Attentat in Würzburg - Der perfide Kampf um die Deutungshoheit

Kaum hatte sich die Nachricht von den schrecklichen Ereignissen in Würzburg herumgesprochen, formierten sich im Netz die Fraktionen zum Kampf um die Deutungshoheit. Doch der geht an der Sache vorbei. Es geht nicht mehr um Fakten, sondern um Symbole. So entsteht ein Klima, das Tätern wie dem von Würzburg erst Raum gibt.

Kerzen und Blumen liegen vor einem geschlossenen und abgesperrten Geschäft in der Würzburger Innenstadt / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Ein Spindoctor ist ein Journalist oder Kommunikationsberater, der Ereignissen den richtigen medialen „Spin“ geben soll, also den richtigen politischen Dreh. Doch Spindoctoren gibt es heutzutage nicht nur im Profibereich und nach Wahlkampfdebatten: Wann immer sich in Deutschland etwa ein Amoklauf ereignet, Menschen auf offener Straße getötet werden oder ein vergleichbares Verbrechen geschieht, greifen in Deutschland tausende selbsternannter Spindoctoren in die Tasten. Ihr Ziel: Der Berichterstattung über die Tat die richtige Richtung zu geben. Am besten so, dass das eigene politische Lager von der Tat profitiert. Und zugleich dem jeweiligen politischen Gegner irgendwie eine Mitverantwortung für das Verbrechen in die Schuhe zu schieben. Das alles geschieht in der Regel im Brustton absoluter Empörung. Es ist ein widerliches Ritual.

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Als am gestrigen frühen Abend die ersten Meldungen über einen Amoklauf in der Würzburger Innenstadt die Runde machten und nach und nach deutlich wurde, dass ein 24-jähriger Somalier drei Menschen getötet und mehrere teils schwer verletzt hatte, gab es kein Halten. Unter dem Hashtag #Würzburg formierten sich umgehend zwei Fraktionen: Auf der einen Seite die routinierten Antifaschisten, die in jedem kritischen Kommentar Rassismus witterten, vor Spekulationen und Gerüchten warnten und davor, die Tat politisch zu instrumentalisieren. Auf der anderen Seite jene, die sich über die Berichterstattung der öffentlichen Medien mokierten, Merkels Flüchtlingspolitik für die Tat verantwortlich machten und Hohn und Spott über die Migrationspolitik der letzten Jahre ausgossen. Das alles war in seiner Absehbarkeit mehr als öde und man fragt sich, ob sich die Leute dabei nicht selbst langweilen. Tun sie aber nicht.

Intellektuelle Verkrampfungen

Seien wir ehrlich. Die Idee einer irgendwie neutralen Berichterstattung – was immer das genau heißen soll – ist unter den herrschenden medialen Bedingungen obsolet. Umso wichtiger ist aber intellektuelle Redlichkeit, insbesondere bei den etablierten elektronischen Medien. Dass die Tagesschau eher auf den Geisteszustand des Täters einging als auf seine Herkunft, zeigt, wie kontaminiert das Thema ist.

Zu diesen intellektuellen Verkrampfungen der Berichterstattung gehört auch der mitunter asymmetrische Umgang mancher Medien mit psychischen Erkrankungen. Bei Tätern mir Migrationshintergrund gelten sie schnell als die eigentliche Handlungsursache, was immer der Täter an politischen und religiösen Bekenntnissen geäußert haben mag. Attentäter mit rechtsextremen Internetaktivitäten und Äußerungen werden hingegen konsequent als politische Täter kategorisiert – unabhängig von ihrer Krankenakte.

Die Diskussion geht am Thema vorbei

Richtig ist: Der psychische Zustand eines Täters ist für die Beurteilung seiner Handlungen zentral. Die Täter der RAF etwa waren, Ulrike Meinhof vielleicht mal ausgenommen, bei bester psychischer Gesundheit. Ihre politischen Bekenntnisse daher ernst zu nehmen. Auf der anderen Seite gibt es schwer erkrankte Personen, deren Handlungsmotiv offensichtlich psychotischer Natur ist, zu was für einer Weltanschauung sie sich immer bekennen mögen. Dazu gehört allem Anschein nach der Täter von Würzburg. Aber eben auch der von Hanau.

Doch die Diskussion um Verfassung und Herkunft der Täter geht im Grunde sowieso an der Sache vorbei. Wäre die Grenzöffnung 2015 tatsächlich richtig gewesen, sie würde durch Fälle wie den gestrigen nicht falsch. Und umgekehrt machen gelungene Integrationsbeispiele die damalige Entscheidung nicht plötzlich richtig, sollte sie falsch gewesen sein.

Symbole statt Tatsachen

Das Problem der Entscheidung von 2015 ist nicht das punktuelle Ansteigen von Kriminalität – auch wenn das nicht verharmlost werden darf. Das Problem sind vielmehr die langfristigen sozialen, ökonomischen und kulturellen Veränderungen, die die Entscheidung für diese Gesellschaft mit sich bringen wird. Alle anderen Themen sind rhetorische Nebenkriegsschauplätze, mit deren Hilfe die Spindoctoren unserer Gesellschaft versuchen, den jeweiligen politischen Gegner zu diskreditieren. Was für gefährliche Folgen das haben kann, konnte man gestern sehen. Denn dass ein einschlägig bekannter Gewalttäter und abgelehnter Asylbewerber sich noch immer in Deutschland aufhält und hier Menschen ermordet, hat auch damit zu tun, dass es in der Migrationsdebatte schon lange nicht mehr um Tatsachen geht, sondern nur noch um Symbole.

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