Anne-Will-Talk zu Wahlen in Hessen und Bayern - Ist Migration gar nicht das Problem?

Bei Anne Will trafen am Sonntagabend SPD-Chefin Saskia Esken, die CDU-Politikerin Karin Prien und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir aufeinander. Insbesondere Esken machte deutlich, warum die Sozialdemokraten keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Der Grünen-Politiker hingegen zeigte sich erstaunlich selbstkritisch.

Die Talkrunde von Anne Will am Sonntagabend / ARD
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Das Setting: Die Sendung von Anne Will stand an diesem Sonntagabend natürlich ganz im Zeichen der Landtagswahlen in Bayern und Hessen, bei der alle Ampel-Parteien empfindliche Dämpfer bis hin zu regelrechten Klatschen hinnehmen mussten. Gegen Ende des Talks wurde noch kurz auf die Terrorattacken der Hamas in Israel eingegangen.

Die Gäste: Saskia Esken, Co-Vorsitzende des SPD. Cem Özdemir, Bundeslandwirtschaftsminister von den Grünen. Karin Prien, stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und Bildungsministerin in Schleswig-Holstein. Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur von Die Welt. Nicole Deitelhoff, Politikwissenschaftlerin und Sprecherin des „Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt“.

Die Gesprächsatmosphäre: Anfangs eher konfrontativ, insbesondere als es um den Wahlerfolg der AfD ging. Im Verlauf der Sendung kamen die Teilnehmer dann immer mehr darüber zusammen, dass man im politischen Betrieb Respekt und Anstand wahren und die eigentlichen Probleme adressieren müsse, um die Ränder nicht zu stärken. Einvernehmen herrschte dahingehend, dass sich Deutschland solidarisch mit Israel zeigt.

Die Moderatorin: Anne Will war sichtlich darum bemüht, keine Präferenzen für bestimmte Gäste erkennen zu lassen und fragte immer mal wieder kritisch nach, wenn ihr die Antworten zu unpräzise oder floskelhaft erschienen.

Saskia Esken: Die SPD-Chefin machte in der Gesprächsrunde die insgesamt schlechteste Figur und bemühte sich vergebens, das Wahlergebnis im Sinne der Ampel-Koalition schönzureden. Die Ampel beschäftige sich durchaus mit den Problemen der Menschen, etwa dahingehend, einen „lebensfähigen Planeten“ zu erhalten mit einer „sozial ausgewogenen Klimapolitik“. Ob hingegen Migration ein Problem sei, „das alle Menschen bedrückt“, daran habe sie Zweifel. Ohnehin habe die Bertelsmann-Stiftung der Berliner Regierungskoalition ein gutes Halbzeitzeugnis ausgestellt. Die AfD komme mit „einfachen Lösungen“ daher, man selbst biete „komplexe Antworten“. Den Journalisten Robin Alexander ermahnte Esken in gouvernantenhaftem Ton, die AfD nicht zu verharmlosen. Dieser hatte zuvor davon gesprochen, diese Partei sei demokratisch gewählt und es helfe erkennbar nicht weiter, sie immer wieder zu dämonisieren. Mit Blick auf Israel verlautbarte die SPD-Chefin reichlich abgehoben, Deutschland müsse – wie im Fall der Ukraine – nun „eine internationale Staatengemeinschaft formen“, die dem angegriffenen Staat zur Seite steht. Insgesamt verkörperte Esken geradezu idealtypisch die Probleme ihrer eigenen Partei: auf unsympathische Weise allen anderen die Schuld an der Misere gebend nach dem Motto: Wir machen eigentlich alles richtig, warum kapiert das bloß keiner?

Cem Özdemir: Ganz das Gegenteil von Esken, nämlich selbstkritisch, nachdenklich und reflektierend. Wenn die Grünen sich mehr am Politikstil ihres Bundeslandwirtschaftsministers orientieren würden, hätten sie wahrscheinlich ein paar Imageprobleme weniger. Zum schlechten Ergebnis seiner Partei in Hessen stellte Özdemir unumwunden fest, dieses habe „sehr viel mit der Bundespolitik“ zu tun; die Wahl sei jedenfalls „nicht in Hessen vergeigt“ worden. Allerdings beharrte auch Özdemir darauf, die Ampel wäre eigentlich besser als ihr Ruf. Dieser leide darunter, dass die Ampel-Parteien den Eindruck erweckten, mehr gegeneinander als miteinander zu arbeiten. Man müsse die gemeinsame Politik den Menschen besser erklären. Harsche Kritik übte der Minister an Markus Söder, der im Wahlkampf die bayerischen Grünen verbal ausgebürgert habe („kein Bayern-Gen“). Ohnehin fehle es dem CSU-Chef erkennbar an Demut vor der ihm übertragenen Macht, dieser würde zudem gegen „die Grundregeln des Anstands“ in der politischen Auseinandersetzung verstoßen. Mit Blick auf Kundgebungen in Berlin-Neukölln, wo am Wochenende der Hamas-Terror gefeiert wurde, sagte Özdemir, es sei längst an der Zeit, im Umgang mit den deutschen Islam-Verbänden „die Samthandschuhe auszuziehen“.

