Untersuchungsausschuss im Bamf-Skandal - Weil wir mehr wissen müssen

Ein Untersuchungsausschuss zu den Vorgängen im Bamf und der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel muss dringend her. Das liegt im Interesse der Bürger und der Parteien der demokratischen Mitte. Sonst drohen eine weitere Spaltung der Gesellschaft und italienische Verhältnisse

Horst Seehofer taugt nicht zum Buhmann der Bamf-Affäre / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Ein Wochenende im Mai im Überblick: In Italien ist zu besichtigen, was in einem Land passiert, dem die politische Mitte weggebrochen ist. Rechtsaußen und Linksaußen versuchen vergeblich, eine Regierung der Extreme zu bilden. In Deutschland ist aktuell eine Vorform dessen zu besichtigen, was passiert, wenn einem Land die politische Mitte wegbricht. In Berlin stehen 5.000 AfD-Sympathisanten 25.000 AfD-Gegnern gegenüber. Für dieses Mal bleibt es friedlich.

Derweil bläht sich der Skandal um manipulierte Asylbescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zu einer immer riesigeren Blase trüben Wassers, die über dem politischen Betrieb zu platzen droht. Es gibt nur eine Möglichkeit, ein unkontrolliertes Platzen dieser Blase zu verhindern. Es muss Klarheit her und einen Untersuchungsausschuss geben zu den Vorgängen im Bamf und zu deren Quelle: der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung in den Jahren 2015/2016.

Warum der Untersuchungsausschuss her muss

Keine politische Entscheidung seit dem Nato-Doppelbeschluss hat dieses Land so gespalten wie der erratische Alleingang von Bundeskanzlerin Angela Merkel in den neuralgischen Monaten seit dem September 2015. Der Riss geht durch Familien, Betriebe, Freundeskreise, Redaktionen und Kegelvereine. Nichts hat das gesellschaftliche Klima derart belastet wie jenes Solo der Kanzlerin mit ein paar Getreuen. Weder war es parlamentarisch legitimiert noch dort jemals diskutiert. Daher muss es einen Untersuchungsausschuss geben zu dieser Zeit, in der vielleicht nicht gerade eine Herrschaft des Unrechts existierte, aber wie wir alle nun unumstößlich wissen: mindestens eine partielle Abwesenheit des Rechts in Tausenden von Fällen.

Das Bamf dafür verantwortlich zu machen, reicht nicht. Das Bamf ist eine infolge der massiven politischen Fehlleistung hektisch entstandene und aufgeblähte Behörde. Es geht nicht zuvorderst um ihre Verfehlung. Es geht um die politische Verantwortung und die politisch Verantwortlichen. Das sind in erster Linie Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihr damaliger Kanzleramtsminister und Flüchtlingsbeauftragter Peter Altmaier und der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière. 

Der wichtige Zeuge

Es stellen sich Fragen, die die Verantwortlichen in einem parlamanentarischen Zeugenstand zu beantworten haben. Fragen, die ein Buch aufgeworfen hat, das die Chaostage im  Kanzleramt beschreibt. Während derer bat ein Bundespolizeichef vergeblich darum, die Grenzen wieder zu schließen, und obwohl ein entsprechender Beschluss vorlag, fand sich kein Verantwortlicher bereit, ihn zu unterschreiben. Steht alles so in „Die Getriebenen“, einem preisgekrönten Investigativ-Buch des Welt-Kollegen Robin Alexander.

Wichtiger Zeuge in einem Untersuchungsausschuss wäre deshalb auch: Dieter Romann, eben jener Chef der Bundespolizei, der bislang dazu öffentlich aus nachvollziehbaren Gründen schweigt. Vor einem Untersuchungsausschuss müsste er dieses Schweigen aber brechen, was er mutmaßlich auch gern tun würde. Denn erstens muss mit den Mitteln des Rechtsstaats überprüft werden, ob die Darstellungen von Robin Alexander stimmen, die mit den Mitteln eines herausragenden Rechercheurs zustande gekommen sind. Zweitens muss die Wahrheit über die Abläufe in den entscheidenden Tagen, Wochen und Monaten der Flüchtlingskrise einer breiteren Öffentlichkeit gegenüber bekannt gemacht werden und nicht nur der eher kleinen Schar von Lesern eines politischen Buches. 

