Nebenwirkungen von AstraZeneca - „Alle zugelassenen Impfstoffe sind unbedenklich“

Der Impfstoff von AstraZeneca hat in den letzten Monaten für viel Verwirrung gesorgt. Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, erklärt im Interview den Grund für die Entscheidung – und sagt, welchen Beitrag das Impfen beim Eindämmen der Pandemie leistet.

Der Impfstoff AstraZeneca / dpa
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Autoreninfo

Sina Schiffer studiert an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn Politik und Gesellschaft und English Studies. Derzeit hospitiert sie bei Cicero. 

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Prof. Klaus Cichutek ist Biochemiker und Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts in Langen, Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel.

Herr Cichutek, wie schätzen Sie die Entscheidung der Ständigen Impfkommission (STIKO) ein, den Impfstoff AstraZeneca nur noch an Personen über 60 Jahre zu verabreichen? Vor allem, nachdem es ja zuvor eine Entscheidung in die umgekehrte Richtung gegeben hatte. 

Die Entscheidung erscheint mir sinnvoll. In den aktuellen Empfehlungen der STIKO zu den Covid-Impfungen heißt es: „Der Covid-19 Impfstoff AstraZeneca soll in der Regel bei Menschen im Alter gleich oder größer als 60 Jahre zur Anwendung kommen, darüber hinaus ist eine individuelle aufgeklärte Entscheidung über die Verwendung dieses Impfstoffes, die gemeinsam vom Arzt / der Ärztin und dem Patienten / der Patientin getroffen wird, im Alter von 18 bis 59 Jahren möglich.“ Das heißt, wir haben eine Öffnung der Impfungen für Personen, die sich impfen lassen wollen, im gesamten Zulassungsbereich. Dieser erstreckt sich über das Alter von 18 Jahren bis in das höhere Alter. Diese Empfehlung betrifft also sowohl jüngere als auch ältere Menschen. 

Wie kam es zu dieser Empfehlung?

Wir hatten ja zunächst die Zulassung für den AstraZeneca-Impfstoff, der jetzt „Vaxzevria“ heißt, und hier war es so, dass in der Zulassung Wirksamkeitsdaten bis zu einem Alter von etwa 55 Jahren vorlagen. Im höheren Alter lagen weniger Wirksamkeitsdaten vor, sondern sogenannte Immunogenitätsdaten, sodass man extrapolieren konnte, dass auf Basis dieser Immunogenitätsdaten auch im höheren Alter eine Wirksamkeit zu erwarten ist. Da die Ständige Impfkommission aber ihre Entscheidungen basierend auf harter Evidenz fällt, wurde hier zunächst beschlossen, dass man eine Empfehlung für Personen im jüngeren und mittleren Alter aussprechen sollte.

Erst danach ergab sich eine neue Evidenz. Wir haben nach der Zulassung beim Paul-Ehrlich-Institut und in einer ganzen Reihe anderer EU-Mitgliedstaaten Verdachtsfallmeldungen zu Nebenwirkungen und Impfkomplikationen erhalten, auf deren Basis wir ein Risikosignal erkannt haben. Ein sehr seltenes Vorkommen nach der AstraZeneca-Impfung, Thrombosen an ungewöhnlichen Körperstellen, teilweise in Verbindung mit einer verringerten Anzahl von Thrombozyten (Blutplättchen). Auf Basis dieser Erkenntnis haben wir dann zu einem übergangsweisen Impfstopp geraten und das Risikosignal zunächst weiter untersucht.

Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich Pharmakovigilanz, PRAC, bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA hat dies weiter untersucht und ist zunächst zu dem Schluss gekommen, dass die Nutzen/Risiko-Bilanz des Covid-19-Impfstoffs AstraZeneca, der jetzt Vaxzevria heißt, weiterhin positiv ist. Auf der Internetseite des Paul-Ehrlich-Instituts haben wir für die Impfwilligen und Geimpften eine genaue Beschreibung der Symptomatik und des Zeitraums des Auftretens eingestellt, wenn solche seltenen und ungewöhnlichen Thrombosen auftreten sollten. Darin wurde deutlich gemacht, worauf die Geimpften achten sollen. Weiterhin finden sich dort Behandlungshinweise für Ärztinnen und Ärzte.

