Arabische Clans - „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass sich Verbrechen lohnen“ 

Im Kampf gegen die arabischen Clans wollen die Behörden in Berlin jetzt zusammenarbeiten. Neuköllns neuer Bürgermeister, Martin Hikel, setzt auf das Gesetz zur Vermögensabschöpfung. Doch die Clans haben gute Anwälte. Was ist, wenn sie die Unschuld ihrer Mandanten beweisen können?

Polizeischutz für die Trauergäste des erschossenen Intensivstraftäters Nidal R.: eine Parallelwelt mitten in Berlin / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Mit 32 Jahren ist Martin Hikel Berlins jüngster Bezirksbürgermeister. Im März 2018 hat er die Nachfolge von Franziska Giffey angetreten, die zur Bundesfamilienministeirn ernannt wurde. Der gebürtige Berliner trat 2005 in die SPD ein und war von 2016 bis 2018 SPD-Frakionsvorsitzender in der Bezirksverordneten-Versammlung Berlin-Neukölln. Hikel war bis zu seiner Wahl zum Bezirksbürgermeister Politik- und Mathelehrer an der John-F.-Kennedy-Schule in Berlin-Zehlendorf. 

Herr Hikel, zusammen mit Vertretern des Justiz-., Innen- und Finanzsenats haben Sie sich gerade zu einem Clan-Gipfel getroffen. Clan-Gipfel, das klingt nach Krisengipfel. Wie groß ist die Gefahr, die von den arabischen Clans ausgeht?
Das Thema ist nicht neu. Wir sind jetzt aber an einem Punkt, wo wir erkannt haben: Die Gefahr ist groß, dass illegal erworbene Vermögen legalisiert werden. Damit hätten sich die ganzen Straftaten gelohnt. Das können wir aber  nicht hinnehmen. Dem müssen wir einen Riegel vorschieben.  

Neulich haben Maler unter Polizeischutz ein Graffiti des bei einem Clan-Krieg am Rande des Tempelhofer Feldes erschossenen Nidal R. beseitigt. Hat der Staat vor den Clans nicht längst kapituliert?
Es war eine richtige Entscheidung, das Graffiti zu entfernen, damit keine Glorifizierung dieses Intensivstraftäters stattfindet.  Das war kein Zeichen von Kapitulation. 

Sondern?
Der Staat ist situationsangemessen damit umgegangen. 

Aber inzwischen gehen mehr als 20 Prozent der Straftaten im Bereich der Organisierten Kriminalität auf das Konto der Clans. Die Aufklärungsquote liegt gerade mal bei 45 Prozent. Besonders beruhigend klingt das nicht.
Gerade deshalb müssen wir jetzt handeln. Die Vermögen dieser Familien sind so groß, dass sie sich die besten Anwälte leisten können. Jemand wie Arafat Abou Chaka hat rein formell eine weiße Weste, aber der Verdacht liegt nahe, dass da einiges im Argen liegt  

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) will jetzt die Kräfte der Behörde im Kampf gegen die Clans bündeln, damit sie Bevölkerung nicht mehr terrorisieren. Das Ergebnis ist ein Fünf-Punkte-Plan. Was sieht der vor?
Der wichtigste Punkt  ist, an die Vermögen der Familien heranzukommen. Dazu brauchen wir die Justiz mit im Boot. Die wird eine eigene Abteilung zur Vermögensabschöpfung einrichten, die eng zusammenarbeiten wird mit den Finanzermittlern des Landeskriminalamtes. Auch die Steuerfahndung wird die Kontrollen in einschlägig bekannten Betrieben hochfahren. Ganz wichtig ist auch, dass der Staat seine Null-Toleranz-Politik auf Ordnungswidrigkeiten ausweitet. Es geht darum, den Ermittlungsdruck und die Repression an den richtigen Stellen hochzufahren, und gleichzeitig ein Konzept zur Prävention zu entwerfen. Abgestimmt werden sollen diese Bemühungen von einer Koordinierungsstelle. 

Im Juli hat die  Staatsanwaltschaft 77 Immobilien eines Clans beschlagnahmt. Die Mitglieder müssen jetzt beweisen, dass sie das Geld nicht illegal erworben haben. Gibt es schon Ergebnisse?
Nein, das wird wohl ein längeres Verfahren. Solange diese Frage nicht geklärt ist, sind die Immobilien nicht im Besitz der Familie. Ich glaube, dass wir noch mehrere solcher Verfahren brauchen. 

Warum?
Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass es sich lohnt, eine Bank auszurauben oder Menschen zu erpressen. Wie sollen wir jungen Menschen sonst erklären, dass es sich lohnt, jeden Morgen zur Schule zu gehen? 

