Antisemitismus auf deutschen Straßen - Ross und Reiter nennen

Wegen des Gaza-Konflikts kommt es in Deutschland vielerorts zu Anti-Israel-Demonstrationen, teilweise mit offenem Juden-Hass. Aber Medien wie die „Tagesschau“ behaupten, man wisse nicht, wer daran beteiligt ist. Dabei sprechen die Bilder eine klare Sprache. Wir erleben die Folgen eines eklatanten Politikversagens.

Palästinenser-Demo in Berlin-Neukölln am Samstag / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Michael Sommer lehrt an der Universität Oldenburg Alte Geschichte und moderiert gemeinsam mit Evolutionsbiologe Axel Meyer den Cicero-Wissenschafts-Podcast

So erreichen Sie Michael Sommer:

Anzeige

Die israelische Journalistin Antonia Yamin gibt dem Sender RTL ein Interview. Plötzlich ein lauter Knall, die Reporterin zuckt zusammen, Bodyguards sind zur Stelle und schirmen sie ab.

Dies sind keine Bilder aus einem Bürgerkriegsgebiet, sie kommen mitten aus Berlin, wo sich am 15. Mai gleich zwei Demonstrationszüge am Hermannplatz auf den Weg gemacht haben. Der eine zieht zum Rathaus Neukölln und verläuft weitgehend friedlich, der zweite mit 3.500 Teilnehmern eskaliert in Straßenschlachten. Zu dieser Demonstration hat die extremistische Organisation Samidoun Deutschland aufgerufen, die der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) nahesteht.

Der 14. Mai ist der Unabhängigkeitstag Israels. Den Tag danach, an dem das britische Mandat erlosch, begehen die Palästinenser traditionell als Nakba-Tag, als „Tag der Katastrophe“. Dieses Jahr fällt der Tag mit den Raketenangriffen der Hamas auf Israel und schweren Unruhen in Israel und im Westjordanland zusammen.

Der Nahe Osten ist in Aufruhr, doch Deutschland ist es auch. Bereits am Mittwoch versammelten sich vor der Synagoge in Gelsenkirchen rund 150 Menschen zu einer unangemeldeten Demonstration und skandierten unter anderem „Scheiß Jude! Scheiß Jude!“. Die Polizei war vor Ort, schritt aber nicht ein.

Hagener Stadtverwaltung hängt Israel-Flagge ab

In Hagen hängte die Stadtverwaltung eine israelische Fahne ab, die vor dem Rathaus gehisst worden war, um an den Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel am 12. Mai 1965 zu erinnern. In Solingen, Bonn und Münster wurden israelische Flaggen verbrannt, in Düsseldorf gab es einen Brandanschlag auf ein Synagogen-Denkmal, in Mannheim wurde die Scheibe einer Synagoge eingeschlagen. 

Antiisraelische Demonstrationen fanden auch in vielen anderen deutschen Städten statt. Vielerorts blieben sie friedlich, manchmal, wie in Stuttgart und Köln, wurden Anordnungen der Polizei missachtet, die Stimmung war aufgeheizt, es kam zu Rangeleien. Rufe für ein „freies Palästina“, gegen vermeintliche israelische „Apartheid“ und gegen den Zionismus vermischten sich mit unverhohlen judenfeindlichen Parolen. „Stop Jewish supremacy in Palestine“ steht auf der gelben Weste eines Mannes in Berlin. Terror wird als Widerstand verharmlost.

Kurzum: Es sind die typischen Ingredienzien eines toxischen Antisemitismus, der sich zur Tarnung das fadenscheinige Mäntelchen der Israelkritik übergeworfen hat, und manchmal eben nicht einmal das. Die Tagesschau twitterte nach dem Angriff auf die Synagoge in Gelsenkirchen, man wisse nicht, wer daran beteiligt war. Wissen wir wirklich nicht, wer hier militanten Judenhass auf Deutschlands Straßen trägt?

Die Bilder sprechen eine andere Sprache. Die große Mehrheit der Demonstranten gehören der muslimischen Migrantencommunity an, die Organisatoren kommen aus dem Dunstkreis von Hamas, PFLP und Muslimbrüdern, wie die Welt berichtete. Es wurden neben palästinensischen Flaggen die Fahnen der Türkei und Algeriens geschwenkt. Unterstützung erhält dieses Milieu aus den Reihen des schon länger hier lebenden Linksextremismus: Abordnungen von MLPD und SDAJ, der DKP-Jugendorganisation, waren ebenfalls an ihren Fahnen zu erkennen.

