Linke Sammlungsbewegung - Aufgestanden aus Routinen

Heute startet Sahra Wagenknechts linke Sammlungsbewegung „Aufstehen“ und viele fragen sich, ob diese bislang noch theoretische Idee scheitern oder erfolgreich sein wird. Die wichtigsten Pro- und Contra-Argumente zweier Parteienforscher

Sahra Wagenknecht agiert jenseits der Parteien / picture alliance
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Jöran Klatt ist Politik- und Kommunikationswissenschaftler. Er hat am Göttinger Institut für Demokratieforschung gearbeitet und ist Mitglied der Redaktion von INDES-Zeitschrift für Politik und Gesellschaft.

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Alexander Deycke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Er forscht unter anderem zur Geschichte der deutschen Parteien, der deutschen Sozialdemokratie und dem politischen System Frankreichs.

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Nun startet sie, die linke Sammlungsbewegung namens „Aufstehen“. Die Skepsis ist groß, vor allem innerhalb des linken Lagers selbst, welches das Projekt initiiert von Sarah Wagenknecht, Oskar Lafontaine und der Theatermacher Bernd Stegemann ja eigentlich wieder einen möchte. Wie „Aufstehen“ konkret aussehen wird, wie die Bewegung konkret handeln und wirken will, wer sich beteiligt und was genau die Ziele sind, ist in vielerlei Hinsicht noch unklar. Trotzdem zeichnet sich ab, dass die Bewegung einerseits vor großen Herausforderungen steht, anderseits aber auch durchaus Chancen hat.

Linke Sammlungs- und Erneuerungsbewegungen haben in unterschiedlichster Form in anderen Ländern gezeigt, dass sie festgefahrene Parteistrukturen und politische Eliten herausfordern können. In England hat über Momentum der Tribun Jeremy Corbyn die Labor-Party erobert, in Frankreich gelang es Jean-Luc Mélanchon mit La France insoumise fast in die Stichwahl um das Präsidentenamt zu kommen, aus den Sozialprotesten gegen u.a. die hohe Arbeitslosigkeit in Spanien in den Jahren 2011 und 2012 entstand die Bewegung 15. Mai, aus der die linksalternative Partei Podemos hervorging, die aktuell als drittstärkste Kraft im spanischen Parlament sitzt. In den Vorwahlen um die Präsidentschaftskandidatur 2016 gelang es dem „Sozialisten“ Bernie Sanders zumindest enormen Druck auf die Honoratiorenkandidatin Hillary Clinton aufzubauen. Die Energien, die in diesen Ländern freigesetzt wurden, zeigen einen Bedarf und dass linke Politik, unabhängig davon ob man für oder gegen sie ist, eine Alternative zum neoliberalen Mainstream und rechten Populismus darstellen kann.

Auch in Deutschland liegt Potenzial

So unterschiedlich in den jeweiligen Ländern auch die Formationen und Grundlagen des Erfolgs sind, ähnliche Potenziale hätte auch eine linke Sammlungsbewegung hierzulande. 2009 zeigte die damals neu entstandene Linkspartei, dass sich Unmut links kanalisieren lässt. Der Linkspartei gelang es, sich stabil zu etablieren, sie regiert in Kommunen und Ländern mit. Damit hat sie an Anschlussfähigkeit gewonnen, aber auch zum Teil ihren Nimbus als Protestpartei eingebüßt. Ferner wurde ein größeres Projekt Rot-Rot-Grün bisher auf Bundesebene nicht realisiert. Als gemeinsames Sprachrohr über die Parteigrenzen hinweg könnte „Aufstehen“ wieder in die Parteien zurückwirken und solche Regierungsprojekte vorbereiten.

Die Sammlungsbewegung will zumindest vorerst nicht in Konkurrenz zu den Parteien des linken Spektrums treten. Aber zumindest die genannten Vorbilder hatten alle direkt Mandate und Parteien im Visier. Auch für „Aufstehen“ wird die Frage nach dem Verhältnis zu Parteien daher schnell kommen. Vor allem ist zu klären, in welcher Form man in diese hineinwirken will. Dabei werden die Mechanismen der Parteipolitik eine große Herausforderung darstellen, denn es wird zu Widerständen und Abwehrhaltungen kommen.

