Angela Merkel im Bundestag - Das verbale Vakuum

In aufgewühlten Zeiten wie nach den Tagen von Chemnitz bräuchte die Republik Halt und Versöhnung. Aber Kanzlerin Angela Merkel fehlt dazu die Sprache. In ihrer Rede im Bundestag hat sie nur wortreiches Schweigen zu bieten. Von Alexander Kissler

Angela Merkel im Bundestag: Keine Sprache, die wirbt, keine Sprache, die erklärt, keine Sprache, die versöhnt / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Am Ende eines bemerkenswerten Interviews im Deutschlandfunk gab Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zu bedenken: Politik bestehe nicht nur aus Diskussionen und Entscheidungen. Man müsse immer auch die „kommunikative Wirkung“ des politischen Handelns bedenken. Das Wort von der kommunikativen Wirkung ist im Thesaurus der Bundeskanzlerin nicht enthalten. Die gestrige Bundestagsdebatte bestätigte, was man wusste: Angela Merkel kann sinnvolle ebenso wie sinnlose Sätze formulieren. Aber sie hat keine Sprache, die wirbt, keine Sprache, die erklärt, keine Sprache, die versöhnt. Nie war das kommunikative Vakuum auf der Regierungsbank bedrückender, schlimmer, gefährlicher als in diesen erhitzten Tagen.

Die Teilmengenkanzlerin

Merkels Rede in der Haushaltsdebatte begann mit einem Versprecher und also denkbar schlecht. Sie sagte „Die Menschen“ und korrigierte sich sofort zu „Die Mehrheit der Menschen.“ Der Wechsel von einer Gesamtheit zur Teilmenge ist symptomatisch. Merkel will, wie stets, Dank und Unterstützung einem speziellen Teil der Bevölkerung aussprechen, jenen, die für ein „gutes und tolerantes Miteinander“ leben und arbeiten. Gleich noch einmal bekräftigte sie: „Durch ihre Arbeit, durch ihr Leben“ würde jene gute, tolerante Mehrheit „unser Land (…) voranbringen.“ Merkel begreift sich als Teilmengenkanzlerin. Ein Satz genügt, um die Deutschen in zwei Gruppen zu spalten, in die vielen Guten und die wenigen anderen, die sich dem regierungsamtlichen Fortschritt verweigern. Joachim Gauck sprach in vergleichbarer Absicht vom hellen und dunklen Deutschland.

Damit war der falsche Ton gesetzt, aus dem sie sich nicht mehr befreien konnte in der folgenden halben Stunde. Schäuble fand in besagtem Interview die gedankliche Kraft, die „Verunsicherung“ in der Bevölkerung, wie sie nach der Gewalttat von Chemnitz um sich griff, eine „Realität“ zu nennen, „die man respektieren muss“. Merkel erklärte, sie sei „betroffen“ und teile „die Empörung und das Unverständnis“ angesichts der Tatsache, dass der mutmaßliche Totschläger von Chemnitz ein ausreisepflichtiger „Asylsuchender“ aus dem Irak war. Einer Kanzlerin steht jedoch, anders als einem Bundespräsidenten oder einem Bundestagspräsidenten, mehr zu Gebote als Betroffenheit. Mehr auch als Verständnis für demonstrierende Bürger und Ablehnung von Hetze. Wer seit 13 Jahren an der Regierungsspitze steht, trägt für solche empörenden Zustände zumindest Mitverantwortung. Dazu war von Merkel nichts zu hören.

Starke Verben fehlen ebenso wie starke Emotionen

Stattdessen sagte sie, was sie immer sagt: Probleme sind Aufgaben, und Aufgaben „haben wir zu lösen“. Welche Aufgaben zwischen Digitalisierung, Bildungsoffensive, Zuwanderung, Sicherheit und Rente stellten sich in den vergangenen 13 Jahren eigentlich? Und welche davon wurden gelöst, „in aller Entschiedenheit“? Merkel ist „dankbar für jeden, der sich für unsere Demokratie engagiert.“ Doch Demokratie bedeutet nicht die Pflicht zum Engagement. Auch der phlegmatischste Staatsbürger hat ein Anrecht auf gutes Regierungshandeln. Wird Deutschland gut regiert? „Deutschland ist ein tolles Land“, sagte Merkel im Oktober 2015.

Am gestrigen Mittwoch erklärte sie, „Afrika ist ein toller Kontinent“ – warum nur fliehen und migrieren dann aberhunderttausend Afrikaner Jahr um Jahr nach Europa? Wird sich daran etwas ändern, weil Deutschland bereit ist, „sich in die Solidarität einzureihen“, „wenn es darum geht, dass Menschen zu uns kommen, oder wenn wir Verpflichtungen haben, auch legale Migration zum Beispiel zu ermöglichen“? Aus dem „tollen Kontinent“ soll eine dauerhafte Aufnahme organisiert werden, weil Deutschland sich dazu verpflichtet hat. Auch das hörte man gerne erklärt statt nur mitgeteilt, zudem in einem wurstigen Deutsch, das an Spracharmut einzugehen droht. Starke Verben sucht man in Merkels Reden vergeblich. Emotionen auch.

Die Frist ist um

Merkel sagte gestern, was sie immer sagt: „Deutschlands Zukunft wird nur eine gute sein, wenn auch Europa einen guten Weg geht.“ Die Zustände sind aber nicht wie immer. Deutschland droht am Streit um die Migrationspolitik irre zu gehen. Stand-up-Comedians wie Martin Schulz oder Johannes Kahrs (beide SPD) mögen daraus, wie bei der Debatte im Bundestag geschehen, noch eine Weile Honig ziehen und Verbalrüpelei mit Haltungsstärke verwechseln. Es nützt nichts. Der Riss geht durch das Land, durch die Parteien, durch die Familien. Extremisten von rechts und von links rüsten auf, die Liberalität schwindet, die Ausgrenzungsfreude wächst, der Meinungsdruck nimmt zu. Die Kanzlerin schaut sich die berstenden Fassaden an, als wäre bereits wahrgeworden, was sie auf dem Höhepunkt der Willkommenskultur drohend aussprach: „…dann ist das nicht mehr mein Land.“

Angela Merkel widerlegt das berühmte Wort Paul Watzlawicks, man könne nicht nicht kommunizieren. Angela Merkel schafft das. Sie redet, ohne zu kommunizieren. Sie teilt mit, ohne sich mitzuteilen. Sie spricht, ohne eine Sprache zu haben. Eine Republik, die Halt bräuchte und Versöhnung, bekommt das Schauspiel einer wortreich schweigenden Kanzlerin serviert, die dreinschaut und redet, als ginge sie das alles nichts mehr an. Angela Merkel sagte am 29. Februar 2016 in der Talkshow „Anne Will“: „Ansonsten ist es eine Zeit, in der es sehr kontroverse Diskussionen gibt, in der ich auch deutlich machen muss, was möchte ich, woran arbeite ich. (…) Und daraus wird sich eine Lösung des Problems ergeben, die nachhaltig ist und für die wir uns in ein, zwei Jahren nicht schämen müssen.” Die Frist ist um.
 

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