Ampel-Regierung - Quote, Quote über alles

Noch nie gab es so viele Bundesministerinnen wie in der neuen Bundesregierung unter Olaf Scholz. Der hatte sich persönlich für Geschlechterparität stark gemacht. Doch ein hoher Frauenanteil garantiert noch keine gute Politik.

Vom Landesrechnungshof ins Ministeramt: Klara Geywitz / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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So viel Quote wie zurzeit war noch nie; von Parität ist ebenfalls häufiger die Rede als jemals zuvor. Bisweilen könnte man den Eindruck gewinnen, die gleichmäßige Aufteilung von Ämtern auf Frauen und Männer wäre viel wichtiger als fachliche Kenntnisse, politische Erfahrung oder Führungskompetenz. Einst waren die Grünen die Vorkämpfer für eine Frauenquote. Inzwischen scheint Olaf Scholz sich als Ober-Paritätskämpfer profilieren zu wollen. Doch kann die „Quoteritis“ zu Ergebnissen führen, die wohl nicht einmal Quotenbefürworter gewollt haben können.

Bei den Grünen hat die Quote zur ersten Kanzlerkandidatin geführt. Gegen Annalena Baerbocks Griff nach der Spitzenkandidatur hatte Robert Habeck wegen des falschen Geschlechts keine Chance. Dass er als ehemaliger Minister für Energiewende, Landwirtschaft und Umwelt in Schleswig-Holstein über Regierungserfahrung verfügte und der zweifellos bessere Wahlkämpfer ist, spielte keine Rolle.

Mit Habeck hätten die Grünen besser abgeschnitten

Dass Baerbock, so Habeck, die „Frauenkarte“ gezogen hat, ist den Grünen nicht bekommen. Wegen der zahlreichen Wahlkampfpannen ihrer Spitzenfrau bleiben die Grünen weit unter den ihnen im Frühjahr prognostizierten 25 oder gar 26 Prozent. Die am 26. September erreichten 14,8 Prozent sind dennoch das bisher beste Grünen-Ergebnis. Doch die Chance auf Platz eins hat die Öko-Partei mit ihrer Politik „Frauen first“ selbst verspielt.

Die Ex-Kanzlerkandidatin kann sich mit dem Außenamt trösten. Es liegt auf der Hand, dass sie als „Völkerrechtlerin“ mit Kurzstudium sich berufen und qualifiziert fühlt. Wäre es nach Kompetenz und nicht nach Quote gegangen, hätte eigentlich Cem Özdemir Außenminister werden müssen. Aber auch der ist, wie Habeck, eben nur ein Mann.

Trostpreis für Özdemir

Özdemir musste jedoch unbedingt ins Kabinett. Denn den Grünen dämmerte plötzlich, dass man nicht ständig Diversität predigen kann, ohne sie auch zu praktizieren – wenigstens ansatzweise. Also wird der „anatolische Schwabe“ (Özdemir über Özdemir) Landwirtschaftsminister – der erste mit Migrationshintergrund und der erste, der sich vegan ernährt. Da kommt bei Viehwirtschaft betreibenden Landwirten sicherlich Freude auf. Der promovierte Biologe Anton Hofreiter wurde mit dem Vorsitz im Europaausschuss abgespeist. Dass Europapolitik bisher nicht den Schwerpunkt seiner Arbeit als Fraktionsvorsitzender bildete – geschenkt!

Natürlich wurde noch nie ein Kabinett gebildet, ohne dass regionale Herkunft und die Zugehörigkeit zu innerparteilichen Strömungen berücksichtigt wurden. Doch jetzt verdrängt die Frauenquote alle anderen Proporzüberlegungen. Dazu hat der bekennende Feminist Olaf Scholz maßgeblich beigetragen. Schon im Wahlkampf hat er ein „paritätisch besetztes Kabinett“ versprochen. Da die Freien Demokraten nicht daran dachten, beim Quotenspiel mitzumachen – drei ihrer vier Kabinettsmitglieder sind Männer –, musste Scholz mehr SPD-Frauen zu Ministerinnen berufen. So sind vier der sieben Minister mit SPD-Parteibuch Frauen. So kam, für alle überraschend, die weitgehend unbekannte Klara Geywitz aus Potsdam ins Kabinett.

Bauministerin ohne jede Erfahrung

Was aber qualifiziert die Diplompolitologin für das Amt, in dem sie dafür sorgen soll, dass Jahr für Jahr 400.000 Wohnungen gebaut werden, darunter 100.000 vom Staat geförderte? Bei der Wahl der SPD-Vorsitzenden im Jahr 2019 ist sie im Team mit Olaf Scholz gescheitert. Ihren Sitz im brandenburgischen Landtag hat sie im selben Jahr verloren. Sie wurde damals mit einer Position im Landesrechnungshof versorgt und ist dort für Prüfungen im Bereich Bauen, Wohnen und Verkehr zuständig. Ob das dem Anforderungsprofil als „Bauherrin“ genügt, darf bezweifelt werden.

Ungeachtet solcher personellen Lösungen konnte der neue Kanzler sein Paritätsversprechen nicht einhalten. Wenn von 17 Ministern acht weiblich sind, haben die Männer mit neun Kabinettsmitgliedern immer noch die Mehrheit. 17 durch 2 ergibt eben 8,5. Und halbe Minister kann es – Geschlecht hin, Parität her – nicht geben. Gilt hier also „versprochen, gebrochen“?

Als Scholz am Tag vor der Kanzlerwahl darauf angesprochen wurde, versuchte er sich herauszureden. Originalton Scholz: „Die Parität ist mir wichtig. Deshalb werden von 16 Ministerinnen und Ministern acht Männer und acht Frauen sein. Selbstverständlich wird es dann noch einen Bundeskanzler geben, der für alle zuständig ist.“ Mit diesem Wortgeklingel versuchte Scholz die Lage so darzustellen, als gehöre er gar nicht zum Kabinett, sondern schwebe als höchste Instanz darüber. Der Jurist Scholz müsste es eigentlich besser wissen. Artikel 62 Grundgesetz lässt da keine Interpretation zu: „Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern.“ 

Kein Zweifel: Die Befürworter der Frauenquote haben große Fortschritte erzielt. Noch nie gab es so viele Bundesministerinnen, noch nie eine rein weibliche Fraktionsspitze, wie jetzt bei den Grünen. Das Motto „Quote, Quote über alles“ führt aber nicht zwingend zu überzeugenden personellen Lösungen. Fehlbesetzungen sollen sogar in reinen Männerwirtschaften nicht nur möglich sein; sie kommen auch dort vor.

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