Arabische Clans - „Die Clans haben das Gefühl: Sie können tun, was sie wollen“

Am Donnerstag ist der vor einer Woche erschossene Nidal R. unter Polizeischutz beerdigt worden. Der Sprecher der Polizeigewerkschaft GdP erläutert, warum sich die arabischen Clans in Berlin als Herrscher fühlen und was die Politik tun muss, um die Polizei zu unterstützen

Staatsbegräbnis für einen Intensivtäter: 150 Polizisten verhinderten, dass um den Friedhof ein Verkehrschaos ausbrach / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Benjamin Jendro ist Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin. In der Hauptstadt gibt es 25.000 Polizeibeamte, davon 17.000 im Polizeivollzugsdienst.

Herr Jendro, am Donnerstag ist der erschossene Intensivstraftäter Nidal R. auf dem muslimischem Feld des evangelischen Friedhofs der Schöneberger Zwölf-Apostel-Gemeinde beerdigt worden. R. ist der Spross eines bekannten arabischen Clans, der die Stadt seit Jahren terrorisiert. 150 Polizisten wurden abgestellt, um 2.000 Gäste zu beschützen. Daneben verteilten sie auch Knöllchen an Luxus-Limousinen, die zum großen Teil von Hartz IV-Empfängern gefahren werden. Was geht Polizisten durch den Kopf, wenn sie sich dieses Szenario vergegenwärtigen?
Die Polizei war nicht dort, um die Trauergemeinde zu beschützen, sondern um ein Chaos in den umliegenden Straßen zu verhindern. Das ist die Lehre, die wir aus anderen Beerdigungen gezogen haben. Vor drei Jahren sind zwei Clanmitglieder bei einem Unfall auf der Autobahn ums Leben gekommen. Zu ihrer Trauerfeier kamen ungefähr 3.000 Gäste. So viele Parkplätze hat kein Friedhof. Der ganze Columbiadamm versank im Chaos. Es gab Autos, die quer über dem Bordstein parkten.

Das heißt, der Staat finanziert Schwerverbrechern mit Steuergeldern ein Staatsbegräbnis?
Das fragen sich viele Polizisten auch. Die Opfer der Straftaten von Nidal R. werden nicht so hofiert. Die Polizisten fragen sich aber auch, wie jemand, der Hartz IV empfängt, so eine teure Limousine fahren kann.

Am Sonntag zuvor war Nidal R. am Rand des Tempelhofer Felds erschossen worden – vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder und tausender Besucher. Augenzeugen sprechen von einer Hinrichtung. Ein Video zeigt Bilder von Menschen, die verstört und panisch reagieren. Hat die Gewalt der Clans eine neue Dimension erreicht?
Es waren nicht die ersten Kugeln, die in Berlin durch die Straßen geflogen sind. Vor drei Jahren gab es eine Schießerei am Olivaer Platz, bei der eine Radfahrerin von einem Querschläger getroffen wurde. Nichtsdestotrotz war es eine Hinrichtung – und das an einem Sonntagnachmittag und an einem belebten Ort wie dem Tempelhofer Feld. Das zeigt uns: Die Clans haben das Gefühl, sie können hier tun, was sie wollen.

Welche Botschaft vermittelt diese Hinrichtung?
Diesen Clans geht es immer ums Geld, es geht aber auch um das Demonstrieren von Macht. Es geht ihnen darum, ein Zeichen zu setzen: Wir können ein noch größeres Ding starten. Nidal R. ist ja eine Persönlichkeit, die man kennt, nicht nur im Berliner Untergrund. Er hat von 36 Jahren vierzehn im Knast gesessen. Seine Biographie steht sinnbildlich für die organisierte Kriminalität arabischer Clans in der Stadt. Wenn man so ein Aushängeschild auf einem belebten Platz wie dem Tempelhofer Feld hinrichtet, dann ist das eine Warnung an alle anderen Clans.

Die Polizei geht davon aus, dass jetzt mit Racheakten zu rechnen ist. Müssen sich die Berliner darauf einrichten, dass Szenen wie auf dem Tempelhofer Feld künftig zum Alltag gehören?
Wenn man ehrlich ist, muss man sagen, dass sich dieser Mord schon in den vergangenen Wochen angedeutet hat. Eine Woche vorher gab es zwei Schwerverletzte bei einer Schießerei in einer Britzer Bar. Man muss jetzt damit rechnen, dass eine Reaktion auf dieses Tötungsdelikt erfolgen wird. Solche Streitereien zwischen Clans beschäftigen die Polizei schon seit Jahren, ohne dass die Öffentlichkeit jedes Mal etwas davon mitbekommt. Jedes Mal, wenn Sie im Polizeibericht vom Einsatz einer Schusswaffe lesen, können Sie davon ausgehen: In achtzig bis neunzig Prozent der Fälle haben die Clans ihre Finger mit im Spiel.