Damit sind adäquate Maßnahmen zur Risikominimierung ergriffen. Das heißt, es gab kein hin und her bei den Entscheidungen, weder beim Paul-Ehrlich-Institut noch bei der STIKO, sondern es gab immer aktuelle Entscheidungen auf Basis der gerade vorliegenden Evidenz. Und das zeigt, dass das System der Nebenwirkungsbeobachtung – der Pharmakovigilanz – funktioniert und dass die Aufmerksamkeit des Paul-Ehrlich-Instituts hoch ist, um die Impfwilligen vor Risiken zu schützen, die beim Impfen entstehen könnten. 

Ist die neue Entscheidung nicht ein weiterer Schritt weg von einem normalen Leben? Und sind die Bürger jetzt nicht zu verunsichert, um sich mit AstraZeneca impfen zu lassen?

Das ist aus meiner Sicht nicht der Fall, denn es gibt ja auch Begebenheiten, die in der Presse geschildert wurden, wo Menschen die AstraZeneca-Impfungen angeboten wurde und sich danach Schlangen vor den Impfzentren gebildet haben. Dazu kommt, dass wir in Deutschland die glückliche Situation haben, dass alle vier in der EU zugelassenen Covid-Impfstoffe verfügbar sind oder sein werden. So können wir bei der Pandemiebekämpfung durch Impfstoffe weiter voranschreiten. Und drittens ist es wichtig, dass hier frühzeitig und transparent agiert wird, um das Vertrauen in die Impfstoffe und die bestehenden Zulassungssysteme zu stärken. 

Was ist aus Ihrer Sicht der sicherste und wirksamste zugelassene Impfstoff? 

Einfache Vergleiche, das ist der bessere und das ist der schlechtere Impfstoff, sind nicht zuträglich. Alle zugelassenen Impfstoffe sind gut, unbedenklich und haben sehr gute Wirksamkeit. 

Bei jedem Impfstoff werden ja zum einen die Qualität und die Herstellung geprüft und müssen qualitätsgesichert sein, dann prüfen wir Daten zu nicht klinischen Prüfungen, zum Beispiel aus Tierversuchen und Daten aus den klinischen Prüfungen der Phasen 1,2,3. Das ist – wie üblich – genauso bei denen Covid-19-Impfstoffen gewesen. Hier ergibt sich für jeden Impfstoff eine gute Evidenz, dass der Nutzen gegenüber den Risiken eingeschätzt werden kann, und nur wenn der Nutzen weit gegenüber den Risiken überwiegt, wird vom Ausschuss für Humanarzneimittel bei der Europäischen Arzneimittelagentur, in der auch das Paul-Ehrlich-Institut vertreten ist, eine Zulassungsempfehlung gegeben.  

Man kann aber Daten zu verschiedenen Impfstoffen nicht einfach miteinander vergleichen, weil die klinischen Prüfungen sich doch im Detail unterscheiden. Außerdem kann man sagen, dass wir uns gleich zu Beginn der ersten Impfstoffentwicklung von Seiten des Paul-Ehrlich-Instituts und der Europäischen Arzneimittelagentur Mindeststandards für die Zulassung von Covid-19-Impfstoffen gesetzt haben. Die sind bei allen zugelassenen Impfstoffen sehr gut erfüllt. So wollten wir eine deutlich über 50 Prozent hinausgehende Wirksamkeit in der klinischen Prüfung der Phase 3 sehen. Weiter haben wir auch gewisse Mindestgrenzen gesetzt, um auf keinen Fall gering wirksame Impfstoffe zuzulassen. 

Es zeigt sich auch immer wieder, dass Impfstoffe, die nicht hundertprozentig gegen das Krankheitsbild Covid-19, also die symptomatische Infektion schützen, trotzdem einen sehr guten, manchmal sogar hundertprozentigen Schutz gegen Krankenhausaufenthalte oder schwere Covid-19-Verläufe gewährleisten. Das ist ein weiteres Kriterium. Schließlich sind alle zugelassenen Covid-19-Impfstoffe unbedenklich. Wir wissen, dass es eine höhere Frequenz und auch Ausprägung von bekannten Impfreaktionen gibt, diese Reaktionen aber zu erwarten und akzeptabel sind, insbesondere im Verhältnis zu dem Nutzen, den wir haben, also dem Schutz vor schweren Verläufen und lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen.