Was ist, wenn der Clan jetzt nachweisen kann, dass er unschuldig ist? Wäre die Justiz dann nicht bis auf die Knochen blamiert? 
Ich gehe davon aus, dass sich ein Hartz IV-Bezieher keine 77 Immobilien in Berlin leisten kann. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie er das Gegenteil beweisen will. Insofern ist die Justiz zum Erfolg verdammt. 

Geplant ist ein Aussteiger-Programm für Mitglieder der Clans. Deren Erfolg beruht auf der Loyalität ihrer Mitglieder. Ein Ausstieg kommt einem Selbstmord gleich. Womit will der Senat Aussteiger ködern? 
Der Bezirk Neukölln hat schon vor Wochen beschlossen, so ein Aussteiger-Programm zu konzipieren. Wir arbeiten da mit dem Verein „Mafia, nein danke“ zusammen. Die Idee dahinter ist, dass man in so eine Familie entweder hinein geboren oder hineinverheiratet wird. Bei diesen Menschen müssen wir ansetzen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass  jedes Familienmitglied ständig in dem Risiko leben will, von der Polizei festgenommen oder von konkurrierenden Clans bedroht zu werden. 

Der Verein arbeitet mit Mafia-Aussteigern in Italien zusammen. Funktioniert das auch mit arabischen Clans?   
Das müssen wir ausprobieren, In Italien sind schon 50 junge Mitglieder von Mafia-Familien ausgestiegen. Und keiner von denen ist in dem Bereich wieder rückfällig geworden.  

Die Politik will künftig auch verhindern, dass die Kinder der Clans in diesen kriminellen Strukturen sozialisiert werden. Neuköllns Jugendstadtrat Falko Lieke (CDU) denkt laut darüber nach, die Kinder solcher Clans in staatliche Obhut zu nehmen. Das ist nach dem Grundgesetz nahezu unmöglich. 
Das ist eine parteiübergreifende Forderung. Dahinter steckt die Frage, inwiefern es rechtens ist, dass Kindern in kriminellen Strukturen aufwachsen und gar nichts anderes kennenlernen. Das Gesetz setzt einer Entnahme wegen Kindeswohlgefährdung sehr enge Grenzen. Wir haben ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, um zu prüfen, ob und inwiefern ein kriminelles Umfeld auch als Kindeswohlgefährdung definiert werden kann.

Ihr Vor-Vorgänger Heinz Buschkowsky hat dazu in einem Interview gesagt, er möchte den Sozialarbeiter sehen, der sich traut, sich bei einem solchen Einsatz verprügeln zu lassen. 
Wenn es zu so einem Einsatz kommt, kann das nur unter Amtshilfe der Polizei passieren. Vorher müssen Fachleute aber erstmal die Frage beantworten: Kann so eine staatliche Inhobhutnahme verhindern, dass die Kinder später kriminell werden? Oder sind die Kinder total erschüttert darüber, dass sie von den Eltern getrennt werden – von Menschen, die sie lieben, weil sie es nicht anders kennengelernt haben. Ein ganz schwierige Frage. Ich glaube, dass der Ausstieg auf freiwilliger Basis einfacher machbar wäre. 

Die Opposition kritisiert, dass Falko Lieke zu dem Clan-Gipfel nicht eingeladen war. War dieses Treffen ein Experten-Forum oder eine reine Show-Veranstaltung des rot-rot-grünen Senats?
Das war ein Experten-Forum. Im Fokus stand die Frage der Strafverfolgung und der Vermögensabschöpfung. Es wurde gezeigt, dass auch der Jugendbereich betroffen ist. Es ging darum, sich zu vernetzen. In einem zweiten Schritt werden auch die betroffenen Fachstadträte und Fachämter mit dazu eingeladen. 

Soll das Modell Neukölln auch auf andere Stadtteile übertragen werden?
Das wäre mein expliziter Wunsch. Das muss von der neuen  Koordinierungsstelle gesteuert werden. Es kann nicht sein, dass andere Bezirke sagen, wir haben kein Problem mit arabischen Clans. Shisha-Bars, in denen Geld gewaschen wird, gibt es ja auch in Friedrichshain-Kreuzberg, in Tempelhof-Schöneberg, in Spandau oder in Mitte. Neukölln ist kein gallisches Dorf. Wir sind nur die, die etwas gegen die organisierte Kriminalität tun.   

