Dienstpflicht - Ein Angriff auf die Jugend

Annegret Kramp-Karrenbauer will als Dienstpflicht die Wehrpflicht wieder einführen. So schiebt die Politik ihre Probleme erneut auf die jungen Generationen ab. Die müssen ausbaden, was bei der Pflege und der Bundeswehr vermasselt wurde. Dabei sehen ihre Perspektiven schon heute schlecht aus

Soldaten beim Wehrdienst: Probleme kaschieren auf Kosten der Jugend / picture alliance
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Als ich 2001 in der Bundeswehr-Kaserne Hamburg-Fischbek meinen Spind einräumte, wusste ich nicht, dass ich eine der letzten „zwangsrekrutierten“ Soldaten sein würde. Immer weniger Männer eines Jahrgangs wurden danach eingezogen, bis die Wehrpflicht 2011 schließlich ganz abgeschafft, oder genauer: ausgesetzt wurde. Schon damals war der Dienst aber eher eine Farce. In der Grundausbildung wurde man oft grundlos zusammengestaucht von 18-Jährigen Ausbildern, denen man anmerkte, dass ihnen außerhalb der Bundeswehr kaum jemand eine Perspektive bieten könnte. In den folgenden acht Monaten saßen wir meist herum und putzten Waffen, die wir am Vortag schon blitzblank gerieben hatten. Wenn die Ausbilder einmal nicht in ihren Stuben Kaffee tranken, faselten sie bei den Übungen irgendwas von einem „Blauland“, das sich ständig von „Rotland“ bedroht sah.

Allen Beteiligten war bewusst, dass sich ein Großteil des Erkenntnisstands auf den Zweiten Weltkrieg bezog. Die Waffe, an der ich ausgebildet wurde, war schon seit Jahrzehnten veraltet, trotzdem machten wir damit Manöver, deren Materialkosten in die Millionen gingen. Ich lernte viele Leute kennen, auch aus Gesellschaftskreisen, mit denen ich sonst nicht viel zu tun hatte, und das war eine gute Erfahrung. Trotzdem fühlte es sich an, als würden wir auf Staatskosten Räuber und Gendarm spielen. Ich hatte nie den geringsten Zweifel daran, dass meine bescheidenen bei der Bundeswehr erlangten Erkenntnisse je irgendeinen Beitrag zur Landesverteidigung leisten könnten. 2011 war mir deshalb klar: Die Reform der Wehrpflicht mag überstürzt gewesen sein. Überfällig war sie allemal. 

Politik gegen die jungen Generationen

Doch nun möchte Annegret Kramp-Karrenbauer, die allein schon qua Geschlecht weder Wehr- noch Zivildienst leisten musste, diese Wehrpflicht wieder einführen, auch wenn sie das hübsch verpackt als „allgemeine Dienstpflicht“. Die Idee sei in den vielen Gesprächen entstanden, die sie mit Leuten von der Parteibasis geführt hätte, sagt Kramp-Karrenbauer. Man ahnt schon, mit welchen Leuten sie da gesprochen hat. Die meisten werden gut über 50 gewesen sein. 
 
Denn bei dem Vorschlag handelt es sich um Politik gegen die jungen Generationen. Wieder einmal. Dabei sehen die Perspektiven für Jüngere schon heute schlecht aus. In den vergangenen 20 Jahren stagnierten die realen Löhne für zahlreiche Deutsche bis hinauf in die Mittelschicht. Stellen sind heute oft befristet und gerade in den ersten Berufsjahren schlecht bezahlt. Fast die Hälfte der jungen Singles zwischen 25 und 35 ist nach der offiziellen Definition von Armut bedroht – eine dramatische Diagnose für ein so reiches Land. Dass es einfacher wird, ist nicht abzusehen. Sobald demnächst die Babyboomer in den Ruhestand gehen, die in den sechziger Jahren auf die Welt kamen, wird das Alterssystem der nächsten Belastung ausgesetzt. Ein Großteil der heutigen Arbeitnehmer muss wahrscheinlich hohe Beiträge in die Rentenkasse zahlen und bekommt dafür vergleichsweise wenig Altersgeld. Besonders eng wird es für jene, die wenig verdienen oder wegen der Kinder länger ausgesetzt haben und danach nicht mehr groß Karriere machen können.

Debatten von vorgestern statt Zukunftsthemen

Doch die jungen Menschen üben keinen Druck auf die Politik aus, bei den Bundestagswahlen stellen die Über-50-Jährigen bereits die Mehrheit der Wähler und so wird es aufgrund der Demographie weitergehen. Deswegen, so scheint es, will die Politik Probleme, die sie nicht gelöst bekommt, auf die jungen Generationen abschieben. So lässt sich schön verschleiern, dass sowohl bei der Bundeswehr als auch bei der Pflege jahrelang der Mangel verwaltet wurde, Schwierigkeiten ausgesessen und bestenfalls kosmetisch mit Geld beworfen wurden. Weil man es nicht schafft, die Pflegelücke zu füllen, genug Menschen für die Bundeswehr zu begeistern und aus Effizienzgründen alles zusammenstreicht, sollen die jungen Leute per Zwang den Karren aus dem Dreck ziehen oder billige Kräfte aus dem Ausland. Kaschiert wird das Ganze mit Gerede, dass so der Zusammenhalt der Gesellschaft wieder verbessert werden soll. Also dürfen, nein müssen die Jungen auch hier ausbaden, was die Politik vermasselt hat. 
 
Annegret Kramp-Karrenbauer ist angetreten mit dem Versprechen, die CDU zu erneuern, was immer das heißen mag. Ihr erster wirklicher Vorstoß aber zeigt: Es bleibt alles beim oder besser: bei den Alten. Um in deren Gunst zu bleiben, werden lieber Debatten von vorgestern wiederbelebt, anstatt sich wirklich um Zukunftsfragen zu kümmern. So wird die CDU aber immer mehr zu einer Vereinigung der Scheintoten. 

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