Angela Merkel - Das Ende des Worthülsen-Regiments

Der Abgang von Angela Merkel und der damit einhergehende Neustart im Kanzleramt und an der CDU-Spitze wäre eine gute Nachricht vor allem für die deutsche Sprache. Nicht umsonst ist bis zuletzt unverständlich geblieben, was sie eigentlich erreichen wollte. Von Alexander Kissler

Bezeichnend für Merkels Sprache: Das zur Besonderheit aufgeblasene Allgemeine / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Der absehbare Abgang der Bundeskanzlerin wäre eine gute Nachricht für die europäische wie für die deutsche Politik. Wenige politische Felder gibt es, auf denen sich die Spätphase des Merkelschen Regierungs-, Verhandlungs- und Kommunikationsstils nicht verheerend ausgewirkt hätte. Vor allem aber wäre ein Neustart im Kanzleramt und an der CDU-Spitze eine gute Nachricht für die deutsche Sprache und damit für die Verständigungsmöglichkeiten in unserer Republik. Das Regiment der Worthülse wäre zu Ende, das große Blabla Geschichte.

Spaltung und Polarisierung nehmen zu

Ein halbes Jahr ist es her, da schloss die frisch gewählte Bundeskanzlerin ihre Regierungserklärung mit den Worten: „Ich möchte, dass am Ende dieser Legislaturperiode diese Bilanz gezogen wird: Unsere Gesellschaft ist menschlicher geworden, Spaltungen und Polarisierungen konnten verringert, vielleicht sogar überwunden werden, und Zusammenhalt ist neu gewachsen.“ Keine fünf Cent empfiehlt es sich, auf das Eintreffen dieser Prognose zu wetten. Nicht einmal gewiss ist der Zeitpunkt, an dem diese Legislaturperiode enden wird, und in welcher Funktion Merkel ihn erleben mag. Die „Spaltungen und Polarisierungen“ wachsen auch deshalb, weil Merkel, wie sie am 24. September 2018 zur Causa Maaßen eingestand, grundsätzlich „zu wenig an das gedacht“ hat, „was die Menschen zurecht bewegt“. Und weil sie nur selten in der Lage war, das, was sie sagte, und das, was sie vermutlich meinte, in Übereinstimmung zu bringen. Merkel ist bis zuletzt die unverständliche Kanzlerin geblieben.

Nach dem vierten Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt erklärte sie Anfang November 2010, Deutschland sei ein Land, „in dem wir sowohl über das, was gelungen ist, was erfolgreich ist, sprechen, aber auch (…) das aussprechen können, was noch nicht gelungen ist. Da hat das Thema Gewalt heute eine Rolle gespielt. (...) Wie geht man damit um? Und auch diese Themen müssen auf den Tisch und können besprochen werden.” Die Rederepublik Deutschland wurde oft von der politisch Hauptverantwortlichen beschworen. Eine dreifache Bizarrerie verbirgt sich hinter der Banalität. Dass allezeit über alles geredet werden kann, ist gewiss kein Merkmal, das Deutschland allein kennzeichnet oder auf das Deutschland besonders stolz sein könnte. Von einer Kanzlerin muss man zweitens erwarten können, dass sie „Themen“ nicht nur „auf den Tisch“ legt, sondern Probleme identifiziert und löst, was gerade in der Integrationspolitik nicht geschah. Drittens setzte ausgerechnet jene Spitzenpolitikerin, die am wenigsten mit der öffentlichen Rede anzufangen wusste, auf das endlose Gespräch als Handlungssimulation.

Reicht bloße „Arbeit“ für gutes Regieren?

Das Schlüsselwort in Merkels Regierungszeit war „Arbeit“. Sie versprach zu arbeiten, mit „ganzer Kraft und Energie“, wie es in der Regierungserklärung vom März hieß, ohne dass ein Abgleich stattgefunden hätte zwischen dem behaupteten Ziel der Arbeit und deren konkreten Ergebnissen. Sie hatte lange Arbeitstage, natürlich, Sonntagsdienst um Sonntagsdienst, späte Nächte, frühe Wecker. Aber reicht das für ein gutes Regieren? Wenn sie in der Pressekonferenz vor der Sommerpause im Juli dieses Jahres behauptete, sie wolle in ihrer „politischen Arbeit dafür werben, dass nicht alles in der ersten Sekunde entschieden sein kann,“ fragt man sich: War das bisher das Problem? Dass, zumal in Deutschland, „alles in der ersten Sekunde entschieden“ wurde? Regierte Merkel in vielen Bereichen – Bildung, Digitalisierung, Bundeswehr, innere Sicherheit – nicht eher von der langen Bank aus, auf die sie die Dinge gerne schob? Auch der hilflose und leider mit den Jahren standardisierte Griff zum Hilfsverb „können“ deutet auf maximale Vagheit. Für Selbstverständliches muss man nicht werben, und niemand hat je behauptet, alles könne sofort entschieden werden, weder innen- noch außenpolitisch.

Das zur Besonderheit aufgeblasene Allgemeine, die als Nachdenklichkeit verkleidete Unentschiedenheit, die als Komplexität ausgegebene Absurdität waren Spezifika der Merkelschen Rede. Irr musste werden, wer ihren Sätzen die hermeneutische Konvention zugrunde legte, Sprache sei ein Mittel der Verständigung und transportiere einen Sinn. Bis hin zu jenem Tief- oder Höhepunkt am Ende der diesjährigen Sommerpressekonferenz: „Für die Bundesregierung kann ich sagen, dass wir Recht und Gesetz einhalten wollen werden und da, wo immer das notwendig ist, auch tun. Und ich glaube, dass diese Prinzipien des Rechtsstaats auch richtig und wichtig sind.“ 

Die Alternativen: sachwidrig oder sinnlos

Wollte die Kanzlerin damit ernsthaft behaupten, die Bundesregierung fühle sich nur dann an Recht und Gesetz gebunden, wenn es „notwendig“ ist? Manchmal seien Recht und Gesetz zu vernachlässigen? Und auch die bedingte Rechtstreue wird doppelt relativiert, indem sie zu einem künftigen Wollen herabgestuft wird, „wir wollen werden“. Vermutlich meinte Merkel es nicht in dieser Abgründigkeit, aber exakt so sagte sie es. Nimmt man Merkel beim Wort, ist es skandalös. Nimmt man sie nicht beim Wort, bleibt es wirr. Sachwidrig oder sinnlos: das waren oft die Alternativen unter dem Regiment der Worthülse. In ihrer eigenen Diktion aus der jüngsten Generaldebatte: „Hier haben wir ein Problem. An dieser Aufgabe arbeiten wir.“

Vielleicht war es eine prophetische Aussage, mit der die Bild Angela Merkel unmittelbar vor ihrer ersten Kanzlerschaft zitierte, im Mai 2005. Da stand zu lesen, sie „schwärme“ von Deutschland, genauer: „Ich denke an dichte Fenster! Kein anderes Land kann so dichte und so schöne Fenster bauen.“ Fugendicht waren in den vergangenen 13 Jahren die Sprache vom Sinn und die Politik von der Verständigung getrennt. Zeit für eine Stoßlüftung.

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