Korruption bei der Arbeiterwohlfahrt - Anklage gegen Frankfurter Oberbürgermeister: Das System Feldmann

Der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann wird laut Medienberichten angeklagt. Ermittelt wurde gegen ihn wegen Vorteilsnahme im Amt. Damit droht der SPD-Politiker im Korruptionssumpf der Arbeiterwohlfahrt zu versinken. Aufgedeckt hat den Frankfurter AWO-Skandal Cicero-Redakteur Daniel Gräber. Er war damals Lokalreporter vor Ort. In diesem Text beschreibt er, wie es dazu kam und wie er Feldmann erlebte.

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Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann muss sich Fragen zur Awo stellen lassen / picture alliance
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Im Kaisersaal des Frankfurter Rathauses trafen wir uns 2017 das erste Mal. Die römisch-deutschen Herrscher vergangener Jahrhunderte blickten von den holzvertäfelten Wänden herab. Peter Feldmann trug seine goldene Amtskette um den Hals. Er hatte gerade in einer Rede die traditionelle Weltoffenheit der Händlerstadt Frankfurt gelobt, in der Konflikte seit jeher durch friedlichen Interessenausgleich gelöst würden – durch ein Geben und Nehmen.

Als Lokalreporter war ich neu in der Stadt. Feldmann beantwortete meine Fragen freundlich lächelnd und sehr ausführlich. Nur sprach er so leise, dass ich ihn kaum verstand. Ich musste sehr eng an ihn heranrücken, dadurch entstand ein unangenehmes Gefühl der Nähe. Diese Nähe ist wesentlicher Teil seines Systems. Nun ist es ins Wanken geraten.

Inzenierung als Anwalt der kleinen Leute

Als Feldmann 2012 zum Oberbürgermeister von Frankfurt gewählt wurde, war dies eine kleine Sensation. Der 53 Jahre alte, in der Stadtöffentlichkeit eher unbekannte SPD-Lokalpolitiker setzte sich in der Stichwahl gegen den CDU-Kandidaten durch und trat die Nachfolge der deutschlandweit bekannten christdemokratischen Bürgermeisterin Petra Roth an. Für die Sozialdemokraten war das ein wichtiger Sieg, zumal Feldmann konsequent auf linke Themen gesetzt hatte. Im Wahlkampf inszenierte er sich als Anwalt der kleinen Leute, der gegen Fluglärm und für billige Wohnungen kämpft. Im Amt angekommen, deckelte er die Mieten der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, senkte die Preise für Busse und Bahnen und versprach Kindern und Jugendlichen freien Eintritt in Zoo, Museen und Schwimmbäder.

Noch wichtiger war für die SPD Feldmanns Wiederwahl. Die Genossen jubelten bundesweit, als er 2018 mit mehr als 70 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt wurde. Für die leidgeprüften Sozialdemokraten war das ein Hoffnungsschimmer. Die traditionsreiche Volkspartei erneuere sich von unten, aus den Kommunen heraus, hieß es. Umso bitterer ist es für die SPD nun, dass sich ihr Hoffnungsträger in den Niederungen einer kommunalpolitischen Affäre verstrickt, die ihn seine Glaubwürdigkeit kosten könnte, vielleicht sogar sein Amt.

Funktionäre der AWO sind häufig SPD-Politiker

Im Zentrum der Affäre: die Finanzen der Arbeiterwohlfahrt, kurz AWO. Der vor 100 Jahren aus der SPD heraus gegründete Sozialverband ist zu einem Großkonzern geworden, der bundesweit mehr als 230 000 Mitarbeiter beschäftigt. Organisiert ist die AWO aber nach dem Vereinsrecht. Die Millionengeschäfte der einzelnen Kreisverbände kontrollieren ehrenamtliche Mitglieder. Doch die sind damit oft überfordert. Hinzu kommt, dass Funktionäre der AWO häufig SPD-Politiker sind.

