Amokfahrt in Berlin - Autofahrer tötet Lehrerin und verletzt mehrere Schüler schwer

Ein 29 Jahre alter Deutsch-Armenier ist am Berliner Breitscheidplatz mit dem Auto in eine Schülergruppe gefahren. Die Lehrerin starb, zwölf Schüler wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Offenbar handelte es sich um eine Amok-Tat. Das Motiv des Täters ist noch unklar. Erinnerungen an den islamistischen Terroranschlag von 2016 sind wach geworden.

Anzeige

Autoreninfo

Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

So erreichen Sie Daniel Gräber:

Anzeige

Der Breitscheidplatz gleicht einer Festung. Betonsperren und massive Stahlpoller sichern den Platz im Herzen des Berliner Westens. Auf den Pollern prangen Werbeaufkleber des Herstellers. Dessen Internetadresse www.anti-terror-sperren.de macht sofort klar, um was es hier geht. Seit im Dezember 2016 der Tunesier Anis Amri mit einem geraubten Lastwagen in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gekracht ist, 13 Menschen tötete und etliche schwer verletzte, ist der Breitscheidplatz der deutsche Symbolort für die Gefahren des islamistischen Terrorismus. Deshalb nahmen Sicherheitsbehörden und Medien die Lage sehr ernst, als es am Mittwochvormittag die ersten Meldungen über eine mögliche Amokfahrt gab.

Ein silberner Renault Clio fuhr gegen 10.26 Uhr in eine Menschengruppe – auf dem Gehweg an einer Straßenecke gegenüber der Gedächtniskirche, wo der Kurfürstendamm endet und in die Tauentzienstraße übergeht. Auf dieser Straßenseite stehen keine Anti-Terror-Poller, auf der gegenüberliegenden, dem Rand des Breitscheidplatzes, hingegen schon.

Bisher ein Todesopfer

Eine Frau starb sofort, sechs weitere wurden lebensbedrohlich verletzt. Die Zahl der Leichtverletzten war laut Berliner Feuerwehr zunächst unbekannt. Der Autofahrer, ein 29 Jahre alter in Berlin lebender Deutsch-Armenier, fuhr noch knapp 200 Meter die Tauentzienstraße entlang und knallte an der nächsten Straßenecke in das Schaufenster einer Filiale der Parfümerie-Kette Douglas. In dem Geschäft gab es keine Verletzten. Zeugen zufolge rannten Kunden schreiend hinaus.

Polizei und Feuerwehr rückten mit einem Großaufgebot an. Der Breitscheidplatz und die umliegenden Straßen wurden abgesperrt. Bereitschaftspolizisten mit Helm und Maschinenpistolen sicherten den Tatort. Am Himmel kreiste ein Polizeihubschrauber. Ein Pulk an Reportern, auch ausländischer Medien, wollte wissen, was passiert ist. Die drängendste Frage – war es ein Unfall oder ein Attentat, womöglich sogar ein islamistisches? – konnten die an den Einsatzort geeilten Pressesprecher der Polizei und der Feuerwehr allerdings nicht beantworten.

Hessische Schülergruppe auf Klassenfahrt

Im Laufe des Tages wurden weitere Einzelheiten bekannt. Die getötete Frau war eine Lehrerin aus Hessen, die mit einer Schulklasse zu Besuch in der Hauptstadt war. Entsprechende Medienberichts bestätigte Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) am Nachmittag. Die Lehrerin sei mit einer zehnten Klasse einer Schule aus dem nordhessischen Bad Arolsen in Berlin gewesen, teilte die hessische Landesregierung mit.

Am Mittwochabend hieß es von der Berliner Polizei, dass insgesamt 14 Menschen verletzt wurden, mehrere von ihnen lebensbedrohlich. Es handle sich ausschließlich um Menschen aus der Schülergruppe, mit der die Lehrerin in Berlin unterwegs gewesen war, sagte eine Polizeisprecherin. 

Bereits am frühen Nachmittag gab die Polizei gab bekannt, dass der Fahrer weglaufen wollte, nachdem er den Clio mit Berliner Kennzeichen in das Douglas-Schaufenster gesetzt hatte. Passanten hielten ihn fest, bis er von den Beamten festgenommen wurde. Dieser Umstand spricht dagegen, dass es sich bei der tödlichen Gehsteigfahrt um einen Unfall handelte, der etwa durch eine medizinische Notsituation des Fahrers ausgelöst worden sein könnte.

Auf Twitter kursierende Handyvideos zeigen die Festnahme des Autofahrers. Er wirkt auf den ersten Blick unverletzt, bewegt sich auf eigenen Füßen, die Hände in Handschellen auf dem Rücken, und lässt sich widerstandslos abführen.

Die Bild-Zeitung berichtete später, dass in seinem Auto ein Bekennerschreiben gefunden worden sei. Über den Inhalt des Schreibens erfährt man in dem Bericht jedoch nichts. Dafür wird ein Ermittler mit der Einschätzung zitiert: „Auf keinen Fall ein Unfall – ein Amokläufer, ein eiskalter Killer.“ 

„Ein richtiges Bekennerschreiben gibt es nicht“, widersprach Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) dieser Meldung – zumindest etwas. Spranger sprach von „Plakaten“, auf denen Äußerungen zur Türkei stehen würden.

Politisches Motiv möglich

Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik betonte am Abend im RBB, man ermittele wirklich in alle Richtungen. Psychische Beeinträchtigungen seien zwar nicht auszuschließen, aber alle anderen Hintergründe ebenso wenig. Die Ermittlungen würden von einer Mordkommission geführt. „Hinweise auf eine politische Tat haben wir derzeit so nicht, dass wir jetzt den Staatsschutz sozusagen die Ermittlungen übernehmen lassen würden.“ Der Staatsschutz ist innerhalb der Kriminalpolizei für politische Straftaten zuständig. Unter anderem wurde die Wohnung des Fahrers im Berliner Stadtteil Charlottenburg durchsucht. Viel versprechen sich die Ermittler auch von Videos und Fotos von Zeugen.

Am Abend gedachten unterdessen zahlreiche Menschen in der Gedächtniskirche der getöteten Frau und der Verletzten. Vor Ort waren unter anderem Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (beide SPD), aber auch Einsatzkräfte der Feuerwehr und Polizei. Auch viele Bürger drückten bei der Andacht ihre Anteilnahme aus.

mit dpa-Material

Dieser Artikel wird aktualisiert.
 

Anzeige