geworden. Der Landwirt Jan Küntzler war dabei. Ein Gespräch über Subventionen, Extremisten und unterschiedliche Interpretationen zu den Geschehnissen am Deich.

Videoaufnahme vom Protest in Schüttsiel / dpa
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Autoreninfo

Jakob Ranke ist Volontär der Wochenzeitung Die Tagespost und lebt in Würzburg. Derzeit absolviert er eine Redaktions-Hospitanz bei Cicero.

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Jan Küntzler, 36, stand am Anleger Schlüttsiel ganz vorne, als Robert Habeck nicht von der Fähre kam. Von Gewalt distanziert er sich. Doch seine Frustration mag der Familienvater, der einen Bauernhof mit drei Angestellten und 160 Milchkühen führt, nicht verbergen. 

Herr Küntzler, der Geschäftsführer des Fährunternehmens hat sich mit den Worten zitieren lassen, dass die Fähre mit Habeck wieder abgelegt habe, sei keine Minute zu spät gewesen. Sonst wäre der „Mob“ an Bord gewesen, „mit nicht auszudenkenden Folgen“. War unser Vizekanzler am Donnerstagabend vergangener Woche in Gefahr?

Nein, jedenfalls nicht wegen den Bauern, die da waren. Von uns ging keine Gefahr aus.

Die Staatsanwaltschaft Flensburg ermittelt wegen Nötigung gegen unbekannt. Sie finden, Habeck hatte keinen Grund, sich zu ängstigen?

Naja, klar haben welche getrillert und gepfiffen und die Sirene heulen lassen. Aber einfach, um Habeck zu sagen, komm raus, wir wollen mit dir reden!

Wie haben Sie eigentlich erfahren, dass Herr Habeck in Schlüttsiel an Land zu gehen gedenkt? Aus dem Innenministerium Schleswig-Holstein hieß es, verfassungsfeindliche „Delegitimierer“ hätten auf Telegram zu der Aktion aufgerufen.

Wir haben das über unsere WhatsApp-Gruppen mitbekommen, ungefähr eine Stunde vorher. Dann haben wir uns unsere Trecker geschnappt, getankt und sind im Konvoi hingefahren, um ihn zu empfangen. Von wem das genau ausging, weiß ich nicht. Von uns Landwirten war es jedenfalls relativ spontan.

Sie waren in der ersten Reihe. Wie genau ist der Empfang denn abgelaufen?

Wir sind da angekommen, die Polizei stand schon da. Ich bin dann mit meiner Frau und meinem Sohn vor, wir wurden ganz freundlich von der Polizei empfangen. Bis die Fähre ankam, war die Stimmung total entspannt und gut von uns allen – kein Geschrei, keine Pöbelei. Die Polizei hat mich angesprochen, einfach, weil ich da gerade stand. Also habe ich mit den Polizisten gesprochen, wie das wohl ablaufen könnte. Als die Fähre angelegt war, wollten wir dann den Herrn Habeck sprechen. Die Stimmung war da immer noch gut, die ganzen Fußgänger haben wir von der Fähre runtergelassen, niemand wurde angeschrien, anders als das teilweise berichtet wurde, und die sind ganz normal von Bord gegangen. Die Polizei sagte dann, wir dürften zu viert oder fünft hoch – also ich und meine Frau, mein Sohn und noch zwei andere Beteiligte. 
 

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Wir hätten auch hochgedurft auf das Schiff, aber die Mehrheit war dagegen. Die wollten, dass der Habeck rauskommt und mit uns spricht. Zu uns herunterkommen wollte Habeck aber auch nicht, scheinbar hätte da irgendwo ein Scharfschütze stehen können, der Herrn Habeck an die Wäsche gewollt hätte. Wir haben dann gefordert, dass zehn Leute auf die Fähre dürfen, aber das war den Sicherheitsleuten zu viel. Als wir dann auf keinen Nenner gekommen sind, hat die Fähre abgelegt, war schon fünf Meter vom Anleger weg, ehe Leute von hinten angefangen haben, zu drücken. Klar, ein paar von uns haben dann mit-gedrückt. Ich bin mit meinem Sohn zur Seite und habe mich an der Reling festgehalten. Da wollten wir auch gar nicht dabei sein. Dann hat ein Polizist von hinten Pfefferspray eingesetzt, und es war sofort vorbei.