In Frankfurt und Wiesbaden hat sich zwischen AWO und SPD ein über Jahre hinweg fein gesponnenes Netz aus persönlichen Bekanntschaften und gegenseitigen Abhängigkeiten gebildet. Ehrenamtliche Kommunalpolitiker werden zu Reisen eingeladen, bekommen gut bezahlte Jobs mit Dienstwagen, einzelne politische Karrieren werden gezielt unterstützt. Gleichzeitig vergibt die Stadt Millionenaufträge an die AWO. Wie der gemeinnützige Verein mit diesem Steuergeld umgeht, wurde bisher erstaunlich schlecht kontrolliert. In einem Fall ermittelt bereits die Staatsanwaltschaft. Der Verdacht lautet: Untreue und Betrug beim Betrieb von zwei Flüchtlingsheimen.

Wie der Urmythos der Sozialdemokratie

Kurz vor seiner Wiederwahl lernte ich Peter Feldmann näher kennen. Für ein Wahlkampfporträt führte er mich durch die Hochhaussiedlung von Bonames, jenem Stadtteil von Frankfurt, in dem er aufgewachsen ist. Feldmann erzählte, wie er als Jugendlicher davon geträumt habe, eines Tages in das feinere Nordend zu ziehen. Es klang wie der Urmythos der Sozialdemokratie: ein Mann aus der Arbeiterklasse, der sich nach oben gearbeitet hat und nun dafür kämpft, dass auch anderen der Aufstieg gelingt. Journalisten mögen solche Geschichten. Doch als ich damit in die Redaktion kam, rollten die altgedienten Kollegen mit den Augen. „Hat er dir auch von den stinkenden Hochhauseingängen und den abgerissenen Briefkästen erzählt?“ Ja, das hatte er.

Am Ende des Spaziergangs durch Bonames, auf dem Rückweg zum Parkplatz, fragte Feldmann ein paar persönliche Dinge. Ich erzählte, dass ich nach einer Wohnung in Frankfurt suche. „Rufen Sie mal Herrn Junker an und sagen Sie ihm einen Gruß von mir“, antwortete er. Da war es wieder, dieses unangenehme Gefühl der Nähe. Herr Junker ist Chef der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, er vermietet mehr als 50.000 Wohnungen. Und Feldmann ist der Chef von Herrn Junker.

Veruntreung von Geldern

Die Frankfurter AWO-Affäre begann im Frühjahr 2019 mit einem großen Umschlag. Ein Informant hatte Unterlagen in unsere Redaktion geschickt, versehen mit einem brisanten Hinweis: Der AWO-Kreisverband soll Geld, das er von der Stadt Frankfurt für den Betrieb zweier Asylbewerberheime erhalten hat, in dunkle Kanäle umgeleitet haben.

In dem Umschlag steckte die Kopie einer „Kooperationsvereinbarung“ zwischen dem AWO-Kreisverband und einer Altenhilfestiftung. Es ging darin um „das Angebot physiotherapeutischer Betreuung und Sportangebote für Geflüchtete“. Die aufgelisteten Leistungen lasen sich wie das Kursprogramm eines Fitness- und Wellnessstudios: „Massagen, Ernährungsberatung, Progressive Muskelentspannung, Autogenes Training, Meditation“. Auffällig war, dass diese Vereinbarung von derselben Person zweimal unterschrieben wurde, einmal für die AWO und einmal für die Stiftung. Denn deren Geschäftsführer ist jeweils Jürgen Richter.

Wahlkampf statt Arbeit

Richter ist ein Mann von barocker Gestalt. Er fährt gerne teure Autos, hatte auch mal einen Jaguar und speist mit seiner Frau regelmäßig in Wiesbadener Luxusrestaurants. Seit 1993 führt er die Geschäfte der AWO Frankfurt, seine Ehefrau Hannelore war bis vor kurzem Chefin der AWO Wiesbaden. Beide vereinsrechtlich voneinander unabhängigen Kreisverbände sind so eng miteinander verwoben, dass man sie als einen Komplex betrachten muss. Peter Feldmann ist mit dem Ehepaar Richter schon seit Jahren befreundet. 2008 holten sie ihn zur AWO – und halfen ihm so, Bürgermeister von Frankfurt zu werden.

