SPD nach Rücktritt von Andrea Nahles - Kann die Umwelt die Partei retten?

Nach der historischen Wahlniederlage der SPD bei der Europawahl hat Andrea Nahles ihren Rücktritt erklärt. Was nun, SPD? Frank Stauss, der Kopf hinter der Wahlkampfkampagne, meint, seine Partei solle sich mehr den Klima- und Umweltthemen zuwenden. Wirklich?

Arbeiter und kleine Angestellte kommen in Frank Stauss' SPD-Welt nicht vor / picture alliance
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Stefan Laurin ist freier Journalist und Herausgeber des Blogs Ruhrbarone. 2020 erschien sein Buch „Beten Sie für uns!: Der Untergang der SPD“.

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Wie der Sieg hat auch die Niederlage viele Väter und Mütter, das ist bei der SPD nicht anders als beim VfB-Stuttgart oder Volkswagen. Während bei den Sozialdemokraten die für das andauernde Wahlversagen politisch Verantwortlichen sich noch mitten in der Diskussion über die Gründe der historischen Niederlage bei der Europawahl befinden, weiß einer schon ganz genau, was zu tun ist: Frank Stauss, Mitinhaber der Agentur Richel/Stauss und der Kopf hinter den Kampagnen der vergangenen SPD-Wahlniederlagen.

Ob Hannelore Krafts Pleite 2017 in Nordrhein-Westfalen, der Absturz der SPD bei der Hessenwahl im vergangenen Herbst oder der Untergang der Sozialdemokraten am vergangenen Sonntag: In Sachen Werbung vertrauen die Sozialdemokraten Stauss. Und der erklärt jetzt im Blog seiner Agentur, warum es schon wieder nicht geklappt hat und was nun zu tun ist: Die SPD müsse grüner werden, so wie sie es angeblich in den 90ern Jahren war:

„Es gab tatsächlich in den 90er Jahren einmal Zeiten, in denen Al Gores 'Erde im Gleichgewicht' in jedem sozialdemokratischen Bücherschrank stand neben Oskar Lafontaines 'Der andere Fortschritt' (1985 – als er noch Vordenker statt Nachtreter war). Man berief sich auf den Club of Rome und hatte prominente Umweltschutz-Vordenker wie Ernst Ulrich von Weizsäcker (späterer Präsident des Club of Rome), Michael Müller, Jo Leinen und viele mehr in den Parlamenten.“ 

Existenzfrage Klima und Umwelt

Dass die SPD damals mit dem Autokanzler Gerhard Schröder erfolgreich war, der den Grünen nur die Rolle des Kellners und nicht des Kochs zugestehen wollte, hat Stauss offenbar vergessen, was irritiert: Über seinen 2005er Wahlkampf für Schröder schrieb er mit „Höllenritt“ ein ganzes Buch.

Da heute die Themen Klima- und Umweltschutz wichtig seien, ja, „in den Augen vieler Menschen zu einer Existenzfrage der Menschheit überhaupt“ geworden seien, wurde die SPD nun für ihre „nicht zu leugnende Historie als Kohle- und Autopartei massiv bestraft.“

Sicher, die SPD verlor wie die Union in einem Wahlkampf, in dem beide Parteien mit ihrem Europa-Kuschelwahlkampf nicht punkten konnten, viele Wähler an die Grünen. Von der Union wechselten nach Berechnungen der ARD gut 1,1 Millionen Wähler zu Habeck und Baerbock, von der SPD sogar über 1,2 Millionen.

Aderlass in Richtung Nichtwähler

Aber schlimmer noch als der Aderlass in Richtung Grüne war der zu den Nichtwählern: 2,5 Millionen, die noch bei der Bundestagwahl ihr Kreuz bei der Union gemacht hatten, blieben am Sonntag daheim. Bei der SPD waren es mit knapp zwei Millionen nicht viel weniger.

Was hätten diese Menschen vielleicht gerne gewusst? Wie die SPD dafür sorgen will, dass sie mit vielleicht auch älteren Autos noch zu Arbeit kommen? Wie sich die Aufnahme weitere südosteuropäischer Länder in die Europäische Union auf ehemalige rote Hochburgen wie Duisburg-Marxloh und Gelsenkirchen Ückendorf auswirken wird, in denen Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien heute schon Anlass für Konflikte sind? Oder wie Industrie-Jobs gesichert werden können? All das kommt Stauss nicht in den Sinn.