Kennen Sie die TV-Serie „4 Blocks“ über den libanesischen Gangsterboss Tony Hamady, der Neukölln terrorisiert?
Na klar. Die spiegelt den Alltag wieder. Ich finde das problematisch. Denn dieser Mikrokosmos der arabischen Clans übt natürlich auch eine Faszination auf junge Männer aus.

Sie macht aus Verbrechern Helden?
Genau, darum geht es. Mit der einen oder anderen Figur können Zuschauer durchaus sympathisieren.

Kriminologen nennen die arabischen Clans gern in einem Atemzug mit der Mafia. Trifft es der Vergleich?  
Höchstens, was die Geldwäschemethoden betrifft. Die Mafia begeht ihre Verbrechen aber überwiegend im stillen Kämmerchen. Dagegen nutzen die arabischen Clans die Straße als Bühne. Sie wollen zeigen: Ich bin hier der Held! Und sei es, indem man mit dem Lamborghini über den Kudamm fährt. Die deutsche Rap-Kultur mit ihrem Aushängeschild Bushido hat schon vorher dazu beigetragen, dass die Clans so einen populären Status haben.

Gibt es es nach der Schießerei auf dem Tempelhofer Feld Tipps von der Polizei, wie sich Bürger in ähnlichen Situationen verhalten sollen?
Sie sollten sehen, dass sie schleunigst aus der Gefahrenzone wegkommen. Ich würde den Bürgern gern die Angst nehmen. Aber letztlich können wir nur von Glück reden, dass auch in den vergangenen Wochen kein Unbekannter zwischen die Fronten geraten ist. Es ist aber trotzdem wichtig, ruhig zu bleiben. Man wird nicht sofort erschossen, wenn man auf Berlins Straßen unterwegs ist.

Aber solche Opfer werden von den Clans bewusst in Kauf genommen?
Na ja, wir haben bei den Clans keine Elite-Soldaten, die alle Präzisionsschützen sind. Wenn ich an einem Sonntagabend an einem belebten Ort um mich feuere, muss ich natürlich davon ausgehen, dass ich auch jemanden treffe, den ich nicht treffen möchte.

20 Prozent der Straftaten im Bereich der Organisierten Kriminalität sollen inzwischen auf das Konto dieser Clans gehen. Hat der Rechtsstaat vor ihnen kapituliert?
Diese Zahl dürfte sogar um einiges höher liegen. Diese Clans haben sich in den vergangenen Jahren manifestiert und die herausgedrängt, die früher den Ton angegeben haben – zum einen, weil sie viele sind und zum anderen, weil sie äußerst brutal vorgehen. Man trifft sie überall dort, wo man schnell Geld verdienen kann. Im Drogen- und Waffenhandel, im illegalen Glücksspiel, beim Schutzgeld, in der Prostitution und im Immobilienhandel. Die Aufklärungsquote liegt in Berlin gerade mal bei 40 bis 45 Prozent.  

Warum ist es so schwer, denen das Handwerk zu legen?
Diese Clans sind vor drei Jahrzehnten nach Berlin gekommen. Wir reden von etwa einem Dutzend arabisch-stämmiger Clans. Die Zahl ihrer Mitglieder ist mittlerweile vierstellig. Das Problem ist diese bandenmäßige Struktur. Wenn Sie jemanden beim Drogenhandel am Kottbusser Tor erwischen, wird der natürlich nicht seine Hintermänner verraten. Und bei einzelnen Delikten ist die Strafe relativ mild. Ein Staatsanwalt, der mutig und bereit für ein größeres Verfahren ist, muss sich ein paar Jahre ans Bein binden. Und dann reichen die Straftaten vielleicht für zwei, drei Jahre auf Bewährung. Das schreckt die Täter nicht ab. Darüber lachen die.

Bilden diese Clans einen Staat im Staat?
Das würden sie gerne. Es gibt Straßen in Berlin, da gilt ihr Recht. Jedenfalls denken sie das. Unser Problem ist, dass wir in diese Clans nicht reinkommen. Wir können da keine V-Leute einschleusen, weil es Familienbanden sind. Es gibt auch kaum Aussteiger.

Was können Sie überhaupt tun?
Bundesweit gibt es gerade eine Reihe von Gesetzesveränderungen – zum Beispiel bei der Vermögensabschöpfung. Das ist einer der Schlüssel zur Verbrechensbekämpfung. Wir sind gerade dabei, die umzusetzen. Im Juli haben Ermittler 77 Immobilien eines arabischen Clans in Berlin beschlagnahmt. 

Warum?
Sie haben vorhin die Hartz IV-Empfänger angesprochen. Wenn so einer 100.000 Euro unterm Pullover trägt und sagt, das Geld habe er von seinem Bruder geschenkt bekommen, war es schwer, dieses Geld zu beschlagnahmen. Jetzt kann man es zwar beschlagnahmen, muss aber im Nachgang weiterhin nachweisen, dass er es illegal erworben hat. In Italien gilt in diesem Fall die Beweislastumkehr. Das heißt, der Verdächtige muss beweisen, dass er Hab und Gut legal erworben hat.

Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) hat jetzt einen Sechs-Punkte-Plan zur Bekämpfung dieser Clans vorgelegt. Er sieht unter anderem vor, dass es eine bundesweit einheitliche Definition von Clan-Kriminalität gibt, um Täter auch in anderen Bundesländern zu identifizieren. Wie finden Sie diesen Vorstoß?
Herr Hikel geht nur den Weg weiter, den seine Vorgängerin, Franziska Giffey eingeschlagen hat. Das ist nichts Neues, aber sinnvoll. Wir wären schon längst weiter, wenn weitere Politiker diesem Weg folgen würden.

Strafprozesse gegen Clan-Mitglieder wurden schon eingestellt, weil die Angeklagten Zeugen einschüchtern. Stimmt es, dass es auch Polizisten gibt, die vor den Clans Angst haben?
Diese Einschüchterung von Zeugen funktioniert ja nur deshalb, weil der Rechtsstaat nicht entschlossen genug dagegen vorgeht. Es kommt auch vor, dass auch Polizisten während der Prozesse von den Angeklagten beleidigt werden. Diese Bedrohungen funktionieren auf psychologischer Ebene.

Benjamin Jendro / GdP

 

Wie meinen Sie das?
Ein Ermittler vom Landeskriminalamt verlässt seine Dienststelle, und draußen warten schon zwei Mitglieder eines arabischen Clans und fahren hinter ihm hinterher. Das reicht schon. Das ist ein psychischer Druck, dem muss man als Mensch erst einmal standhalten. Die Clans wissen ja, welcher Ermittler in welchem Bereich tätig ist. Die Polizisten gehen ja auch mal abends in Restaurants, um zu zeigen: Wir haben Euch genauso im Blick.
 
Nidal R. ist ein gutes Beispiel. Wegen ihm hat die Polizei 2003 ein Sonderdezernat für Intensivstraftäter eingerichtet. Warum hat ihn der Staat nicht in den Libanon abgeschoben? 
Die Frage muss man sich natürlich stellen. Berlin wurde in dieser Zeit von einem rot-roten Senat regiert. Abschiebungen stehen nicht oben auf seiner Prioritätenliste. Es war nicht die einzige Personalie, bei der der Staat nicht entschlossen genug vorgegangen ist. Nehmen Sie zum Beispiel den späteren IS-Terroristen Denis Cuspert alias Deso Dogg oder Anis Amri, den Attentäter vom Breitscheidtplatz. Da hat unser System der Abschiebung generell nicht funktioniert. Im Augenblick haben wir in Deutschland 240.000 Menschen, die abgeschoben werden müssten. 2017 haben wir es gerade mal geschafft, gute 45.000 Abschiebungen zu vollziehen. Es fehlt nicht nur am politischen Willen, sondern auch an personellen Kapazitäten.

In Berlin wurde der Abschiebeknast 2015 abgeschafft. Mit welchen Konsequenzen?
Die Ausländerbehörde teilt den Menschen jetzt mit, wann sie abgeschoben werden. An diesem Datum kommt dann die Polizei zu ihnen. Wer nicht abgeschoben werden will, den treffen sie natürlich nicht mehr an. Sie sehen: Das ist gar nicht so leicht. Bei den arabischen Clans kommt erschwerend hinzu: Ein Großteil der Mitglieder hat einen deutschen Pass. Wie wollen Sie die abschieben?

Fühlt sich die Polizei von der Politik im Stich gelassen?
Definitiv. Nicht nur beim Kampf gegen die Kriminalität, auch bei der Besoldung und bei der Personalausstattung. Die ist heute noch auf dem Stand von 2001. Und in der Zwischenzeit ist die Stadt um 400.000 Menschen gewachsen.

Was muss sich gesetzlich noch ändern, damit die Polizei effektiver gegen arabische Clans vorgehen kann?
Es muss ein bundesweit einheitliches Polizeigesetz geben. Sonst entsteht ein Missverhältnis. Der Bürger fragt sich: Warum wird Falschparken konsequent bestraft, aber ein Intensivstraftäter wie Nidal R. kann jahrelang Verbrechen begehen, ohne dass er zur Rechenschaft gezogen wird.

Sobald im Rest der Republik ein Mörder mit Migrationshintergrund auffliegt, ertönt ein Aufschrei der Empörung. Bürger demonstrieren. In Berlin fliegen regelmäßig Kugeln aus den Waffen arabischer Clans, ohne dass sich dagegen Widerstand regt. Haben die Bewohner vor der Gewalt resigniert?
Das ist ja das Problem mit diesen Clans. Sie sind ein fester Bestandteil der Gesellschaft. Man weiß oft, wo sie Schutzgeld kassieren. Der Aufschrei nach schweren Verbrechen ist schnell wieder verhallt. Das kann Berliner Mentalität sein, aber wenn wir den Kampf gegen die Clans gewinnen wollen, müssen wir auch als Gesellschaft aufhören, Sachen zu akzeptieren und deutlich zeigen, dass in Berlin kein Platz für kriminelle Machenschaften ist.

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