Angela Merkel - Die deutsche Hillary

Eine vierte Kanzlerschaft von Angela Merkel gilt als ausgemacht. Es geht nicht mehr um das ob, nur noch um das wie. Doch wenn die US-Wahl eines gelehrt hat, dann das: Nichts ist mehr sicher

Angela Merkel wird schon als zwangsläufige Wahlsiegerin ausgerufen. Es könnte auch anders kommen / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Was immer zur Bundestagswahl und deren Ausgang im Herbst kommenden Jahres gesagt oder geschrieben wird: Immer münden alle klugen und kundigen Prognosen in der einen unumstößlichen Erkenntnis, der zufolge viel Buntes an Koalitionen und Konstellationen denkbar sei, aber fraglos die amtierende Kanzlerin diejenige sei, die sich ihre dann vierte Regierung zusammenstellt. Es gehe gar nicht mehr darum, ob sie als Kanzlerin weiterregiert, sondern nur mehr, mit wem sie das tun wird. 

Das klingt erst einmal logisch und vernünftig, blickt man auf den Querschnitt der aktuellen Umfragen zur Sonntagsfrage. Und doch sollte nach dem Brexit („Der kommt doch nicht“) und der Präsidentenwahl in den USA („Der Trump wird das nicht“) vielleicht auch in dieser Frage etwas weniger Unerschütterlichkeit im Kommentariat an den Tag gelegt werden.

Merkel als Hort der Stabilität

Die gängige Lesart der vergangenen Tage ist die: Jetzt erst recht. Jetzt muss Angela Merkel erst recht als Titelverteidigerin für die Union ins Rennen um die Kanzlerschaft gehen. Sie wird jetzt wahrgenommen als Hort der Stabilität, als die erfahrene Weltpolitikerin, der die Leute ihr Vertrauen schenken, wenn rundherum unsichere Kantonisten an die Macht kommen.

Kann sein, dass das so ist. Und dass Trump, Putin und Erdogan Merkel auf dem Weg in ihre vierte Amtszeit ungewollt behilflich sind. Muss aber nicht so sein. Ebenso gut ist das Gegenteil möglich. Donald Trump hat in seinem Wahlkampf massiv Wahlkampf mit beziehungsweise gegen die deutsche Kanzlerin und deren Flüchtlingspolitik gemacht und Hillary Clinton als deren Abbild hingestellt. Clinton war in seiner Erzählung das amerikanische Pendant zu Merkel, vor dem die USA bewahrt werden müsse.

Massiver methodischer Fehler

Möglicherweise ist Merkel im Umkehrschluss nun die deutsche Hillary: Schon vor der Wahl als zwangsläufige Wahlsiegerin ausgerufen, und dann kommt es doch anders. Es ist nicht ausgemacht, dass die deutschen Demoskopen treffsicherer sind als die Voraussagen der amerikanischen Kollegen. Es leuchtet in der Tat ein, dass die US-Meinungsforscher einen massiven methodischen Fehler gemacht haben, als sie landesweit abfragten und nicht entlang des amerikanischen Wahlsystems Bundesstaat für Bundesstaat. Deshalb lag Clinton sowohl in den Umfragen als auch in den absoluten Stimmen bei der Wahl selbst vorn. Präsidentin ist sie bekanntlich trotzdem nicht geworden. 

Unter Umständen steckt aber auch in den Erhebungen hierzulande eine erhebliche Verzerrung, weil ein Drittel der Befragen noch nicht weiß, wie es wählen wird. Und weil viele nicht die Wahrheit darüber sagen.

Mehr Demut, weniger Selbstgewissheit

Fakt ist, dass die Frau, die dem deutschen Volk und seiner Gefühlslage hinterherspürt, vor nicht allzu langer Zeit eine „Erosion des Vertrauens“ in ganz neuer Dimension ausgemacht hat. Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach konstatierte eine enorme Kluft zwischen Konsumfreude einerseits und Sorgen andererseits. Eine Düsternis liege über dem Land, wie sie in den vergangenen Jahrzehnten nur in Zeiten schwerster Krisen aufgetreten sei. 

Diese Kluft hat in den USA zu dem vorher undenkbaren Wahlergebnis geführt, dass dann weltweit bestaunt wurde. Die Frage wird also sein: Wird Merkel, wird die Kanzlerin, in dieser Stimmung als Teil der Lösung oder als Teil des Problems betrachtet? Langjährige Erfahrung ist auch in Krisenzeiten keine Freifahrtschein bei einer Wahl, wie die Niederlage des Politurgesteins Clinton gegen das Greenhorn Trump gezeigt hat. 

Kann alles falsch sein, was hier an Überlegungen angestellt worden ist. Natürlich. Wahr ist auch: Es gibt weit und breit keinen Donald Trump, der gegen die deutsche Hillary antritt. Aber etwas mehr Demut und etwas weniger Selbstgewissheit schaden nicht nach Brexit und US-Wahl. Und wer weiß? Vielleicht muss es gar kein deutscher Trump sein als direkter Kontrahent. Vielleicht reicht schon eine Frauke Petry, um hinter die Prognosen zur Bundestagswahl ein vorsichtiges Fragezeichen zu setzen. 

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