Erhöhung des Rundfunkbeitrags - Dieses Programm passt nicht mehr zum Auftrag

Ist die Erhöhung des Rundfunkbeitrags gerechtfertigt? Darüber sollte ehrlich gestritten werden können. Der Dramaturg Bernd Stegemann über einen Rundfunk, der die Meinungsvielfalt nicht mehr ausgewogen abbildet und dessen „Vollversorgung“ nicht mehr zeitgemäß ist.

Ist das öffentlich-rechtliche Sendungssammelsurium gerechtfertigt? / dpa
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Autoreninfo

Bernd Stegemann ist Dramaturg und Professor an der Hochschule für Schauspiel (HfS) Ernst Busch. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschienen von ihm das Buch „Die Öffentlichkeit und ihre Feinde“ bei Klett-Cotta und „Identitätspolitik“ bei Matthes & Seitz (2023).

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Ich bin ein überzeugter Verteidiger der Rundfunkgebühren. Unsere Gesellschaft wird von unzähligen Fliehkräften auseinandergetrieben. Darum halte ich jede gemeinsame Anstrengung, um die zahlreichen und komplexen Probleme der Gegenwart öffentlich sichtbar zu machen, für sehr gut investiertes Geld. Kann man sich auf diesen Auftrag für einen von der Allgemeinheit subventionierten Rundfunk einigen, so stellen sich jedoch einige schwerwiegende Fragen zu seiner aktuellen Lage.

Denn der ÖRR entspricht immer seltener dem im Rundfunkstaatsvertrag formulierten Auftrag: „Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.“ Dieser Auftrag wird in doppelter Hinsicht nicht mehr erfüllt. Die Berichterstattung ist weder überparteilich, noch bildet der Gemischtwarenladen von Gameshows und TV-Komödien die Meinungsvielfalt ausgewogen ab.

Der ominöse Auftrag zur „Vollversorgung“

Um mit dem harmloseren Problem anzufangen. Bei der Rechtfertigung des Sendungssammelsuriums wird auf einen ominösen Auftrag zur „Vollversorgung“ verwiesen. Mit diesem Zauberwort meint man rechtfertigen zu können, dass für jede Altersgruppe und Sehgewohnheit irgend etwas angeboten werden müsste. Doch diese Vollversorgung stammt aus einer Zeit, als es eben nur den staatlich finanzierten Rundfunk gab. Die Öffnung des Marktes für das Privatfernsehen und die technischen Möglichkeiten des Internet haben inzwischen zu einer Ausdifferenzierung der Angebote geführt, die sich in den 1960er Jahren niemand vorstellen konnte.

Wer heute Filme schauen möchte, sucht sich aus der unendlichen Weite der Netflix, Amazon oder Sky-Datenbanken seine Lieblingsserie oder seinen Kinohit heraus. Wer Sport vor allem vom Sofa aus betreibt, der findet im Netz eine ebenso große Auswahl an Sportübertragungen. Und wer Gesellschaftsspiele genießt, wenn andere sie für ihn spielen, kann bei den privaten Anbietern den ganzen Tag über Kandidaten dabei zu sehen, wie sie skurrile Aufgaben meistern oder abwegige Wissensfragen beantworten.

Gerade wenn man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als wichtigen Bestandteil unserer Demokratie versteht, stellt sich die Frage, warum Spielshows oder Sport einen großen Teil der Gebühren aufzehren müssen. Denn wenn man diesen Auftrag ernst nimmt, dann bestünde die zentrale Aufgabe des öffentlichen Rundfunks darin, Informationen zugänglich zu machen, die andere Medien nicht so einfach zur Verfügung stellen können, weil ihn dazu das Geld fehlt.

Ein gutes Beispiel von öffentlich-rechtlichem Rundfunk

Wer sich über die Gefahren und Vorteile etwa von genmanipulierten Pflanzen, Hilfe bei psychischen Erkrankungen oder den Klimawandel kundig machen will, kann einige Tage mit der Recherche zubringen, oder er hat das Glück, dass er eine gut gemachte TV-Dokumentation findet. Vor allem der Spartensender 3sat gibt immer wieder gelungene Beispiele für Aufklärung und Information. Hier findet man regelmäßig ein Format wie z. B. „Scobel“, bei dem zuerst in einer Dokumentation ein Thema vorgestellt wird, das in einer anschließenden Diskussion unter Fachleuten vertieft wird.

So bekommt man in zwei Stunden einen ersten Einblick in zentrale Wissensbereiche unserer Gegenwart, die man in der Kombination aus Information und Debatte nicht so leicht in anderen Medien findet. Das Argument, warum die Gebühren nicht vor allem für solche Formate verwendet werden, lautet, dass die Einschaltquoten bei so anspruchsvollen Sendungen zu gering seien. Um Quoten zu erzielen, müsse der ÖRR eben vor allem triviale Gameshows, Fußball und seichte TV-Komödien senden. Ich halte dieses Argument aus zwei Gründen für falsch.

Warum das Quoten-Argument falsch ist

Erstens bekommt der ÖRR die Subventionen gerade dafür, dass er nicht die Quote bedienen muss. Die privaten Anbieter, die sich ausschließlich über Werbeeinnahmen finanzieren, müssen dem Massengeschmack folgen. Der ÖRR könnte viel häufiger die Quote zugunsten von Qualität außer acht lassen.

Das zweite Argument ist meiner Meinung nach gewichtiger. Denn wenn man den Sinn der Rundfunkgebühren damit begründet, dass der ÖRR für die demokratische Selbstverständigung notwendig ist, dann verfehlen Spielshows, Sport-Übertragungen und 90 Prozent der Spielfilme diesen Auftrag. Das Gegenargument lautet hier wiederum, dass es auch die seichten Angebote brauche, damit die Akzeptanz des ÖRR überhaupt gegeben bleibe. Aber dieses Argument ist inzwischen falsch.