Karin Prien: Die CDU-Politikerin ließ sich auf die ihr von Anne Will angetragene Diskussion über Parteichef Friedrich Merz kaum ein und verteidigte ihn teilweise sogar. Es war zwar erkennbar, dass Prien die Gesamtperformance ihres Vorsitzenden nicht wirklich gut findet, allerdings sei dieser keineswegs so problematisch und inkompetent, wie er von der politischen Konkurrenz dargestellt werde. Der CDU-Erfolg in Hessen zeige im Übrigen, dass es von den Wählern honoriert werde, wenn man als Koalitionspartner vertrauensvoll zusammenarbeite. Esken warf sie vor, „kurzsichtig“ zu sein, wenn diese das gesellschaftliche Problem der Migration einfach leugne. Vor dem Hintergrund der Terrorangriffe auf Israel sprach sich Prien dafür aus, die Hilfsgelder für die Palästinenser in Gaza einzufrieren, solange unklar sei, was mit dem Geld eigentlich passiere. Insgesamt bot die Bildungsministerin einen soliden Auftritt: kämpferisch, aber nicht verletzend. Das entsprach auch einer ihrer Kernaussagen: Man müsse in der Politik damit aufhören, einander zu diskreditieren.

Robin Alexander: Der Welt-Journalist zeigte sich wie gewohnt erfrischend direkt und ungekünstelt. Zu Beginn des Talks kritisierte es die CSU dafür, in der Auseinandersetzung mit der AfD den „hohen Ton“ von den Grünen übernommen zu haben. Dies ändere nämlich nichts am Erfolg der rechten Partei, die im Übrigen demokratisch gewählt sei. Vielmehr plädierte Alexander dafür, von einer Politik abzulassen, die der AfD scharenweise die Wähler zutreibe (gemeint war der Punkt Migration). Es sei allerdings ein Fehler, Bundesinnenministerin Nancy Faeser allein für die aktuelle Krise verantwortlich zu machen. Die mediale Fixiertheit auf Friedrich Merz und darauf, was der CDU-Vorsitzende angeblich alles falsch macht, hält Robin Alexander für abwegig. Selbst wenn alles so weitergehe wie bisher, werde Friedrich Merz in zwei Jahren zum Kanzler gewählt.

Nicole Deitelhoff: Es war nicht ganz klar, welche Rolle die „Konfliktforscherin“ eigentlich ausfüllen sollte. War sie wegen der Gewalt gegen Israel eingeladen worden, oder wegen der angespannten gesellschaftlichen Stimmung in der Bundesrepublik? Zu beiden Themenkomplexen hatte Deitelhoff jedenfalls wenig mehr zu sagen als die üblichen Phrasen. Etwa dergestalt, dass Markus Söder in Bayern einen „rechtspopulistischen Wahlkampf" geführt und damit die AfD gestärkt habe (eine Aussage übrigens, der Karin Prien vehement widersprach). „Rechte Kräfte“, so die Frankfurter Professorin, seien in Hessen und in Bayern stärker geworden, worunter sie auch ausdrücklich Hubert Aiwangers „Freie Wähler“ subsummierte. Insgesamt wegen reichlich banaler und abgestandener Thesen keine überzeugende Vorstellung.

Fazit: kein Highlight, aber eine durchaus sehenswerte Sendung. Wer auf Krawall aus war, wurde enttäuscht. Ebenso, wer eine Art „Berliner Runde“ mit politischem Personal aus der allerersten Reihe erwartet hatte. Dass über Bayern und Hessen gesprochen wurde, ohne auch nur einen einzigen Politiker aus einem der beiden Bundesländer in der Runde zu haben, war auch nicht besonders glücklich. Aber immerhin: keine vertane Zeit.

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