Verloren den Rückhalt bei den Arbeitern

Denn diese Leute, die Arbeiter und kleinen Angestellten, kommen in seiner schönen, neuen SPD-Welt nur am Rande vor. In einer von Stauss für den SPD-Parteivorstand mitverfassten Analyse der Niederlage bei der Bundestagswahl 2017 hieß es: „ArbeiterInnen spielen quantitativ im Elektorat keine bedeutende Rolle mehr, dennoch gelten sie noch immer als Gradmesser, wie es um die SPD steht. Während in den 50er-Jahren noch etwa jede/jeder zweite Erwerbstätige ArbeiterIn war, war es 2015 nicht mal mehr jede/jeder Vierte. Schon seit 2009 ist die Union unter den Arbeitern die stärkste Partei und nicht mehr die SPD, wie es bei den Bundestagswahlen 1998, 2002 und 2005 noch der Fall war.“

Bei der Bundestagswahl 2009 verlor die SPD über elf Prozentpunkte und erreichte nur noch 23 Prozent. Seit dieser Wahl begegneten sich SPD und Union, die 33,8 Prozent der Stimmen erhielt, nicht mehr auf Augenhöhe. Dass der Verlust des Rückhalts der SPD bei Arbeitern ein Grund für diesen Niedergang gewesen sein könnte, kam Stauss nicht in den Sinn.

Stauss erliegt grünem Zeitgeist

„Die ökologische Wende der deutschen Industrie, die Verkehrswende und die Energiewende sind so gigantische Projekte, dass die SPD dort dringend gebraucht wird“, schreibt Stauss in seinem Blog. Ob eine Partei von 15 Prozent da noch viel mitzureden hat, sei dahingestellt. Aber wenn sie noch ein Wörtchen mitreden will, täte sie gut daran, eben nicht bedingungslos dem grünen Zeitgeist zu folgen.

Die Wirtschaft kühlt sich ab, die Industrie, die durch ihre Exporte den Wohlstand in diesem Land erwirtschaftet, streicht Stellen. Unternehmen wie Bayer, ThyssenKrupp und Volkswagen sind in der Krise, auch aus eigenem Verschulden. In wichtigen Feldern wie der Plattformökonomie, in der Google, Amazon und Alibaba den Ton angeben, spielen deutsche Unternehmen bis auf SAP keine Rolle. Die digitale Infrastruktur ist auf Schwellenlandniveau. Gentechnik? Innovative Kerntechnik? Fehlanzeige.

Gute-Laune-Wahlkampf ohne Inhalte

Sicher, eine SPD, die sich nur dem Bewahren des Alten verschreibt, hat keine Zukunft. Aber eine, die den Satz von Gerhard Schröder vergessen hat, der einmal sagte „Wir können nicht davon leben, uns gegenseitig die Haare zu schneiden“ auch nicht. Ohne Wirtschaftskompetenz können nur die Grünen die Wähler überzeugen in Zeiten, in denen Arbeitslosigkeit kein Thema ist. Aber wenn bald Jobs knapper werden – nicht nur in der Industrie, sondern vielleicht auch im Bereich der schlecht bezahlten Dienstleistungen, und die Menschen die Sorge haben werden, ob sie ihre Stromrechnung noch bezahlen können –  muss von der SPD mehr als Lifestyleparolen kommen, wenn sie überleben will.

Ob Stauss dann noch der richtige Mann für die Werbung der SPD ist, die Frage wird sich die Parteiführung stellen müssen. Gute-Laune-Wahlkampf ohne Inhalte kann Stauss. Wenn es für den Wähler oder die Partei ernst wird, kommt er an seine Grenzen. Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles muss die SPD nicht nur entscheiden, wer die Partei führen soll. Auch über die Frage, ob die Partei daran glaubt, mit Stauss noch einmal Wahlen gewinnen zu können, wird sie nachdenken müssen.

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