Feldmann hatte zuvor Politikwissenschaft in Marburg studiert und danach als Sekretär des sozialistischen Jugendverbands Die Falken gearbeitet. Später wurde er Grundsatzreferent beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. 2008 dann der Sprung zur AWO, wo Feldmann ein Altenheim leitete und dann in die Geschäftsstelle der Johanna-Kirchner-Stiftung wechselte. Angeblich sollte er sich dort um das „Belegungsmanagement“ der Pflegeheime kümmern. Doch diese Stabsstelle gab es vorher nicht, und sie wurde nicht wiederbesetzt, nachdem Feldmann Bürgermeister geworden war. Mitarbeiter der Stiftung sagen, er habe sich während dieser Zeit weniger um die Belegung der Heime als um seinen Wahlkampf gekümmert.

Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft

Die Johanna-Kirchner-Stiftung gehört zum AWO-Kreisverband Frankfurt. Es ist die Stiftung, die sich ab 2017 laut „Kooperationsvereinbarung“ um Sportangebote und die „physiotherapeutische Betreuung“ von Asylbewerbern kümmern sollte. Aus der Stadtkasse erhielt sie dafür 201 461 Euro.

Als die Frankfurter Neue Presse im Juni 2019 zum ersten Mal über das Sport- und Wellnessprogramm berichtete, stürzte sich die AfD-Fraktion darauf. Kein Wunder. Alle anderen Fraktionen im Römer mieden das Thema. Das machte es der AWO und ihren sozialdemokratischen Unterstützern leicht, die Berichte als rechtspopulistische Kampagne abzutun. Sogar aus dem CDU-geführten Sozialdezernat der Stadt kamen solche Unterstellungen. „Sie machen sich zum Sprachrohr der AfD“, schimpfte die Dezernatssprecherin am Telefon.

Dabei hatte ich längst weitere Dokumente, die zeigen, dass wohl kriminelle Energie dahintersteckte. Denn die gegenüber der Stadt abgerechneten Angebote haben in Wirklichkeit kaum stattgefunden. Die Kontrolllisten, die an das städtische Sozialdezernat geschickt wurden, waren gefälscht. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Top-Verdiener der AWO Frankfurt

Peter Feldmann hat sich seit Beginn der Affäre um die AWO-Flüchtlingsheime nie öffentlich zu den Vorwürfen geäußert. Er hat seine Freunde und früheren Chefs weder verteidigt noch um Rechenschaft gebeten. Er lächelte freundlich. Doch diese Taktik ging nicht lange auf.

Nach einem weiteren Bericht über die personellen und finanziellen Verflechtungen der AWO-Kreisverbände meldete sich jemand per E-Mail, der versprach, „die einzelnen Puzzleteile zusammenzusetzen“. Am Ende des Gesprächs holte er Unterlagen hervor: interne Personalabrechnungsdaten ausgewählter Top-Verdiener der AWO Frankfurt. Darin tauchte auch der Name Feldmann auf. Und zwar gleich zweimal.

„Seit 17.42 Uhr hat Frankfurt eine First Lady“, titelte die Frankfurter BILD am 26. April 2016 begeistert. Peter Feldmann heiratete „seine Zübeyde“, wie das Boulevardblatt schwärmte. Die frisch Angetraute stand seit 2015 auf der Gehaltsliste des AWO-Kreisverbands Frankfurt. Sie wurde als Leiterin einer neu gegründeten deutsch-türkischen Kindertagesstätte eingestellt. Ein Paar waren Feldmann und sie bereits damals.

