AKK und Merkel - Zwei sind eine zu viel

Annegret Kramp-Karrenbauer heißt die neue starke Frau in der CDU. Gleich nach ihrer Wahl zur Parteichefin hat sie begonnen, sich von Kanzlerin Merkel abzusetzen. Wie lange geht das gut?

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„In der Art, wie AKK und Merkel sich an den Schultern packen, geht die Energie von der einen auf die andere über“ / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Der Moment, in dem sich die Wege von Annegret Kramp-Karrenbauer und Angela Merkel unwiderruflich trennen, ist zugleich vielleicht ihr innigster. Die zierlich wirkende Frau aus dem Saarland hat gerade in einem Wimpernschlagfinale den Wettbewerb um den Parteivorsitz gegen ihren Widersacher Friedrich Merz gewonnen, im zweiten Wahlgang mit 35 Stimmen Vorsprung.

Merkel erhebt sich von ihrem Platz auf der Bühne, geht auf die Gewinnerin zu. Kramp-Karrenbauer hat den Parteitag in Hamburg zu ihrem gemacht, die Stimmung unter den 999 anwesenden Delegierten mit einer sehr persönlichen Rede gedreht. Es ist kurz vor fünf an diesem 7. Dezember 2018, als sich Merkels und Kramp-Karrenbauers Blicke nach einer Umarmung verschwörerisch treffen. In der Umarmung und der Art, wie sie sich gegenseitig an den Schultern packen, geht die Energie von der einen auf die andere gleichsam über.

Selbstbewusste Saarländerin

Dreieinhalb Monate liegt dieser Augenblick des Triumphes und des Abschieds nun zurück. Schon im Sommer 2014 hatte Cicero in einer Titelgeschichte offenbart, dass eine Politikerin namens Annegret Kramp-Karrenbauer die Wunschnachfolgerin der Kanzlerin sei. Die damalige Ministerpräsidentin des Saarlands war in den Augen Merkels „zielstrebig, eigenständig“, zeige aber auch „eine große Gelassenheit“. Mit anderen Worten: Die Neuentdeckung trug Züge ihrer selbst. Vor fünf Jahren richteten sich in der Nachfolgedebatte noch alle Blicke auf die inzwischen final gescheiterte Ursula von der Leyen, und fast das ganze politische Berlin schüttelte deshalb den Kopf: Annegret wer? Das muss eine Ente sein.

Das Kopfschütteln währte nicht allzu lange. Es sprach sich in den darauffolgenden Monaten herum, dass Merkel die selbstbewusste Saarländerin insbesondere bei den Koalitionsverhandlungen 2013 aufgefallen war: Wie sie bis eben noch in knallharten Verhandlungen mit der SPD, bestens vorbereitet, viel für die Union herausschlug. Und sich dann mit einem Buch in eine Ecke verzog und abschaltete. „Bücher-Yoga“ nannte das damals bewundernd eine enge Mitarbeiterin der Kanzlerin.

In der Politik gibt es keine Freundschaften

Über die Jahre war dann eine Nähe zwischen den beiden Frauen entstanden, in dem Maße, in dem in der Politik Nähe eben möglich ist. Einmal, es war im saarländischen St. Wendel im Jahr 2017, hat sich Merkel im Ringen um Bund-Länder-Finanzen sogar mit folgendem Satz vernehmen lassen: „Annegret und ich – wir sind eigentlich im Grundsatz echt gut befreundet, darf ich so sagen.“

Eigentlich. Im Grundsatz. Darf ich so sagen. Das sind viele Füllworte, die in dieser erklärten Nähe wieder Distanz aufbauen. In der Politik, das wissen beide, gibt es keine Freundschaften. Gerechtigkeit ist keine Kategorie, Dankbarkeit erst recht nicht. Merkel war über Jahre „Kohls Mädchen“, der Kanzler aus dem Westen hatte die junge ehrgeizige Frau aus dem Osten gegen viele Widerstände beharrlich aufgebaut und in immer wichtigere Ministerien gehievt, sie schließlich zur CDU-Generalsekretärin gemacht. Und dann hat sie ihn doch knallhart politisch erledigt, als Merkel ihre Zeit gekommen sah und Kohl tief im Sumpf der Affäre um seine Schwarzgeldkassen steckte.

