Merkel besucht Söder - Wer braucht Parteien, wenn er König sein kann?

Ein Sommermärchen, ein Schauspiel vollzieht sich heute vor unseren Augen: Kanzlerin Merkel besucht Markus Söder und sein Kabinett auf Schloss Herrenchiemsee per Schiff und Kutsche. Im fernen Paris sitzt derweil Armin Laschet und dürfte sich grämen.

Winken wie die Queen: Angela Merkel und Markus Söder auf dem Chiemsee / dpa
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Marko Northe hat die Onlineredaktion von cicero.de geleitet. Zuvor war er Teamleiter Online im ARD-Hauptstadtstudio und Redakteur bei der "Welt". Studium in Bonn, Genf und Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 

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Inszenierung gehört seit jeher zur Politik, sie ist ein Machtinstrument. Der bayerische Märchenkönig Ludwig II. hat es mit der Inszenierung vielleicht etwas übertrieben. Seine zur Wirklichkeit gewordenen Luftschlösser sind prunkvoll, mitunter etwas kitschig und vor allem trieben sie das Königreich Bayern beinahe in den Ruin, während Ludwig aufgrund einer Geisteskrankheit entmündigt wurde.

Die Schlösser stehen immer noch, in Bayern regiert inzwischen ein anderer Meister der Inszenierung, der es mitunter – vor allem beim Fasching – etwas übertreibt: Markus Söder. Er nutzt, um seine Macht zu inszenieren, die Kulisse des Schlosses Herrenchiemsee, einst von Ludwig II. als Versailles-Kopie erbaut. 

Ein märchenhaftes Schauspiel

Eigentlich weilt der bayerische Ministerpräsident am heutigen Dienstag hier, um sich mit seinem Kabinett zu besprechen. Das hätte er natürlich auch im schönen München tun können. Doch er empfängt hohen Besuch: Die preußische Kaiserin – Entschuldigung – deutsche Kanzlerin reist in den fernen Freistaat. Mit dem Schiff holt der edle König die Kaiserin in Prien ab und geleitet sie dann in einer Kutsche zum Schloss. Ja, wirklich, in einer Kutsche.

Kaiserin und König in ihrer Kutsche auf dem Weg zum Schloss / dpa

Es ist bemerkenswert, dass sich die betont nüchterne Kanzlerin auf dieses märchenhafte Schauspiel einlässt. Prunkvoll gibt sie sich höchstens einmal im Jahr, nämlich bei den Bayreuther Festspielen, zu denen sie im Abendkleid erscheint. Doch die fallen in diesem Jahr coronabedingt aus. Vielleicht gönnt sich Merkel also ersatzweise ein kleines bisschen Ersatz-Aristokratie am Chiemsee.

Kein glückliches Händchen

Im fernen Paris sitzt heute der Fürst mit dem urteutschen Namen Armin zwar beim Sonnenkönig Macron und feiert den französischen Nationalfeiertag, grämen dürfte er sich aber trotzdem. Lange Jahre hatte er seiner Kaiserin gedient, ihr Avancen gemacht, und nun wird er missachtet. Die Kaiserin hat sich den feschen Bayern als Thronfolger ausgeguckt, so scheint es. Wenn Armin zurück im heimatlichen Aachen ist, wird er auf den Dom, die Krönungsstätte der Könige, blicken und grübeln. Wird er je die Krone tragen?

Laschet hat seit der Coronakrise kein glückliches Händchen. Dieser listige Söder war ihm immer einen Schritt voraus, gab den vorsichtigen und umsichtigen Landesvater, der alles unter Kontrolle hat, während Laschet in ein Fettnäpfchen („Mir sagen nicht Virologen, welche Entscheidungen ich zu treffen habe“) nach dem anderen („… weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da der Virus herkommt“) trat. Auch die Verstrickungen in die Streeck-Studie haben dem Image des NRW-Ministerpräsidenten geschadet.

Eigentlich ein Wunder

Laschet liegen zwei Dinge nicht, die Söder nahezu perfekt beherrscht: Die Inszenierung und die freie Rede. Ob das allerdings der einzige Grund ist, warum die Kanzlerin sich so gern von Söder empfangen lässt und Laschet dumm dastehen lässt? 

Denn eigentlich ist es ein Wunder, dass es so zwischen dem Bayern und der Preußin funkt. Es ist noch gar nicht lange her, dass Söder über Merkel lästerte. Beim bayerischen Landtagswahlkampf 2018 ätzte der machohafte Söder noch: Er brauche keine Kanzlerin an seiner Seite, denn er habe ja mit dem Österreicher Sebastian Kurz einen Kanzler. Das waren noch abfällige Töne über die deutsche Regierungschefin, wie sie seit 2015 in der CSU öfters zu hören waren – vor allem von Söders Vorgänger Horst Seehofer. 

Wer braucht schon Parteien?

Möglicherweise ist aber genau das ein Grund, warum sich Merkel auf Söder einlässt. Denn sie eint die Abneigung gegen Seehofer. Der hatte Söder jahrelang am langen Arm verhungern lassen, weil er ihn als Nachfolger verhindern wollte. Und Merkel hat zahlreiche Gründe, genervt von Seehofer zu sein. Die Sommermärchen-Inszenierung auf Herrenchiemsee ist also vielleicht nicht nur ein Zeichen Richtung NRW, wen Merkel für den besseren Kanzlerkandidaten hält. Sondern auch ein Zeichen an Seehofer: Alter Mann, deine Zeit ist vorbei.

Währenddessen kämpfen droben im fernen Preußen Laschet, Merz und der tapfere, aber chancenlose Recke Röttgen um den schnöden CDU-Parteivorsitz. Das dürfte Merkel und Söder auf Herrenchiemsee kaum interessieren – wer braucht schon Parteien, wenn man Kaiserin und Märchenkönig sein kann?   

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