Feldmann schwieg tagelang und lächelte in Kameras

Welchen Einfluss der Oberbürgermeister auf die Besetzung der Stelle genommen hat, ist ebenso unklar wie die Antwort auf die Frage, ob er wusste, dass seine spätere Frau ein deutlich besseres Gehalt bekam als laut Tarifregeln üblich. Er selbst bestreitet beides. Doch kaum entgangen sein dürfte ihm, dass seine Partnerin und dann Ehefrau über Jahre mit einem Ford Focus unterwegs war, der das Kennzeichen „F-AW“ trug. „AW“ steht für Arbeiterwohlfahrt. Es war ein Dienstwagen, den sie auch privat nutzen durfte, auch noch während der Elternzeit nach der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter. Welche Kita-Leiterin bekommt einen Firmenwagen?

Mitte November machte der einst wegen seiner SPD-Nähe als „Rotfunk“ verschriene Hessische Rundfunk die Vorwürfe öffentlich. Feldmann reagierte wie immer: Er schwieg tagelang und lächelte in die Kameras. Erst als der Druck weiter zunahm, gab er eine schmale schriftliche Stellungnahme ab und lud handverlesene Journalisten zu vertraulichen Hintergrundgesprächen.

Auch der Bundesverband macht Druck

Für Feldmann und die Frankfurter SPD ist die Affäre bedrohlich. Denn das Bild eines Politikers, der seine Beziehungen genutzt haben könnte, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen, passt nicht zu dem Bild, das Feldmann von sich zeichnet. Zu dem Anwalt der kleinen Leute, der für soziale Gerechtigkeit kämpft. Bei den ehrenamtlich engagierten AWO-Mitgliedern in den Ortsvereinen rumort es. Und auch der Bundesverband macht inzwischen Druck.

Denn nun kommen mehr Details ans Licht. Auch weitere Frankfurter SPD-Politiker haben von der AWO profitiert. Eine junge Stadtverordnete stieg noch als Studentin zur Abteilungsleiterin auf, ein 33 Jahre alter Sozialdemokrat erhält als Pressesprecher des AWO-Kreisverbands rund 90 000 Euro Jahresgehalt. Auch er wurde bereits während seines Studiums angestellt. Und die stellvertretende AWO-Geschäftsführerin hatte als Dienstwagen einen Audi RS 4 Avant mit 450 PS.

Zu viel Nähe kann nun gefährlich werden

Hinzu kommen strafrechtliche Ermittlungen. Bisher gibt es keine Anhaltspunkte, dass Feldmann mit den finanziellen Unregelmäßigkeiten bei der Flüchtlingsbetreuung zu tun hatte. Im gesamten AWO-Netzwerk ist er eher eine Randfigur. Doch er kennt die Schlüsselpersonen persönlich. Und neben den dubiosen Wellnessabrechnungen hat die Staatsanwaltschaft eine weitaus größere AWO-interne Auftragsvergabe im Visier: Für die Bewachung der beiden Flüchtlingsheime flossen in anderthalb Jahren 7,1 Millionen Euro Steuergeld an die AWO Protect gGmbH. Der Kreisverband Frankfurt hatte diese Tochtergesellschaft eigens dafür gegründet. Als Geschäftsführer fungierte ein weiterer Freund Feldmanns.

Es gibt ein Hochzeitsfoto, auf dem zu sehen ist, wie der Bürgermeister seiner First Lady den Ring über den Finger schiebt. Hinter dem Brautpaar beobachtet Klaus Roth die Szene mit ernstem Blick. Bei der AWO hat Roth gleich zwei Jobs. Er ist Chef der AWO-eigenen Sicherheitsfirma und Leiter der Abteilung Kindertagesstätten. Wie gut Frau Feldmann bezahlt wird und welchen Dienstwagen sie fährt, muss er gewusst haben.

Zu viel Nähe kann für Peter Feldmann nun gefährlich werden. Bei den vertraulichen Gesprächen mit Journalisten soll er sehr leise geredet haben. Man habe ihn zum Teil kaum verstanden.

Dieser Text ist in der Cicero-Ausgabe Januar 2020 erschienen.

 

 

 

 

 

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