Warum CSU-Chef Horst Seehofer agiert, wie er agiert

Der amtierende Bundesinnenminister Horst Seehofer befindet sich in der delikatesten Situation seiner an Pikanterien nicht armen Karriere. Er ist oberster Dienstherr des Bamf und damit zuständig dafür, die mutmaßliche Verfehlungen der Behörde aufzuklären, die aber aus einer Zeit stammen, in der er gar nicht Minister war. Die Versuche der Opposition, ihn zum Buhmann der Sache zu machen, sind deswegen billig, töricht und wohlfeil. Es entbehrt zugleich nicht einer gewissen List und Laune der Geschichte, dass nun just derjenige am Pranger steht, der seinerzeit die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin am lautstärksten kritisiert hat, wenngleich auch folgenlos.

Aus dieser Sandwich-Position heraus ist Seehofers Gebaren verständlich. Denn es entbehrt wiederum nicht einer gewissen Ironie, dass derjenige Minister sich am stärksten einen Untersuchungsausschuss wünscht, der anstelle der Kanzlerin und ihrer damaligen Mitstreiter von der Opposition derzeit ins Visier genommen wird.

Seehofer hat schon signalisiert, dass die CSU-Bundestagsabgeordneten bei einer etwaigen Abstimmung im Bundestag über den Antrag des FDP-Fraktionsvorsitzenden Christian Lindner frei wären und weder dem Fraktionszwang noch der Koalitionsräson unterworfen wären. Die SPD täte auch gut daran, sich zu überlegen, ob sie nicht ebenso verfahren sollte. Seit drei Jahren verharrt sie in Mithaftung für die Vorgänge der Jahre 2015/2016, was insofern verdient ist, weil sie keinerlei Anstalten gemacht hat, der Kanzlerin in den Arm zu fallen. Besser gesagt: die untätige Hand zu führen.

Kritische Stimmen in der SPD

Es ist aber so, dass tatsächlich mindestens drei namhafte SPD-Politiker, eher vier, damals schon erkannt haben, dass die Merkelsche Flüchtlingspolitik in vielerlei Hinsicht verheerend ist. Namentlich Sigmar Gabriel, der Parteichef und damalige Vizekanzler, der sich dennoch mit einem Refugees-Welcome-Button neben Merkel auf die Kabinettsbank im Parlament setzte. Ferner sind das der damalige Fraktionschef Thomas Oppermann und die graue Eminenz Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen. Es gibt Hinweise, dass über diese Niedersachsen-Connection hinaus auch die heutige Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles einen kritischen Blick auf jene Politik der Kanzlerin hatte, die nach Kontrollverlust aussah und das wohl auch war. 

Damals hatte vor allem Gabriel nicht den Schneid auszuscheren, weil sich die Funktionärsriege der SPD auch der Willkommenskultur verpflichtet sah, angeführt von den Ministerpräsidentinnen Malu Dreyer und Hannelore Kraft. Inzwischen könnte die SPD aber begriffen haben, dass der Aufstieg der AfD und ihr eigener Abstieg einen unmittelbaren Zusammenhang gerade in ihrer Klientel habe könnte. Mit anderen Worten: dass ein Eintreten für einen Untersuchungsausschuss für sie mehr Chance als Risiko ist. 

Bei der Linken ist vermutlich jeder Hinweis darauf vergeblich, dass sie sich dieses im Punkt der Flüchtlingspolitik kluge Interview ihres Gründers Oskar Lafontaine noch einmal in Ruhe durchlesen und daraus die richtigen Schlüsse sollten. Bei den Grünen kann man Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt nur zurufen: Wenn sie, völlig zu Recht, in der Sendung von Anne Will am Sonntag sagt, dass man mehr wissen müsse über die Vorgänge beim Bamf und die politischen Zusammenhänge, dann hat ihre Fraktion es in der Hand, sich und die Öffentlichkeit mittels eines Untersuchungsausschusses in diesen Zustand zu versetzen.

Es ist schon viel kaputtgegangen

Ja, wenn es zu einem Untersuchungsausschuss kommt, kann auch viel kaputtgehen. Wunschbilder, Zerrbilder, selbstgebastelte Wahrheiten. Am Ende sogar eine Regierung. Aber es ist die Sache wert. Denn vorher ist in einem erheblichen Maße etwas viel Kostbareres kaputtgegangen: Das Grundvertrauen in die politisch Verantwortlichen und in deren rationales Handeln. Das wiederherzustellen ist ein höherer Wert als der Bestand dieser oder jener Regierung. Ein Untersuchungsausschuss könnte diese Gesellschaft wieder mit sich und seinen Repräsentanten aussöhnen. Sonst sind auch in diesem Land italienische Verhältnisse nicht mehr ausgeschlossen. 

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