Annegret Kramp-Karrenbauer neue Parteivorsitzende - Warum die CDU gegen ihre Zukunft im Osten gestimmt hat

Mit der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur Parteivorsitzenden hat die CDU eine strategische Fehlentscheidung gefällt. Bei den kommenden Landtagswahlen im Osten dürfte die Spaltung des Landes zementiert werden. Ein Gastbeitrag von Christoph Ernst

Hat die CDU sich einen Gefallen getan, als sie für „Merkels Mädchen“ stimmte? / picture alliance
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Christoph Ernst lebt als Schriftsteller bei Hamburg. Sein jüngster Roman heißt „Mareks Liste“ (Leda-Verlag). Seine Romane „Im Spiegellabyrinth“ (Hallenberger-Media-Verlag, 2015) und „Dunkle Schatten“ (Pendragon, 2012) kreisen um Antisemitismus. 

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Das war's. Das große Demokratieexperiment der CDU. Die Partei hat sich für ein tapferes „Weiter so“ entschieden. Annegret Kramp-Karrenbauer ist kein Neuanfang, sondern die Fortsetzung des Alten mit anderen Mitteln. Mit ihr bleibt auch Angela Merkel Kanzlerin. Damit, fürchte ich, hat die CDU eine strategische Entscheidung gegen ihre eigenen Interessen gefällt, eine Entscheidung gegen ihre Selbsterhaltung. Denn sie hat gegen ihre Zukunft im Osten gestimmt und für die Grünen als künftige Koalitionspartner. Denen liefert sie sich nun auf Gedeih und Verderb aus. Bei den Landtagswahlen nächsten Herbst in Brandenburg, Sachsen und Thüringen dürfte die AfD kräftig zulegen. Die Spaltung des Landes wird zementiert.

Merkels letzter großer Sieg

Man kann die Wahl Kramp-Karrenbauers als letzten großen Sieg Merkels sehen, dieser vom Wesen her extrem unpolitischen Kanzlerin, die nur Machtimpulsen gehorcht, nicht in historischen Dimensionen denkt und bedenkenlos kulturelle Identitäten zerstört, weil sie selbst keine hat.  Friedrich Merz und Jens Spahn hätten ihre Herrschaft gefährdet, durch ihre schlichte Präsenz auf Merkels Bilanz hingewiesen und so dringend nahegelegt, dass sie endlich geht und die Bühne frei macht für einen Kurswechsel. Nun darf sie bleiben. Sollten die Folgen ihres Handelns je zu offensichtlich werden, kann sie sich immer noch aus der Affäre ziehen, zumal vordergründig nicht ja nicht mehr sie, sondern ihre Nachfolgerin die Verantwortung trägt. Deshalb war Kramp-Karrenbauer ihre Wunschkandidatin. 

Der Freitag in Hamburg war kein guter Tag für die CDU und ein noch schlechterer für das Land. Mit dieser Einschätzung bin ich vermutlich in der Minderheit. Doch angesichts der Elogen, die nun auf Merkel gesungen werden, wage ich den Einwurf, dass die Spaltung des Landes unmittelbar auf sie zurückgeht. Der feine Unterschied: Viele Ostdeutsche merken es, die meisten Westdeutschen nicht. 

Flüchtlingskrise spaltet das Land in zwei Lager

Das Land zerfällt in zwei Lager, die die Ereignisse seit dem Spät­sommer 2015 diametral unterschiedlich bewerten. Die Merkelfreunde beharren auf der Not­wendigkeit der Grenzöffnung. Die Opposition ver­unsichere die Menschen, hetze gegen Zuwan­derer und skanda­lisiere Einzelfäl­le, um der Kanzlerin Versagen zu unterstellen. Merkels Gegner dagegen kritisie­ren die Rechtsbrüche, den Ver­lust der Alltags­sicherheit, die Schönfärberei, Denk­tabus und Non­chalance gegenüber eigenen Opfern.

Viele jedoch sehnen sich nach einem deutlich nüchternerem Vorgehen. Statt das zu beherzigen, wischt die Merkel-Regierung jede Kritik beiseite, polemisiert gegen Skeptiker und wertet sie moralisch ab­. Unterstützt wird sie darin durch die vermeintlich Aufgeklär­ten, die sich der Techniken bedienen, die sie bei Po­pulisten an­prangern: Wer ihre angeblich höher­wertige Position anzuzweifeln wagt, denkt nicht bloß an­ders, er denkt gleich falsch, selbstsüchtig, unmenschlich oder faschistisch. Hinter dieser Art Arroganz wohnt nicht nur die Angst um die eige­ne Deutungshoheit, sondern auch der Dünkel, die „einfachen Leute in der Ex-DDR“ seien zu borniert, um die „richtige Position“ überhaupt zu erkennen. Die Verachtung der „Eliten“ für „das Volk“ ist in Deutschland tief verwurzelt. Sie ent­stand nicht erst in DDR. 

Merkel teilt das Erleben vieler ihrer Gegner

Trotzdem sollten wir nicht vergessen, wo An­gela Merkel sozialisiert wur­de. Sie teilt das Erleben vieler, die heute ihre größten Gegner sind. Menschen im Osten machten 1989 sehr andere Erfahrungen als die im Westen: Sie wechselten nicht nur das wirtschaftliche und politische System, sie setzen sich einschneidenden existentiellen Umbrüchen aus, die al­les durcheinanderwirbelten, was ihnen bis dahin Orientierung, Ordnung und Konti­nuität gewährt hatte. Ohne den Ort zu wechseln, fanden sie sich in einem fremden Land wieder, mit Regeln, die sie nicht kannten, die ande­re gemacht hatten und die das allermeiste, woran sie sich bis dahin gehalten hat­ten, auf den Kopf stellten. Das war nicht bloß eine Befreiung, sondern oft auch Ver­lust, Entrechtung und Fremdbestimmung: Eine individuelle wie kollektive, fundamentale Verunsicherung. Einerseits löste das bei vielen „konservative Reflexe“ aus, den dringenden Wunsch nach stabilen Verhältnissen, andererseits steigerte es nicht unbedingt ihr Vertrauen in vollmundige Bekundungen der politischen Führung.

