Alternative Politik - Etablierte Parteien mästen die AfD

Kurz vor der Landtagswahl in Thüringen ist die AfD auch bundesweit immer noch auf Erfolgskurs. Gegen die Selbstbeschädigungen ihrer Mandatsträger sind ihre Wähler offenbar immun. Die Partei lebt von der Angebotslücke, die die anderen Parteien geschaffen haben

Dämonisierung macht die AfD nur noch stärker / picture alliance
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die Umfragewerte der AfD zeigen derzeit stabil nach oben. Für Thüringen wird ein historischer Höchstwert von 25 Prozent aufgerufen, bundesweit sind es bis zu 16 Prozent. Bei der letzten Bundestagswahl waren es vor knapp zwei Jahren 12,6 Prozent gewesen. Offenbar sind die Wähler der AfD gegen zweierlei immun: gegen immer wiederkehrende Ausfälle und Selbstbeschädigungen der Mandatsträger – jüngst erst zerlegte sich die AfD in Bremen, die bayerische AfD hätte es fast ebenso getan –, immun aber auch gegen die Verwünschungen und Verfluchungen durch konkurrierende Parteien. Der Grund für diese doppelte Resistenz ist selten zu hören, liegt aber auf der Hand: Die AfD hält auf dem politischen Markt ein Angebot bereit, nach dem es eine stabile Nachfrage gibt. Und niemand sonst will diese Nachfrage befriedigen, will diese Wähler für sich gewinnen. Die AfD lebt von der Angebotslücke, die die anderen Parteien geschaffen haben.

AfD, die Containerpartei

Die Debatte, ob die AfD eine bürgerliche Partei sei oder nicht, ob sie demokratisch sei oder nicht, führte zu keinem Einbruch der Umfragewerte, im Gegenteil. Weil es den potentiellen und tatsächlichen Wählern der AfD egal ist? Gewiss nicht. Die AfD wird nicht für das gewählt, was sie ist, sondern für das, was die anderen Parteien nicht sind. Sie ist die Schnittmenge der programmatischen Leerstellen von CDU, CSU, SPD und FDP, vielleicht auch von Grünen und Linkspartei.

Wen beispielsweise soll der Kritiker der Merkel'schen Migrationspolitik wählen, wenn diese bis heute nicht von CDU und CSU aufgearbeitet worden ist? Für wen soll sich erwärmen, wer die „Klimaschutz-über-alles-Bewegung“ ablehnt und sich seine Freude an der Mobilität nicht durch politischen Gewissensdruck vermiesen lassen will? Die AfD ist – frei nach Sloterdijk – eine Containerpartei. In ihr sammeln sich jene Anliegen einer wertkonservativen Klientel, die von den anderen Parteien als überholt oder weltanschaulich degoutant ausrangiert worden sind. Zudem profitiert sie als Oppositionspartei davon, dass sie nach Belieben wüten und fordern kann, was sie will, ohne sich dem Praxistest stellen zu müssen. 

Selbstgerechte Scheuklappenpolitik

Ein bemerkenswertes Interview gab an entlegener Stelle der ehemalige Chef des Bundesnachrichtendienstes. Im Sunday Express erklärte August Hanning, Merkels Migrationspolitik habe Deutschland eine „Sicherheitskrise“ eingebracht. Es gebe jeden Tag Probleme; in Deutschland hielten sich über 300.000 Menschen mit ungeklärter Identität auf.

Es ist nicht bekannt, dass diese fundamentale Aussage, dieser krachende Vorwurf bei jenen, die es angeht, die Mühe auch nur eines einzigen Gedankens ausgelöst hätte. Wo sind die klugen Köpfe in den Reihen von CDU und CSU, die jenseits von Fraktionszwang und Parteilinie ins Grübeln gekommen wären? Wo sind Politiker mit Augenmaß, die in Selbstkritik und erst recht in Kanzlerinnenkritik kein parteischädigendes Verhalten erblicken? Wo sind Frauen und Männer, die Allgemeinwohl und Staatsräson zusammendenken? Fehlanzeige, Fehlanzeige, Fehlanzeige. Durch selbstgerechte Scheuklappenpolitik mästet man jene Partei, die man mit Beschimpfung meint kleinhalten zu können. Welch kolossaler Irrtum.

Sozialer Wohnungsbau für Migranten

Wenn Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) jeden vierten Migranten, der über das Mittelmeer nach Europa gelangen will, in Deutschland aufzunehmen verspricht, protestieren die Werteunion und Teile der CSU. Doch vermutlich zieht die Karawane weiter und verteilt das Geld der hiesigen Steuerzahler weiterhin nach vorgeblich humanitären Gesichtspunkten in vieler Herren Länder. Ist es da ein Wunder, dass Protest sich bündelt bei einer Oppositionspartei, die behaupten kann, für solche von ihr abgelehnte Mittelverwendung nicht den Hauch einer Verantwortung zu tragen?

Wenn der Stadtstaat Berlin ankündigt, für Migranten zehn neue Häuser mit dem Geld der hiesigen Steuerzahler zu bauen: Wo soll seinen Protest deponieren, wer solche Etatposten mit dem Allgemeinwohl abgewogen wissen will? In den Bürgersprechstunden von CDU und SPD und Grünen stieße er auf Unverständnis, müsste sich vielleicht als nationalistisch beschimpfen lassen.

Selbstkritik ist der Königsweg 

Wer wirklich, wie es vollmundig heißt, der AfD den Wind aus den Segeln nehmen will, sollte sich etwas weniger über die Mandatsträger echauffieren und etwas mehr mit den Wählern und deren Motiven beschäftigen. Als Ralf Stegner, Kandidat für den SPD-Vorsitz, gegen „diese völkischen Demokratiefeinde und Nationalisten“ keilte, die „wieder raus aus unseren Parlamenten“ müssten, tat er das programmatisch Falsche. Kein einziger AfD-Wähler wird sich in Luft auflösen, solange er seine Anliegen nur von der AfD vertreten sehen kann. Auch die Forderung von Stegners Parteifreund Johannes Kahrs, die AfD zu verbieten, schließt nicht die Angebotslücke. Solange die SPD sich weigert, die soziale Frage und die Migrationsfrage gemeinsam zu betrachten, werden ihr weiterhin viele Arbeiter den Rücken zuwenden, im Ruhrgebiet und anderswo.

Insofern gilt im Fall der AfD, was generell im politischen Wettbewerb gilt: Probleme löst man nicht, indem man sie zu Ängsten erklärt. Wähler gewinnt man nicht zurück, wenn man die Gewählten herabwürdigt. Angebotslücken schließen sich nicht, wenn man Nachfragen negiert. Selbstkritik ist der Königsweg, um Vertrauen zurückgewinnen, Selbstgerechtigkeit verdirbt alles. Diese vier einfachen Lektionen sind im Umgang mit der AfD die allerschwersten. Darum ist derzeit nicht absehbar, wann der Höhenflug enden wird.

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