Nur wenn der Covid-19 Impfstoff verimpft wird, bedeutet dies noch nicht gleichzeitig das Ende der Pandemie. Wie schätzen Sie die mögliche Ansteckung über eine bereits geimpfte Person ein? 

Auf Basis der bisherigen Daten können wir schon davon ausgehen, dass die Virusausscheidung bei vollständig Geimpften reduziert sein wird und damit das Risiko der Weitergabe der Infektionskrankheit vermindert ist. Erste Hinweise dazu gab es bereits aus Tierversuchen, aber dennoch ist beim jetzigen Stand der Untersuchungen davon auszugehen, dass auch bereits geimpfte Personen die entsprechenden AHA+ L-Regeln einhalten sollten. Das bleibt wichtig, um sicher zu gehen, dass wir die Pandemie eindämmen können. 

Klaus Cichutek / T. Jansen / PEI 

Es zögern auch immer mehr Menschen, das Impfangebot anzunehmen. Kann dies ein weiteres Hindernis sein, um aus der Pandemie herauszukommen? 

Aus meiner Sicht ist das nicht gegeben, dass immer mehr Menschen zögern, sondern es gibt eine große Bereitschaft, sich impfen zu lassen. Weil die Menschen vor einer lebensbedrohlichen Infektionskrankheit geschützt sein wollen. Und es ist ganz wichtig, dass sich die Menschen informieren.

Wir geben auf unseren Internetseiten alle möglichen Informationen zu den Impfstoffen und berichten turnusmäßig zu den Verdachtsfallmeldungen, die wir erhalten, und zu deren Bewertung, sodass volle Transparenz für die Menschen gegeben ist hinsichtlich der Eigenschaften der verschiedenen Impfstoffprodukte, deren Wirksamkeit und Sicherheit. Das trägt sicher auch dazu bei, dass die Impfbereitschaft der Menschen gegeben ist. Ich kann nur zur Covid-19-Impfung aufrufen, denn das ist ein wichtiger Meilenstein, um aus der Pandemie zu kommen und zu einem normalen Leben zurückzukehren. 

Könnte man die Impfstoff-Produktion nicht noch weiter ausweiten, indem man unter Lizenz in anderen Pharmaunternehmen Impfstoffe herstellen lässt? 

Grundsätzlich ist es so, dass die Impfstoffproduktion sehr weit ausgeweitet wurde und dass die Bundesregierung und die Europäische Kommission durch großzügige und frühe Unterstützung der Impfstoffentwickler dafür gesorgt haben, dass auch schon vor der Zulassung Impfstoffdosen hergestellt werden konnten. Auch wurde unterstützt, weitere Herstellungsstätten bereit zu stellen. Damit ist die Produktionsmenge, die hergestellt werden kann, inzwischen sehr groß.

Es ist aber nicht so einfach eine Impfstoffproduktion zu verlagern, vom rechtlichen ganz abgesehen. Das Ausgangsmaterial, was biologischen Ursprungs ist, muss in qualitätsgesicherter Weise bereitgestellt werden. Das, was einfach als „Herstellung“ beschrieben wird, setzt sich aus verschiedensten Komponenten zusammen. Der zweite Punkt ist, dass Impfstoffe komplexe biologische oder besser biomedizinische Arzneimittel sind. Das bedeutet, die Herstellung muss im Detail, immer zu denselben Standards in qualifizierten und inspizierten Herstellungsstätten erfolgen.

Zudem müssen sogenannte In-Prozess-Kontrollen dafür sorgen, dass die Herstellung genau verläuft. Und jede Änderung der Herstellungsstätte oder bestimmter Verfahren, selbst von Behältergrößen, muss zum Beispiel den Zulassungsbehörden oder Arzneimittelbehörden, wie dem Paul-Ehrlich-Institut, gemeldet werden. Wir beurteilen dann, ob damit die Impfstoffqualität gefährdet ist oder nicht, und erst dann können die Impfstoffe tatsächlich gemäß Änderung produziert werden. Das bedeutet, dass allein schon das Überführen der Produktion von einer Herstellungsstätte zu einer anderen kein trivialer Prozess ist. Die einfache Lizenzweitergabe hilft hier also nicht. 

Die Fragen stellte Sina Schiffer 
 

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