Abkehr von Merkels Migrationspolitik

Auch Kramp-Karrenbauer war von Merkel erst zur Generalsekretärin befördert worden. Schon da zeigt die Saarländerin erste Dehnübungen gegenüber der Kanzlerin und Parteichefin. Und auf dem Hamburger Parteitag begann sich die neue Vorsitzende gleich nach ihrer Wahl von ihrer Vorgängerin abzusetzen. Mit dem JU-Chef Paul Ziemiak machte Kramp-Karrenbauer einen der schärfsten Kritiker von Merkel zu ihrem Generalsekretär. Und wie Merkel bei Kohl setzte sie die Axt gegen Merkel zugleich an deren schwächster Stelle an, der Flüchtlingspolitik. Schon in einer Talksendung bei Markus Lanz zwei Tage vor ihrer Wahl hatte sie wie nebenbei fallen lassen, dass sie ihre Partei in einem „Werkstattgespräch“ über Merkels Migrationspolitik offen sprechen und einen neuen Kurs bestimmen lassen wolle.

Von da an war klar, wo das Machtzentrum der CDU ist, wer in der Partei die Zukunft ist und wer die Vergangenheit. Wer das Sagen hat. Allen Widerständen aus dem Kanzleramt zum Trotz fand das Werkstattgespräch statt. Mit dem Ergebnis, das AKK am Abend in den „Tagesthemen“ verkündete: Grenzschließungen seien als Ultima Ratio denkbar. Und damit das glatte Gegenteil dessen verkündete, was Merkel immer behauptet hatte; nämlich, dass Grenzschließungen nicht möglich seien.

Es kann nur eine geben

Die so Gedemütigte saß an dem Abend des Werkstattgesprächs mit ihren Vertrauten Monika Grütters und Annette Schavan in der Bar des Hotels Esplanade und ließ sich beim Aperol Spritz beobachten. Seht her, das macht mir gar nichts, sollte das heißen. Aber es wirkte am Ende trotzig und hilflos. Kramp-Karrenbauer bestreitet, dass es Widerstand aus dem Kanzleramt gab, dass sie abgehalten werden sollte von diesem offenen Bruch. Aber sie sagt zugleich mit einem mädchenhaften Augenaufschlag, dass die Veranstaltung natürlich kein Herzenswunsch von Angela Merkel gewesen sei.

Das „Highlander“-Prinzip – es kann nur einen geben – gilt nicht nur im Film unter alten weißen Männern, die sich auf sturmumtosten schottischen Höhen schwere Schwerter um die Ohren hauen. Auch bei zwei Frauen im Machtkampf gilt: Zwei sind eine zu viel. Und welche hier nach der Übernahme des Parteivorsitzes zu viel ist, daran lässt Annegret Kramp-Karrenbauer keinen Zweifel.

Zwischen Konservativen und Grünen

Lange ist es her, dass sie mal behauptet hat: „Ich fühle mich im Saarland wohl. Hier will ich bleiben.“ Mit dem Wechsel als Generalsekretärin ins Konrad-Adenauer-Haus war dieses Wahlversprechen dahin. Die Heimatverbundenheit ist aber geblieben: Jedes Mal, wenn sie Anekdoten aus ihrer Heimat erzählt, verfällt sie automatisch in den saarländischen Singsang und eine Form von edlem saarländischen Platt, das Wolfgang Schäubles Edelbadisch ähnelt.

Der Partei und ihren Anhängern bereitet Kramp-Karrenbauer derzeit das eine oder andere Wechselbad. Sie weiß, dass sich die Konservativen und von Merkel allein Gelassenen nach einem neuen Kurs sehnen. Sie weiß zugleich, dass, wenn es überhaupt für eine Zweierkonstellation jenseits der SPD reichen soll, nur ein Bündnis mit den Grünen infrage kommt. Also präsentiert sie sich kurz nach dem Werkstattgespräch und dem Bruch mit Merkels Migrationspolitik in einem trauten Doppelinterview mit Katrin Göring-Eckardt, der grünen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag und Merkels grünem Pendant in der Migrationsfrage.