Denn es erscheint immer mehr Menschen unverständlich, warum sie monatlich eine Gebühr für ein Medienangebot zahlen müssen, dass ihre Bedürfnisse überhaupt nicht mehr befriedigt. Wer einen guten Film sehen will, wird bei ARD und ZDF so gut wie nie fündig. Vor allem die hauseigenen Produktionen unterschreiten jeden Anspruch an Drehbuch, Ästhetik und filmischer Erzählung. Warum es bei den immer noch üppigen Etats, den der ÖRR für seine eigenen Filme bereitstellt, unmöglich zu sein scheint, Filme zu produzieren, die auch nur ansatzweise mit der Qualität einer durchschnittlichen Netflix-Serie mithalten können, bleibt das Geheimnis des ÖRR und seiner Redaktionen.

Das größere Problem

Die mangelhafte Qualität seiner Eigenproduktionen untergräbt aber das Argument, den Vollversorger-Anspruch erfüllen zu wollen. Denn den erfüllen andere, private Anbieter inzwischen deutlich qualitätsvoller. Doch die Krise des ÖRR bleibt nicht auf seine Unterhaltungsangebote beschränkt. Und damit kommen wir zu dem zweiten, gewichtigeren Problem des ÖRR. Auch sein demokratisches Kerngeschäft, die Reportagen, die Nachrichten, Dokumentationen und Debatten leiden seit einigen Jahren unter einer seltsamen Entwicklung.

Wer regelmäßig die Tagesthemen schaut, kann inzwischen vorhersagen, wie der allabendliche Kommentar lauten wird. Für diese Prognose braucht es keine magischen Fähigkeiten, sondern es reicht die Phantasie, um sich vorzustellen, wie ein Politiker der Grünen das Geschehen kommentieren würde. Dass ein Kommentar eine einseitige politische Meinung ist, liegt in der Natur der Sache. Doch warum alle Kommentare aus der gleichen politischen Richtung kommen müssen, wäre erklärungsbedürftig.

Nachricht und Kommentar verschwimmen

Vor allem, wenn bei jeder anderen Gelegenheit der Auftrag, die gesamte Breite der Gesellschaft abzubilden, als Argument für die Gebühren bemüht wird. Wenn sich der ÖRR aufgrund seiner politischen Monokultur zum Spartensender eines bestimmten Milieus erklärt, wird die Begründung, warum alle dafür bezahlen sollen, schwierig. Endgültig ärgerlich wird diese Tendenz aber, wenn die Grenze von Kommentar und Nachricht verschwimmt.

Dieses führt bei immer mehr politischen Reportage-Sendungen dazu, dass die Weltanschauung der Moderatoren zur objektiven Wahrheit erklärt wird. Es ist legitim, dass Redakteure ihre Weltsicht zum Teil ihrer journalistischen Arbeit machen. Und wer behauptet, dass man das immer trennen könnte, der macht sich etwas vor. Doch damit ist nicht erklärt, warum die eine Weltanschauung so überproportional häufiger gesendet wird als alle anderen.

AfD bäh, Fridays for Future toll

Inzwischen hat jeder Fernsehzuschauer verstanden, dass die Redaktionen von ARD und ZDF die AfD eklig und Fridays for Future toll finden, dass sie vor Friedrich Merz warnen und am liebsten Angela Merkel auf Lebenszeit im Kanzleramt sähen. Ich glaube, die Redaktionen müssen keine Angst um ihren Ruf haben. Es ist allgemein angekommen, dass sie keine neue Mode verpassen wollen und auf jeden Fall zu den Guten gehören möchten. Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit für ein wenig Mut zur Diversität von Meinungen.

Denn die Gesellschaft kann es sich nicht länger leisten, ihre Widersprüche nur vor den Bildschirmen auszutragen. Die grundlegenden Streitfragen unsere Zeit sollten auch im Fernsehen verhandelt werden. Dazu ist es notwendig, dass die Darstellung der Widersprüche nicht schon selbst tendenziös ist, so wie es das TV-Desaster „Ökozid“ gerade vorgeführt hat. Und die leidige Frage, ob diese oder jene Meinung überhaupt im Rundfunk auftreten darf, gehört zurück in den Zensurschrank totalitärer Gesellschaften.

Endlich ehrlich diskutieren

Als überzeugter Verteidiger des ÖRR hoffe ich weiterhin, dass er sich auf das besinnt, weswegen seine Gebühren sinnvoll und begründet sind: Ein Spiegel unserer Gegenwart zu sein. Der Auftrag zur Volkserziehung, wie er nach 1945 geboten war, ist schon lange abgelaufen. Die Gesellschaft ist deutlich demokratischer und diverser als es uns der ÖRR täglich vorführt. Und zu dieser Vielfalt gehört eben auch, dass eine Erhöhung der Rundfunkbeiträge um 86 Cent zu öffentlichen Diskussionen führt, welche Art von Rundfunk hier unterstützt wird.

Wenn der ÖRR die 400 Millionen Euro, die er dadurch jährlich mehr einnimmt, für die Erweiterung seines Meinungsspektrums verwenden würde, wären sicher nicht nur ich, sondern sehr viele Menschen gerne bereit, ihm dieses Geld zu geben. Verengt sich das Weltbild seiner Nachrichtensendungen wie gerade im heute-Journal auf die Frage nach dem richtig zu sprechenden Gendersternchen, könnte es aber spätestens bei der nächsten Beitragserhöhung eng werden.

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