Sich Bewegung zu nennen, heißt nicht eine zu werden

Ob die vielzitierten Vorbilder Frankreich und England hierbei tatsächlich zur Orientierung dienen können ist fragwürdig. Denn die Unterschiede sind zum Teil erheblich. Jean-Luc Mélenchons Bündnis ist vor allem eines gegen die dortige sozialdemokratische Partei gewesen. Teile von ihr schlossen sich zwar seinem links-nationalistischen Programm an, aber eben auch in großer Zahl Emmanuel Macrons La République en Marche. Und auch Jeremy Corbyn hat mit seiner Kampagne keine integrative Leistung vollbracht und nicht gesammelt, sondern ein Lager einer bereits gespaltenen Partei zum Sieg in diesem Konflikt geführt.

Schwierig wird es auch, den Charakter einer Bottom-Up-Bewegung glaubhaft zu verkörpern, denn noch wirkt die Bewegung sehr von oben her geplant. Die notwendige Suchbewegung nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner des linken Lagers bedarf einer gewissen Offenheit, die schnell durch zu viele programmatische Vorgaben erschwert oder gar verhindert werden kann. Ebenso wird Aufstehen noch sehr stark mit den Personalien Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine verbunden. Bis jetzt halten sich die beiden geschickten Parteiprofis auch daher noch medial zurück. In Fragen von möglichen Koalitionen mit der Sozialdemokratie war es auch nicht selten Wagenknecht, die als besonders harsche Kritikerin gerade dieser aufgetreten war. In der SPD könnte „Aufstehen“ daher als Versuch der Beeinflussung von außen wahrgenommen werden und daher auf besonders viel Ablehnung stoßen. Der kulturelle Graben zwischen Sozialdemokratie und Linken ist nach wie vor tief.

Auch ist im deutschen politischen System für eine Bewegung, anders als im Falle der Parteien kein verfassungsmäßiger Platz vorgesehen. Die Parteien sollen der zentrale Ort der politischen Willensbildung sein und werden daher von der Allgemeinheit stark unterstützt. Das muss nicht heißen, dass es keine zivilgesellschaftliche Organisation geben könne, aber die Hürden für bspw. finanzielle Unterstützung oder eine Anerkennung als gemeinnütziger Verein, sind hoch. „Aufstehen“ will entschieden neue Strukturen schaffen und wird dabei in Konflikt mit den alten geraten.

„Aufstehen“ könnte die Demokratie beleben

So positiv es auch erscheinen mag, dass die gegenwärtige politische Kultur vor allem auf Konsens und Mitte ausgerichtet ist – in den vergangenen Jahren ist dies zum Problem geworden. Zwar ist die gesellschaftliche Zustimmung zu bestimmten linken Kernforderungen, vor allem der Wunsch nach mehr Verteilungsungerechtigkeit nach wie vor groß. Doch in Regierungen haben sich auch linke Parteien dann oft letztendlich eher als Verwalter denn Gestalter gezeigt.

Vor allem Kanzlerin Angela Merkel wird als Personalisierung eines technokratischen Politikstils wahrgenommen, den in drei von vier ihrer Regierungen die SPD in großen Koalitionen mittrug. Die Alternative Jamaika scheiterte zuletzt an der strategisch zwar nachvollziehbaren aber fatalen Entscheidung der FDP für die bequemere Opposition. Die Sozialdemokratie opferte sich erneut für die Vernunftehe auf und zahlte dafür den hohen Preis wohl endgültig nicht mehr als eigenständige wirksame Alternative wahrgenommen zu werden. Innerhalb der SPD hat sich auch daher eine innerparteiliche Opposition in Form der NoGroKo-Kampagne gebildet. Diejenigen die sich hier engagiert haben sind eine klare Zielgruppe von „Aufstehen“.

„Aufstehen“ wird daher besonders von denjenigen angegangen, die in der SPD für die Entscheidung zur großen Koalition stehen: Beispielsweise bezeichnete der Vizevorsitzende Ralf Stegner das Projekt als eines „notorischer Separatisten“. Indes könnten solche Anfeindungen der Bewegung vermutlich sogar eher helfen als ihr schaden. Denn auch Jeremy Corbyn wurde zunächst vor allem von der Nomenklatura der Labour-Party selbst angegangen. Und als Corbyn die englische Labor geradezu kaperte, leitete er damit nicht nur Neuausrichtung und Revitalisierung ein, sondern beendete eben auch so manche Parteikarriere. Parteikarrieristen wie bspw. Nils Schmid stehen daher naheliegenderweise ernsthaften Erneuerungsprozessen wie sie Momentum oder #Aufstehen anstrebt von Natur aus skeptisch gegenüber.