Keine Berührungsängste mit der Rüstungsindustrie

So schwappen die Emotionen der Konservativen und der Merkelianer derzeit hin und her. Der glühende AKK-Unterstützer im Kampf mit Merz, der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther, hält es mit einem Mal für geboten, AKK bei ihrem Bruch mit Merkels Flüchtlingspolitik zu widersprechen. Und im Netz kann man beobachten, wie leidenschaftliche Merz-Unterstützer vor allem unter den jungen CDU-Leuten plötzlich von Kramp-Karrenbauer angetan sind. Bis sich AKK dann im grünen Blazer schwesterlich mit Göring-Eckardt zeigt. Und so schwappt das heiße und das kalte Wasser in der CDU derzeit hin und her. Das Kalkül scheint dabei zu sein, dass sich die innerparteiliche Temperatur bei diesem Wogen und Schwappen wie in der Badewanne allmählich zu einer allgemein verträglichen vermischt.

Spricht man Kramp-Karrenbauer auf diese Schaukelpolitik an, verweist sie darauf, dass sie sieben Jahre Innenministerin des Saarlands war und dieses Amt ihre politische Grundhaltung sehr geprägt habe. „Das wird ganz oft übersehen“, sagt sie. Kramp-Karrenbauer kann überaus respektvoll von einem Hardliner wie dem früheren brandenburgischen Innenminister und Ex-General Jörg Schönbohm sprechen. Sie ist nicht nur aus Pflicht zu dessen Trauerfeier im Berliner Dom gegangen. Sie hat keine Berührungsängste mit der Rüstungsindustrie, steht dort auf dem Standpunkt: Besser wir liefern, auch an schwierige Staaten, als dass es andere tun. In ganz Europa ist zudem bemerkt worden, dass die neue CDU-Vorsitzende und nicht die Kanzlerin auf den jüngsten europäischen Weckruf des französischen Präsidenten mit einem eigenen Essay geantwortet hat.

Politische Duftmarken in Demmin

Darin hat sie nach dem gemeinsamen europäischen Kampfflugzeug auch gleich noch den Bau eines gemeinsamen europäischen Flugzeugträgers gefordert. Eine Kostprobe ihrer Andersartigkeit im Vergleich zu Merkel gab Kramp-Karrenbauer in deren Wohnzimmer zum Besten. Genauer gesagt in einer Tennishalle im vorpommerschen Demmin, in der Merkel 18 Jahre lang ihren politischen Aschermittwoch, nun ja, pflichtgemäß absolvierte. (So muss man es als Augenzeuge dieser allseits quälenden Veranstaltung wohl formulieren.) Kramp-Karrenbauer, als Putzfrau Gretel seit Jahren karnevalsgestählt und dieser Kultur zugeneigt, macht an diesem frühen Abend umgehend Schlagzeilen mit ihrem Spruch: „Wir sind das verkrampfteste Volk, das auf der Welt herumläuft.“ Eine Replik auf den Sturm der Empörung über ihren Toilettenwitz vom Narrengericht in Stockach.

Aber die politischen Duftmarken, die sie in Demmin setzte, waren eigentlich andere. Es sei in Ordnung, sich vegan zu ernähren, ruft sie in die Halle, in der ihre Worte scheppernd nachhallen. „Aber wir machen aus Fleischfreunden auch nicht die größten Verbrecher in diesem Land.“ Das Indianerverbot einer Hamburger Kita spießt sie auf, die härteste Passage aber transportiert keine Nachrichtenagentur, wiewohl ihr der Beifall an der Stelle sicherer ist als an jeder anderen. Kramp-Karrenbauer geht auf die Migranten ein und verweist auf den Fall, bei dem in Freiburg ein junges Mädchen Opfer einer Massenvergewaltigung von einem Dutzend Flüchtlingen geworden war: „Wer so etwas tut, der muss Deutschland verlassen und darf europäischen Boden nie wieder betreten.“

