Angela Merkel - Die Gefühlsverweigerin

Die Rede Angela Merkels nach dem CDU-Wahldesaster in Berlin war bemerkenswert. Die Kanzlerin räumte zwar Fehler ein. Zeigte aber auch, dass sie die Grundlagen politischer Prozesse nicht verstanden hat

Angela Merkel bleibt die emotionale Ebene des Politischen verschlossen / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es war eigentlich nur eine Pressekonferenz, im Konrad-Adenauer-Haus. Doch es wurde eine Rede. Vielleicht die bemerkenswerteste Rede, die Angela Merkel jemals gehalten hat. Denn sie war nicht nur klug gebaut, sondern beherzigte die Grundlehre jeder Rhetorik: Bleibe Du selbst, verstelle Dich nicht, versuche nicht, ein anderer zu sein.

Merkel war in diesen knapp zwölf Minuten ganz bei sich und spürbar mit sich im Reinen, auch dort, wo sie Fehler zugestand. Dabei gab die Bundeskanzlerin einen erstaunlich tiefen Blick in ihr Denken, ihr inneres Wesen – und in ihr rein kybernetisches, also einseitiges Politikverständnis.

Nüchterne Nonchalance

Symptomatisch schon ihr Widerwille, sich den Regeln medialer Kommunikation zu beugen. Dass ein Satz wie ihr historisches „Wir schaffen das“ aus dem Zusammenhang gerissen, als Chiffre instrumentalisiert und damit vollständig überbewertet wird, gehört zu den Gesetzen der Massenmedien. Merkel weiß das natürlich. Zugleich ist es ihr intellektuell und menschlich erkennbar fremd.

Ob diese „sachliche“ Art tatsächlich mit ihrer Ausbildung als Physikerin zu tun hat, sei dahingestellt. Bemerkenswert war dennoch, mit welch nüchterner Nonchalance sie etwa vergangene Fehler analysierte und auf den Punkt brachte. Wie bei einem misslungen Experiment resümierte sie die Versäumnisse der Vergangenheit: bei der Integration, auf der Ebene der Verwaltung, im Rahmen der EU.

Das alles ist richtig, und ihr persönliches Eingeständnis, zu lange an dem Dublin-Verfahren festgehalten zu haben, aller Ehren wert. Dennoch offenbart sich hier ein erstaunliches Unverständnis historischer und gesellschaftlicher Prozesse. Von Psychologie ganz zu schweigen.

Gefühle blendet sie aus

Denn Merkel, ihre Rede vom Montag machte das einmal mehr deutlich, hat ein rein steuerungstechnisches Verständnis vom politischen Handeln. Politische Probleme sind für sie dysfunktionale Zustände, die im Rahmen des gesetzlich Vorgegebenen seriell abzuarbeiten und aufzulösen sind. Ist das nicht möglich, sind Zwischenlösungen anzustreben, und das Spiel beginnt von vorn.

Man kann das Realpolitik nennen. Tatsächlich zeigt sich hier aber eine Verweigerung, irrationale Motive politischer Willensbildung mit ins Kalkül zu ziehen. Doch gesellschaftliche Ideale und politische Ziele sind von Gefühlen gesteuert, von Leidenschaften und Ressentiments. Das mag unschön sein. Vorausschauende Politik hat das jedoch zu berücksichtigen. Und genau diese emotionale Ebene des Politischen ist Merkel verschlossen.

Post-faktische Zeiten

Deutlich wird das gegen Ende ihrer Rede, an der Stelle, an der sie sich an ihre Fundamentalkritiker wendet, diejenigen, die „Merkel muss weg!“ rufen. Dass man diesen Menschen mit Fakten kaum begegnen kann, ist der Analytikerin Merkel natürlich klar. Und es macht sie hilflos.

Mit völligem Unverständnis, fast mit Ekel spricht sie von den „post-faktischen Zeiten“, in denen wir leben. Und mehr sich selbst als den Anwesenden erklärt sie: „Das soll wohl heißen, die Menschen interessieren sich nicht mehr für Fakten, sie folgen allein den Gefühlen.“ Es ist ein Offenbarungseid.

Denn im Politischen gibt es keine Fakten, es hat sie nie gegeben. Politische Geschichte ist die Geschichte von Faktenkonstruktionen. Und die Konstruktion sozialer „Fakten“ erfolgt emotional. Wer Fakten gegen Gefühle stellt, dem entgeht der eigentliche Beweggrund historischer Prozesse. Wer wirklich glaubt, es gäbe so etwas wie politische Tatsachen, verkennt, was Menschen umtreibt, ihre Sorgen und Hoffnungen.

Die Geschichte klopft an die Tür

Große Politikerpersönlichkeiten hatten immer einen klaren Blick für die Rahmenbedingungen ihres Handelns, noch mehr aber dafür, wie diese von den Menschen erfühlt, zurechtgelegt und interpretiert werden. Für diese Grundlage des Politischen fehlt Merkel jedes Verständnis, für sie ist das einfach „unlogisch“.

Es ist eine komische Pointe der Geschichte, dass ausgerechnet Angela Merkel sich als die letzte posthistorische Politikerin entlarvt, als eine, die daran glaubt, Politik bestünde in der kybernetischen Steuerung von Störgrößen und Regelabweichungen. Doch wenn nicht alles täuscht, pocht soeben wieder die Geschichte mit Macht an die Tür, im Gepäck all die irrationalen Verwerfungen, die sie mit sich bringt. Man tritt Angela Merkel sicher nicht zu nahe, wenn man konstatiert, dass sie dafür kein Verständnis hat.

 

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