Angela Merkel wiederum war, als die Mauer fiel, 33 Jahre alt, blendend ins System inte­griert, nie Teil der Oppositi­on gewesen und besaß beste Aussichten, als vertrauenswürdi­ger, linientreuer West-Reisekader Karriere zu machen. Unabhängig davon, ob Merkel das Ende der DDR als Trauma oder Chance sah, warum soll eine, die zig schmerzhafte Anpassungsleis­tungen erbracht hat, sich wie ein Chamäle­on immer wieder gewandelt und neu erfunden hat, Mitge­fühl für andere entwickeln, die weni­ger ge­schmeidig sind, unter­wegs hängenbleiben und bis heute an den alten Zeiten kle­ben? Sie hat die, die 30 Jahre danach noch immer „privat geht vor Katastrophe“ sagen oder von Gril­letta und Broiler spre­chen, Licht­jahre hinter sich ge­lassen. Genau darum wird sie von ih­nen als Verrä­terin gesehen, als eine, die selbst im­mer wieder ihre alten Verbindungen gekappt hat.  

Westliche Wohlstandsgeschöpfe

Zugleich dürfte die gelernte Ostdeutsche Merkel denen, die mit prall gefüllten Regalen voller duf­tenden Shampoos groß gewor­den sind, sich nie in der Schule oder beim FDJ klein ma­chen muss­ten, aber von Frei­heit und Rechtsstaat fa­seln, auch nicht sonderlich viel Re­spekt entgegen bringen. Denn die meisten dieser Wohl­standsgeschöpfe halten sich für schlau, weil sie schon mal in New York waren, aber wissen nicht, wo Eisenhüttenstadt liegt. Sie sind in ih­rer oberflächlichen Weltläufigkeit erbarmungslos naiv und letztlich so leicht zu lenken wie andere, zumal sie keinen Schim­mer haben, wie demo­kratischer Zentralis­mus funk­tioniert. Nicht viel anders ist es bei den Intellekt­uellen, die Wasser­träger der Macht, die sich im Westen ähnlich eilfer­tig korrumpieren wie im Os­ten. Füttert man ihre Eitelkeit richtig an, tanzen sie kritiklos nach der Pfeife. 

Merkel ist ein Kind der DDR. Sie ist ein Machtmen­sch, der die Technik des Tiefstapelns perfektioniert hat, weil er weiß, dass nichts eigene Ambitionen besser ka­schiert als offensives Mittelmaß. Sie simuliert Harmlosigkeit und wappnet sich mit offensiver Bescheidenheit. Damit hat sie nicht nur unter Schafen beste Chancen auf fette Beute. 

Was die postmodernen Technokraten übersehen

Weder ihrer Entourage noch den Claqueuren fällt das auf, oder es stört sie nicht, weil sie ähnlich wertfrei denken. Doch die postmodernen Technokraten übersehen, dass Leute, die in einem totalitären System sozialisiert sind, ein feineres Frühwarnsystem für Heuchelei entwickeln als andere. Die kennen die Weise, den Text und die Verfasser vom heimlichen Wein und öffentlichem Wasser. 

Schnöde Fakten sind nach wie vor die bedroh­lichsten Bestien auf morali­schem Terrain. Selbst wenn Westler sich das nicht vorstellen mögen, viele im Osten fühlten sich nach 1989 nicht nur befreit, sondern auch kolonisiert. Wenn die Regierung einer ehemals ostdeutschen Kanzlerin laufend Dinge treibt, die an dies Trauma rühren, nutzen Selbstgerechtigkeit und Arroganz wenig. Dafür sind die Narben zu frisch, sitzt das Trauma zu tief, ist die Scham, sich damals gegenüber den „Besserwessis“ entwürdigt und geduckt zu haben, zu groß. Die Ostler ticken anders, weil ihr „Zusammenbruch“ nicht 73 Jahre zu­rückliegt, sondern keine 30, und einige ihn noch persönlich miterleben durften, inklusive Arbeitslosigkeit und explodierender Mieten. In Merkel sehen sie einen Wendehals wie aus dem Lehrbuch.

„Merkels Mädchen“

Der Riss quer durchs Land verläuft zwischen Unten und Oben und Ost und West, aber zumindest den zwischen Ost und West hätte die Kanzlerin absehen müssen. Sie verleugnet ihn bis heute, im Zweifelsfall aus purer Verachtung, und genau darum fürchte ich, dass sich die CDU sich am Freitag in Hamburg keinen Gefallen getan hat, als sie für „Merkels Mädchen“ stimmte. 

Dafür kann Annegret Kramp-Karrenbauer nichts. Sie meint es im Zweifelsfall gut. Wer weiß, vielleicht überrascht sie uns ja alle. Aber dieser letzte Sieg der Kanzlerin ist weit toxischer als er auf den ersten Blick scheint, und auch wenn die Elogen auf Merkel das zu übertünchen suchen, das eigentlich Dramatische ist, dass die knappe Mehrheit der CDU es nicht einmal mehr merkt. Man kann dem Land und Annegret Kramp-Karrenbauer nur wünschen, dass sie es tut.

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