Sie sind  seit einem halben Jahr Bürgermeister in Neukölln. Eigentlich sind Sie Mathelehrer an der John-F. Kennedy-Schule. Was ist schwerer, Pubertierenden die Kurvendiskussion einzutrichtern oder einen Problemstadtteil zu regieren?
Es kommt immer auf die Tagesform der Schüler an. Montag, erste Stunde Mathe, war immer ganz schwer. Freitag, letzte Stunde Mathe auch. Das eine lässt sich mit dem anderen aber nicht vergleichen. Ich bin in diesem Bezirk groß geworden. Ich lebe gern hier. Von daher macht es mir auch Spaß, Verantwortung zu übernehmen und den Kiez mitzugestalten. Ich stehe als Bürgermeister mehr im Fokus der Öffentlichkeit  – und das in einem Bezirk, der ein Brennglas für gesamtgesellschaftliche Probleme ist. Neukölln gilt trotzdem als der siebtcoolste Kiez weltweit. 

Sagt wer?
Das amerikanische Magazin TimeOut. Die hat die Gastro-Szene beeindruckt. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die arabischen Clans, die das Image des Bezirks prägen.

Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel

Haben Sie mal einen Moment gezögert, ob Sie dieses Amt annehmen sollten?
Ja, aber nur, weil ich das mit meiner Frau besprechen wollte. Bezirksbürgermeister ist ein Fulltime Job, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Man kann das Amt nicht ablegen, wenn man die Haustür schließt. Es war aber eine Ehre, als mich Franziska Giffey gefragt hat, ob ich mir es vorstellen könnte, diesen Job zu machen. Ich mache hier Politik, seit ich Politik mache. 

Sie sind mit 32 Jahren Berlins jüngster Bürgermeister und Nachfolger  von Heinz Buschkowsky und Franziska Giffey, die beide bundesweit bekannt geworden sind. Sind die Fußstapfen nicht ein bisschen groß? 
Ich glaube, die Frage hat sich Frau Giffey auch gestellt, als sie den Job als Bürgermeisterin 2015 übernommen hat. Sie hat es gut gemeistert. Jeder muss aber seinen eigenen Stil finden. Niemand würde mir glauben, wenn ich versuchen würde, Heinz Buschkowsky zu imitieren. 

Aber er hat den Kurs der klaren Kante in der Integrationspolitik vorgegeben – bundesweit. Was ist er für Sie: Vorbild – oder Übervater?
Er und seine Generation haben Meilensteine gesetzt – übrigens nicht nur in der Integrationspolitik. Viele Debatten hätten ohne ihn nicht stattgefunden. 

Die arabischen Clans sind nur ein kleiner Teil der arabischen Community in Neukölln. Wie wollen Sie den Spagat schaffen, dass Neukölln sein Image als Brennpunkt los wird, ohne gut integrierte Araber vor den Kopf zu stoßen? 
Ich glaube, dass die konsequente Verfolgung dieser kriminellen Strukturen dazu führt, dass die Anerkennung der arabischen Community steigt. Viele fühlen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt, wenn von „den Arabern“ gesprochen wird – sowohl in der Politik als auch in Teilen der Bevölkerung. Das sorgt für eine soziale Spaltung. Wenn man den Clans den Kampf ansagt und sich ganz klar auf die Seite derer stellt, die rechtschaffen sind und wenn man keinen Unterschied macht zwischen arabischstämmig, türkischstämmig oder deutschstämmig, dann hat man diese Menschen im Boot. 

Die Clans haben sich seit den siebziger Jahren ein Paralleluniversum in Berlin geschaffen. Es konnte sich nur entwickeln, weil der Staat  sie stillschweigend geduldet hat. Kommt der 5-Punkte-Plan des Senats nicht vierzig Jahre zu spät?
Wir haben jahrelang viel falsch gemacht. In den achtziger Jahren hat es zum Beispiel keine unbezahlten Deutschkurse gegeben. Man hat Menschen keine Angebote zur Integration gemacht. Man ging davon aus: Die gehen wieder zurück. Das fing erst in den neunziger Jahren an.

Aber da waren viele schon in die Kriminalität abgerutscht. 
Einige. Andere haben wir aber mit Integrationsprojekten durchaus noch erreicht. Denken Sie an unsere Stadtteilmütter, die in die Familien gehen und ihnen ihre Rechte und Pflichten kommunizieren. Da kann man im Nachgang nur mit kleinen Schritten etwas erreichen. So wird es auch mit dem Fünf-Punkte-Plan sein. Der ist nur ein Anfang. Wir brauchen einen langen Atem, um unsere Ziele zu erreichen. Es wird ein Dauerlauf, kein Sprint. 

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