Was waren das für Leute, die angefangen haben, zu drücken?

Die kannte gar keiner. Das waren auch keine Bauern, die hatten gar nichts mit Landwirtschaft zu tun, das war jedenfalls mein Eindruck.

Was meinen Sie, wäre denn passiert, wenn die vorstürmenden Menschen die Fähre erreicht hätten?

Keine Ahnung. Also das stand ja gar nicht zur Debatte, die Fähre zu stürmen. Wir wollten einfach vernünftig schnacken. 

Und was hätten Sie Habeck gesagt, wenn Sie auf die Fähre gelassen worden wären?

Ich hätte einfach meinen kleinen Sohn genommen und ihn Habeck gegenübergesetzt. Dass er diesen kleinen Jungen sieht, und ihm in die Augen schauen muss, der schon für die Landwirtschaft brennt, und dem momentan alles verbaut und kaputtgemacht wird für die Zukunft. Ich glaube, das bringt mehr, als sich zu beschweren. Ich hätte ihn auch eingeladen, mal in die Produktionshäuser reinzuschauen. Damit er sieht, dass wir uns keine goldene Nase verdienen, sondern, dass das total stramm und eng ist. Dass er sieht, dass es 365 Tage Arbeit im Jahr sind, für nicht mal Mindestlohn.

Was hätte es denn für Ihren Betrieb bedeutet, wenn die Kürzungen so wie geplant gekommen wären?

Ungefähr 15.000 Euro weniger an Einnahmen. Unser Betrieb kommt am Ende des Jahres auf plus minus Null raus. Wir haben auch erst vor neun Jahren angefangen mit der Landwirtschaft, haben unwahrscheinlich viel investiert. Das kann dann also nur in die roten Zahlen gehen. 

Jetzt sind die Kürzungen größtenteils zurückgenommen worden. Landwirtschaftliche Kfz sollen steuerfrei bleiben, die Agrardieselvergünstigung wird erst später stufenweise reduziert. Reicht das nicht?

Das muss komplett zurückgenommen werden. Der Stopp der Rückvergütung (der gezahlten Diesel-CO2-Steuer, Anmerkung d. Red) war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Es waren jetzt zu viele Vorgaben in zu kurzer Zeit, die wir umsetzen müssen. Wir sollen weniger Gülle ausbringen, brauchen dafür mehr Lagerkapazität. Viele mussten neue Güllebehälter bauen. In „Roten Gebieten“, in denen angeblich die Nitratbelastung zu hoch ist, müssen wir seit zwei Jahren 20 Prozent weniger Stickstoff düngen. Weniger spritzen müssen wir auch. Das passt alles nicht mehr zusammen.

Polizei und Verfassungsschutz warnen vor einer Unterwanderung der Bauernproteste durch Rechtsextremisten. Was halten Sie davon? 

Wir sind ganz friedliche landwirtschaftliche Betriebe. Extremisten gibt’s bei uns nicht. 

Und die Fahnen der Landvolk-Bewegung?

Wer?

Diese schwarzen Flaggen mit Schwert und Pflug. Die sieht man doch relativ häufig an Traktoren. Historiker sehen hier unheilvolle Verbindungen zur antidemokratischen Landvolk-Bewegung der Zwischenkriegszeit.

Ja, da gibt es ein paar, die die dabeihaben. Aber die sind lange nicht die Mehrheit.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir meint, protestierende Bauern hätten „feuchte Träume vom Umstürzen“. Hat er Recht?

Wen sollen wir denn umstürzen? Ich würde fast behaupten, es ist eigentlich egal, wen man wählt, die anderen sind auch nicht besser als die jetzige Regierung. Die geben sich alle nichts, die sind alle weit weg von der Realität. Auch die AfD, die sich jetzt in ein positives Licht stellt. Wenn man deren Programm liest, sind die eigentlich überhaupt nicht für die Landwirtschaft. Jetzt wollen die auf unseren Zug aufspringen. Wir hatten zum Beispiel am Montag alle die Trecker für eine stille Demonstration an der B5 stehen. Da kamen die mit Autos an, haben ihre Flyer und Banner ausgepackt, sich vor uns gestellt, fotografiert. Dann sind sie wieder in die Autos gestiegen und weggefahren.

Das Gespräch führte Jakob Ranke.

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