Noch hat AKK Freiheiten, bis sie Kanzlerin ist

Als Büttenredner von beachtlicher Könnerschaft erweist sich der Europapolitiker Werner Kuhn. „Ohne Witz“, knittelt er, „die Union hat ne Doppelspitz!“, seit AKK den Parteivorsitz übernommen habe: „Hier kann sie sich für neue Zeiten – aufs Kanzleramt schon vorbereiten.“ Anschließend preist er Angela Merkel, die sich um Deutschland verdient gemacht habe: „Danke, Frau Doktor Merkel!“ Dann stimmt der Saal pflichtschuldig ein „Hoch soll sie leben“ an. „Danke!“, das hat schon mal einer gesagt und ist damit Kanzler geworden. „Danke, Helmut“, sagte seinerzeit der Wahlkämpfer Gerhard Schröder, und setzte hinzu: „Es reicht.“ Der Zusatz klingt auch bei Werner Kuhn in Demmin unausgesprochen nach, wenn er die Hoffnung formuliert, dass Kramp-Karrenbauer „die Union wieder auf Vordermann bringt“.

Interessant ist das Wörtchen „wieder“. So wie in den Gesprächen mit Kramp-Karrenbauer das Wörtchen „noch“. Noch habe sie die Freiheit, als Putzfrau Gretel aufzutreten, was sie als Kanzlerin nicht mehr kann. Noch darf sie über sich selbst staunen, wenn sie auf Einladung des German Marshall Fund eine außenpolitische Rede hält und ihr Blick in der ersten Reihe auf Henry Kissinger fällt und sie sich insgeheim fragt, was sie eigentlich einem Henry Kissinger in außenpolitischen Fragen zu sagen habe.

„Noch“, sagt sie in solchen Fällen. „Noch“ heißt: Bis ich Kanzlerin bin. Natürlich hat sie dieses Ziel voll im Blick. In solchen Momenten hat sie diese mädchenhafte Unbekümmertheit, die auch die frühe Merkel ausgezeichnet hatte. Sie weiß zugleich, dass sich ihr Karrierefenster Ende des Jahres schließt. Sie muss die CDU gut durch die Wahlen dieses Frühjahrs und des Herbstes in den drei ostdeutschen Bundesländern bugsieren. Sonst wird sie eine Sternschnuppe bleiben.

Merkel könnte selbst den Schlusspunkt setzen

Der Umstand, dass die SPD ihr den Gefallen tut, sie als „Kanzlerin in waiting“ zu betrachten (und abzulehnen), kommt ihr zugute. Und auch die Frau, deren Macht von Tag zu Tag schwindet, weiß, dass sie ihrer Partei einen letzten Gefallen tun kann: ihrer Nachfolgerin den Amtsbonus der Kanzlerschaft für alle kommenden Wahlen zu sichern. Das wahrscheinlichste Szenario ist derzeit folgendes, das an den Machtwechsel 1982 erinnert: Die SPD tut der Union den Gefallen und verlässt entweder die Koalition oder zwingt die Union, diese angesichts nicht nachlassender Sozialstaatsforderungen der SPD aufzukündigen, um anschließend mit Jamaika einige Monate zwischenzuregieren – bei gleichzeitig angekündigter vorzeitiger Neuwahl.

Es gäbe eine dritte Variante: Auch Amtsinhaberin Angela Merkel könnte den Schlusspunkt setzen, ohne auf ein Zerwürfnis mit den Sozialdemokraten zu warten. Und sie könnte dies mit der Ansage verbinden, AKK solle ihr auch als Kanzlerin nachfolgen – um aus dem Amt heraus Wahlkampf machen zu können.

Seit jeher wird im Umfeld von Angela Merkel erzählt, es könne sehr gut sein, dass die Kanzlerin einen sehr subjektiven Anlass wählen werde, um ihre langjährige Kanzlerschaft zu beenden. Ihren Biografen Nikolaus Blome hat das schon vor einigen Jahren in einem Buch zu der Prognose geführt, dass sie an ihrem 61. Geburtstag aufhören werde. Das hat nicht gestimmt. Terminlich. Aber das Prinzip kann dennoch stimmen. Am 1. Juli dieses Jahres wird Angela Merkel 65 Jahre alt.

Dies ist ein Artikel aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.












 

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