Angela Merkels Flugzeugpanne und andere Peinlichkeiten - Deutschland am Boden

Die Flugzeugpanne, die Angela Merkels Reise zum G20-Gipfel verzögerte, kam am Ende einer denkwürdigen Woche von Pleiten, Pech und Pannen made in Germany. Noch geht es Deutschland wirtschaftlich gut, aber der Wohlstand ist auf Kante genäht. Zukunft wird nicht gemacht, sondern verbummelt

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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Wer je diese Karikatur sah, vergisst sie nicht, und in Deutschland sah sie fast jeder Gymnasiast: Bismarck verlässt verdrießlich ein Schiff, steil abwärts führt die Reling, „der Lotse geht von Bord“. So lautet in deutscher Übersetzung die Zeichnung John Tenniels, entstanden unmittelbar nach dem erzwungenen Rücktritt des Eisernen Kanzlers Ende März 1890. Jeder Zeitgenosse wusste, was Tenniel so bezwingend ins Bild fasste: Da geht eine Ära zu Ende. So ist es auch nun, da ein Foto die noch amtierende Kanzlerin zeigt, abwärts schreitend. Gezwungenermaßen und missvergnügt verlässt sie im abendlichen Regen ein Flugzeug, ein Luftschiff gewissermaßen. Es hört auf den Namen „Konrad Adenauer“ und war defekt, nicht zum ersten Mal. Die „Adenauer“ ist Teil der Flugbereitschaft der Bundeswehr.

Wir können alles – außer Deutschland

John Tenniel protokollierte und verdichtete, was war. Jörg Blank, Fotograf bei dpa, dokumentierte und prognostizierte zugleich. Sein Bild nimmt vorweg, was es zeigt: den Abschied Angela Merkels von der Macht, vom Politikschiff namens „Bundesrepublik“, wie es groß geschrieben steht am Flugzeug selbst. Der Name „Konrad Adenauer“ treibt die symbolische Kraft in unüberbietbare Höhen. Nicht nur dem Regierungshandeln gilt dieses letzte Adieu, sondern auch der Partei, die Konrad Adenauer mitbegründete und deren Vorsitz Merkel am kommenden Freitag abgeben wird. Die „Adenauer“ wollte eine Regierungsdelegation nach Argentinien zum G-20-Gipfel fliegen und musste dann wegen defekter Elektronik umkehren. Kein Ersatzflugzeug war freitagabends zu bekommen, teils aus technischen, teils aus arbeitsrechtlichen Gründen. Deutschland ist auf Kante genäht. Statt weltweiter Bewunderung ist der Bundesrepublik ein globales Kopfschütteln sicher.

In derselben Woche, die mit dem Flugdebakel der Kanzlerin endete, ereignete sich noch dies: Am Dienstag gab die Deutsche Bahn bekannt, dass sie ihr mit viel Getöse gestartetes „Innovationszentrum für Mobilität“ in Berlin schließt. Autonomes Fahren fährt nun einen noch größeren Bogen um Deutschland herum. Am Mittwoch verkündete die Deutsche Messe AG das Aus für die „Cebit“ in Hannover, einst die größte IT-Messe der Welt. Von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz wird künftig jenseits der Landesgrenzen umso mehr zu hören sein. Am Donnerstag stellte die Bayer AG in Leverkusen den Abbau von 12.000 Arbeitsplätzen in Aussicht. Am Freitag blieb dann die „Adenauer“ am Boden und die Kanzlerin über Nacht in Bonn, nicht in Buenos Aires. Eine ehrliche Überschrift für so viel Pleiten, Pech und Pannen made in Germany lautet: Wir können alles – außer Deutschland.

Deutschland lebt von seinen Beständen

Natürlich wäre eine solche Überschrift etwas ungerecht, schließlich boomt die Wirtschaft. Auf einem Rekordtief befindet sich die Arbeitslosenquote, auf einem Rekordhoch die Summe der Staatseinnahmen. Ebenso unübersehbar wie Merkels Abschied von der Macht, die sie nominell noch innehat, sind jedoch die Zeichen an der Wand. Und sie deuten auf Abstieg. In schneller Folge erreichen uns Hiobsbotschaften wie in der vergangenen Woche, die auf eine notorische Unlust an der Zukunft deuten, auf strukturelle Selbstfesselung und weltanschaulich zurechtgebogene Inkompetenz. Das Konsumklima sank auf ein Anderthalbjahrestief, der Ifo-Geschäftsklimaindex fällt beständig, die deutsche Wirtschaft schrumpft.

Dieses Land zehrt von seinen Beständen. Es lebt von einer Ernte, die in die Scheuer gebracht wurde, ohne sich um neue Frucht zu kümmern. Zukunft wird nicht gemacht, sondern verbummelt, Initiative nicht gefördert, sondern behindert, der Staat nicht verschlankt, sondern gemästet – die Bauchschmerzen hernach wird jede und jeder zu spüren bekommen. Statt nationaler Klugheit herrscht globaler Welterlösungswahn. Dass die Kanzlerin, hauptverantwortlich für so viel muntere Sorglosigkeit, das Schiff des Handelns verlassen muss, ist ein Anfang. Mehr nicht.

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