Die Leisetreterei ist verstörend

Und weil wir eben ganz genau wissen, welches Deutschland da gegen die jahrzehntelang verfochtene Maxime jeder Bundesregierung andemonstriert, das Existenzrecht Israels kompromisslos zu verteidigen, verstört die Leisetreterei, mit der Politik und Medien auf den auf die Straßen getragenen Judenhass reagieren. Die Tagesschau ist mit ihrem ostentativen Nichtwissen nicht allein. Auch der Bundespräsident, der klarstellt, man werde keinen Judenhass dulden, vermeidet es, Ross und Reiter zu nennen.

Erinnern wir uns: Das war 2019, als der Rechtsextremist Stephan B. die Synagoge in Halle angriff und im Verlauf der Tat zwei Menschen tötete, noch ganz anders gewesen. Umgehend – und zurecht! – suchte man nach den „geistigen Brandstiftern“ (der bayerische Innenminister Joachim Herrmann) und wurde auch sehr schnell konkret. Natürlich waren die vermeintlichen Biedermänner am rechtsextremen Rand zu suchen. Lautstark stimmte damals übrigens auch die Ditib in den Chor der Rufer nach Konsequenzen ein.

Wer sich jetzt mit der fadenscheinigen Begründung, man wisse ja nicht, wer hinter dem Judenhass im Mai 2021 stecke, bequem zurücklehnt und den Dingen ihren Lauf lässt, wird früher oder später Verhältnisse ernten, wie sie schon jetzt in Frankreich herrschen. Wer sich aus Angst vor dem ubiquitären Rassismusvorwurf Scheuklappen aufsetzt, wird jüdischen Kindern, die an Schulen drangsaliert werden, und Männern, die auf offener Straße angespuckt werden, weil sie eine Kippa tragen, nicht helfen können. Wer jetzt kneift, trägt die Verantwortung dafür, wenn die Dinge außer Kontrolle geraten.

Der Wahrheit ins Auge sehen

Wenn wir uns hingegen der Verantwortung stellen und dafür sorgen wollen, dass Deutschland für Juden ein sicheres Land ist oder wieder wird, dann müssen wir der Wahrheit ins Auge sehen, dass die Integrations- und Migrationspolitik der letzten Jahrzehnte krachend gescheitert ist. Eine signifikante Minderheit muslimischer Einwanderer hat sich erschütternd wenig davon beeindrucken lassen, dass die Staatsräson unseres Landes lautet: nie wieder Auschwitz. Ihre Ohren sind taub für alle volkspädagogischen Versuche, die Identität des guten Deutschland auf den Holocaust und möglichst ihn allein zu gründen, dafür aber weit offen für die Einflüsterungen fundamentalislamischer Prediger oder neo-osmanistischer Demagogen.

Wenn wir das ändern wollen, müssen wir dringend positive Identifikationsangebote für integrationswillige Einwanderer schaffen, ex negativo lässt sich keine Bürgergesellschaft bauen. Und den Integrationsunwilligen unter denen, die an unsere Tür klopfen, müssen wir klar sagen, dass wir sie hier nicht wollen.

Natürlich ist das unbequem, weil es ein eklatantes Politikversagen nicht nur in den letzten zehn oder 20, sondern im Grunde in den vergangenen 50 Jahren sichtbar macht. Es ist aber unerlässlich, wenn wir alle gemeinsam in Deutschland friedlich miteinander leben wollen.

Antonia Yamin ist in Berlin nicht zum ersten Mal mit Knallkörpern attackiert worden, weil sie Hebräisch sprach. Deutschland sollte alles unternehmen, damit dieses Mal das letzte war.

 

Gegendarstellung

Zu dem im Gastbeitrag von Michael Sommer „Antisemitismus auf deutschen Straßen – Ross und Reiter nennen“ vom 16.05.2021 und der Behauptung, Abordnungen u.a. der MLPD seien auf sogenannten Anti-Israel-Demonstrationen, bei denen judenfeindliche Parolen gerufen worden seien an ihren Fahnen erkennbar gewesen, stellen wir folgendes fest: 

„Abordnungen der MLPD haben sich an keinen Demonstrationen beteiligt, bei denen judenfeindliche Losungen verbreitet und/oder judenfeindliche Äußerungen getätigt wurden, insbesondere auch nicht an der Demonstration vom 15. Mai in Berlin.“

Gelsenkirchen, den 02.06.2021

Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)
- Zentralkomitee -  
Klaus Dumberger,
Parteigeschäftsführer

 

Anzeige