Ampel-Koalition im Bund - Man wird ja noch träumen dürfen

Es wirkt wie eine Koalitionsidee der Verlierer: Rot-Gelb-Grün hätte laut Umfragen momentan keine Chance. Doch seit der designierte FDP-Generalsekretär Volker Wissing von der Ampel als „Signal des Aufbruchs“ geschrieben hat, kann man zumindest mal von einer Regierung ohne Union träumen.

Stellen Sie sich mal vor, einer dieser Herren wäre Kanzler / dpa
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Marko Northe hat die Onlineredaktion von cicero.de geleitet. Zuvor war er Teamleiter Online im ARD-Hauptstadtstudio und Redakteur bei der "Welt". Studium in Bonn, Genf und Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 

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39 Prozent. Das ist alles, was momentan geht. Auf 39 Prozent würden derzeit laut Infratest Dimap SPD, Grüne und FDP gemeinsam kommen. Die Union hält allein mit 37 Prozent dagegen. Zugegeben: Angesichts solcher Zahlen ist die sogenannte Ampel eine Schimäre. Zumal die Ampel auf Grün steht: Denn die Ökopartei liegt mit 17 Prozent einen ganzen Punkt vor der SPD. Einen Kanzler Olaf Scholz würde es so nicht geben, schon eher einen, der Robert Habeck heißt.

Doch das wäre kein Ausschlusskriterium für die Sozialdemokraten. Deren Parteichefin Saskia Esken hatte erst vor kurzem klargestellt, dass sie sich in einer Regierung auch durchaus einem grünen Kanzler fügen würde. Und der neue Generalsekretär der FDP, Volker Wissing, stellt es sich als ein „wichtiges Signal des Aufbruchs“ vor, „die CDU nach so langer Zeit abzulösen“. 

Ein gesellschaftliches Gefühl des Aufbruchs

Für den einen oder anderen wäre eine Ampel mit diesen Vorzeichen sicherlich der reinste Albtraum. Aber vielleicht sollte man sich einmal dafür öffnen, auch wenn es sich in höchst theoretischen Gefilden abspielt.

Denn erinnern wir uns: Die drei Parteien SPD, Grüne, FDP haben in der Geschichte der Bundesrepublik bislang immer eine große Rolle dabei gespielt, durch einen Regierungswechsel ein gesellschaftliches Gefühl des Aufbruchs zu vermitteln. Sei es 1969 mit der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt, sei es 1998 mit Rot-Grün unter Gerhard Schröder. 

Nach 16 nüchternen Merkeljahren dringend nötig

Man kann natürlich die berechtigte Frage stellen, was denn aus dem jeweiligen Aufbruch wurde. Willy Brandt fiel alsbald über die Guillaume-Affäre und gab depressiv und ausgelaugt sein Amt an den trockenen Hanseaten Helmut Schmidt ab. Schröder nahm seinen Wahlspruch „Wir werden nicht alles anders, aber vieles besser machen“ etwas zu genau und spaltete seine Partei mit seiner wirtschaftsliberalen Agenda. 

Doch allein ein solches Gefühl des Aufbruchs zu vermitteln, wäre etwas, was dieses Land nach beinahe 16 nüchternen und zähen Merkeljahren dringend brauchen könnte. Es wäre ein Paradigmenwechsel, allerdings keine Revolution. Denn auch für eine sozialökologisch-liberale Regierung würde das alte Schröder-Motto gelten: Sie würden nicht alles anders, aber manches vielleicht besser machen. 

Angst vor dem Machtverlust schweißt zusammen

Die SPD ist staatstragend genug, das hat sie in den letzten 22 Jahren bewiesen, um nicht jede irre Idee aus dem linken Spektrum mitzumachen. Die Grünen werden von manchen Beobachtern eh schon als die erfolgreicheren Liberalen angesehen. Und die FDP wäre wieder das, was sie in Bonner Zeiten gewesen ist: Das notwendige Korrektiv, der Wächter der Bürgerrechte, der SPD und Grüne zur Raison ruft. 

Wer meint, dass solch ein Bündnis von vornherein zu Chaos führt, die Truppe schon zerstritten ist, bevor der Koalitionsvertrag unterzeichnet ist, dem sei gesagt: Nichts schweißt in der Politik besser zusammen als die Angst vor dem Machtverlust. SPD und FDP wüssten, dass sie bei einem Ende der Koalition ohne Ministerposten in der Opposition landen würden, während die Grünen, flexibel wie sie inzwischen sind, es sich mit der CDU bequem machen würden. Zugleich müssten die Grünen auf ihre erste Kanzlerschaft verzichten. Allein aus machttaktischen Gründen wäre dieses Bündnis also recht sicher.

Eine dialektische Atmosphäre

Dass solch ungewöhnliche Konstellationen, die manche zuvor für undenkbar gehalten hatte, funktionieren können, sieht man immer wieder: Oder hätten Sie gedacht, dass Jamaika in Schleswig-Holstein so geräuschlos funktioniert? Oder dass Österreichs ÖVP flexibel genug ist, um sich nach dem FPÖ-Schlamassel die Macht brüderlich mit den Grünen zu teilen? Und in Rheinland-Pfalz schnurrt seit 2016 eine Ampel so leise, dass man mitunter fast vergisst, dass es dieses Experiment bereits in der Realität gibt. Volker Wissing kennt sich als rheinland-pfälzischer Wirtschaftsminister mit dem Modell bestens aus.  

Und selbst wenn in einer solchen Bundesregierung geschimpft und gestritten werden würde: Endlich einmal würde es wieder einen echten Austausch von Argumenten gehen, eine dialektische Atmosphäre, die das Zeug hätte, auch auf die bundesrepublikanische Gesellschaft abzufärben. Auch das wäre „ein wichtiges Signal“, das dieses Land dringend braucht: Man kann miteinander arbeiten, auch wenn man nicht immer einer Meinung ist, statt jede andere Haltung als die eigene niederzubrüllen und zu diskreditieren.

Es steht uns noch ein langes Jahr bis zur Bundestagswahl bevor. Was bis dahin noch geschieht, kann niemand wissen, allein die Coronakrise lässt jeden Blick in die Glaskugel unseriös erscheinen. Aber die Ampel wäre zumindest kein Untergangsszenario, von denen es dieser Tage mehr als genug gibt. Einen Vorteil hätte diese Koalition auf jeden Fall, und schon allein das wäre fast ein Grund, für sie zu plädieren: Der Verkehrsminister würde nicht mehr von der CSU gestellt werden. Man wird ja noch träumen dürfen.

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