Gesellschaftliche Stimmung eher rechts

„Aufstehen“ hat auch das Ziel, die linken Mehrheiten, die es in den vergangenen Jahren durchaus gab wiederherzustellen und zu nutzen. Zuletzt gab es im Bundestag von 2013-2017 eine Mehrheit aus SPD, Linkspartei und Grünen und gleichzeitig gab und gibt es eine breite gesellschaftliche Rückendeckung für viele gemäßigt-linke Kernforderungen. Doch möglicherweise ist das Zeitalter linker Hegemonie vorüber. Weltweit hat der Rechtspopulismus Aufwind und in Deutschland reagieren die politischen Parteien auf die Siegeszüge der AfD uneinheitlich und oft eher im Affekt als aus einer wirklichen Strategie heraus.

Erklärtes Ziel von „Aufstehen“ ist es, solche Wähler, die in den vergangenen Jahren zum Teil auch aus dem linken Lager zur AfD abgewandert sind (insbesondere die Sozialdemokratie und die Linke betrifft das) zurückzugewinnen. Jedoch stellt sich die Frage, ob dies überhaupt noch möglich ist und der Kairos breiter linker Bündnisse aktuell versiegt ist. Denn nicht nur die parlamentarische Mehrheit von Rot-Rot-Grün ist nicht mehr da, sondern allgemein scheint sich die gesamtgesellschaftliche Stimmung nach rechts zu verschieben. Die Gefahr besteht, dass ein Zugehen auf die traditionellen und konservativen Wähler und Wählerinnen dazu führt, dass die Grenzen des Sagbaren noch weiter nach rechts verschoben werden, ohne dass Alternativen von links geschaffen werden.

Gefahr der Spaltung

Indes konnte vor allem in Ostdeutschland die Linkspartei eine ganze Zeit lang mitunter auch nicht-progressiv eingestellte Milieus an sich binden, da sie hier zum Teil weniger als modernisierende Kraft, sondern auch als Protest und Kümmerer-Partei zugleich aufgetreten ist. Inzwischen wird sie aber gerade im Osten, wie etwa das Beispiel Thüringen zeigt, auch zum Teil als Repräsentant herrschender Verhältnisse wahrgenommen. So wird etwa auf AfD-Kundegebungen besonders intensiv gegen Bodo Ramelow agitiert. Die sächsische Landtagswahl 2019 könnte somit auch ein erster Lackmustest für „Aufstehen“ werden, denn bereits dort könnte sich abzeichnen ob die linken Parteien, von der Bewegung unterstützt und herausgefordert zugleich, das Vertrauen der Enttäuschten wiedergewinnen können – ob diese es zu recht oder unrecht sind sei einmal dahingestellt. Möglicherweise ist der Protestnimbus inzwischen derartig mit der rechten Gegenkultur sächsischer Couleur assoziiert, dass es für eine linke Protestformation kaum noch Spielraum gibt. Zumindest wird es wohl von Seiten der drei Parteien, die „Aufstehen“ ansprechen will, gar nicht oder zumindest nur mit großer Mühe möglich von den Rechtspopulisten vereinnahmte Menschen wieder zurückzugewinnen.

Auch besteht eine reale Gefahr darin, dass zwischen den zwei diametral gegenüberstehenden möglichen Strategien gegen den Rechtspopulismus, also entweder Angebote zu schaffen oder Abgrenzung zu betreiben, keine Synthese gefunden werden kann. Der Soziologe Andreas Reckwitz argumentiert, dass es eine tiefe Spaltung der Gesellschaft gibt, die nicht mehr die zwischen links und rechts ist, sondern zwischen den zum multikulturellen Internationalismus tendierenden Hyperkulturalisten und den konservativ und kommunitaristisch eingestellten Kulturessentialisten besteht. Diese Trennung will „Aufstehen“ in einer linken Sammlungsbewegung überwinden und progressive und traditionelle sowie moderne und konservative wieder miteinander ins Gespräch zu bringen. Nur wenn sich keine der Seiten gänzlich durchsetzt und dabei eine Gesprächskultur entsteht, in der es gelingt beide Seiten anzusprechen, wird „Aufstehen“ eine wirkliche Sammlungs- und keine Spaltungsbewegung sein.

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