Afghanistan-Krise - Die Kanzlerin hat abgedankt

Während Deutsche und deren afghanische Helfer in Kabul um ihr Leben bangen, geht Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Kino. Sie ist nicht mehr willens oder in der Lage, die Verantwortung als Regierungschefin zu übernehmen.

Angela Merkel bei der Filmpremiere am Montagabend / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

So erreichen Sie Daniel Gräber:

Anzeige

Bevor Angela Merkel am Montagabend die Premiere eines Dokumentarfilms über deutsche Politikerinnen besuchte, gab sie eine Pressekonferenz zur Lage in Afghanistan. Sie las vor den Fernsehkameras ein Statement vom Blatt ab, in dem sie das Scheitern des 20 Jahre dauernden Bundeswehreinsatzes, bei dem 59 deutsche Soldaten ums Leben gekommen waren, als „bittere Entwicklung“ bezeichnete. Sie sprach darüber in einem müden und unbeteiligten Ton, der im Kontrast zum Anlass und Inhalt der kurzen Rede stand. In der gleichen Art hätte sie auch die witterungsbedingte Absage eines Tages der offenen Tür im Kanzleramt verkünden können. Danach ging sie ins Kino.

Dass in Kabul nach wie vor Deutsche und deren afghanische Mitarbeiter um ihr Leben bangen, weil Merkels Regierung deren Evakuierung viel zu spät gestartet hatte, hinderte die Bundeskanzlerin nicht daran, dem Film „Die Unbeugsamen“ mit ihrer Anwesenheit bei der Erstvorführung mehr Aufmerksamkeit zu verleihen. Im Berliner Delphi-Filmpalast machte sie vor der Fotowand die Raute und sprach über die Widerstände, die Parlamentarierinnen in der alten Bonner Republik überwinden mussten – das Thema des Films. Afghanistan erwähnte sie auch. Dort müssten Frauen „in diesen Tagen und Stunden um ihr Leben fürchten, weil sie sich politisch engagiert haben“.

Die Kanzlerin verwaltet das Amt mit letzter Kraft

Diese beiden Auftritte Angela Merkels machten deutlich: Sie verwaltet das Amt noch mit letzter Kraft, ist aber nicht mehr willens oder in der Lage dazu, Verantwortung als Regierungschefin zu übernehmen. Der katastrophale Rückzug aus Afghanistan ist selbstverständlich nicht allein ihr anzulasten. Auch die USA und deren Alliierte haben unterschätzt, wie schnell die Taliban das Land zurückerobern würden und wie wenig ihnen die mit westlichen Milliarden ausgerüsteten und ausgebildeten afghanischen Soldaten entgegenzusetzen haben. Doch für die schleppende Reaktion der Bundesregierung auf die sich zuspitzende Situation vor Ort trägt deren Chefin die Verantwortung – ob sie es will oder nicht.

Weder Helmut Schmidt noch Helmut Kohl oder Gerhard Schröder wären an einem solchen Abend ins Kino gegangen. Merkels demonstrative Gleichgültigkeit passt allerdings zur ignoranten Haltung, die in weiten Teilen der deutschen Politik und Öffentlichkeit gegenüber dem zwei Jahrzehnte währenden Militäreinsatz am Hindukusch vorherrschte. Was deutsche Soldaten dort leisteten und riskierten, interessierte kaum jemanden. Stattdessen werden tatsächliche und vermeintliche Rechtsextremismus-Fälle innerhalb der Truppe zu angeblich staatsgefährdenden Skandalen aufgeblasen.

Kein Politiker empfing die heimkehrenden Soldaten

Als Ende Juni die letzten Bundeswehr-Einheiten aus Afghanistan nach Deutschland zurückkehrten, waren kein einziger Minister und kein Bundestagsabgeordneter zu Stelle, um sie zu empfangen und ihren Einsatz zu würdigen. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer war zu dem Zeitpunkt in den USA und behauptete, die „stille Rückkehr“ sei ausdrücklicher Wunsch der Truppe gewesen. Die Soldaten hätten so schnell wie möglich zu ihren Familien nach Hause gewollt.

Nachdem vor allem die Bild-Zeitung massiv Druck gemacht hatte, kündigte Kramp-Karrenbauer einen Großen Zapfenstreich vor dem Reichstagsgebäude an. Gemeinsam mit dem Bundespräsidenten, dem Bundestagspräsidenten und der Bundeskanzlerin solle des Einsatzes der Bundeswehr gedacht werden, „den bis zu 160.000 Soldatinnen und Soldaten für eine bessere Entwicklung Afghanistans geleistet haben“. Als Termin war der 31. August vorgesehen. Doch daraus wird angesichts der aktuellen Lage nichts.

Großer Zapfenstreich wird verschoben

Der Große Zapfenstreich werde verschoben, teilte Kramp-Karrenbauer am Samstag mit. „Für eine sachgerechte Bilanzierung und eine Würdigung ist vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Afghanistan jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Die volle Aufmerksamkeit gilt der Evakuierung der zu Schützenden.“ Denn während Bundeskanzlerin Merkel im Kino saß, waren erneut Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan unterwegs, um dort Landsleute und Ortskräfte zu retten.

Diese Evakuierungsmission ist eine der gefährlichsten, die die Bundeswehr je zu leisten hatte. Dass Merkel damit möglichst wenig zu tun haben will, spricht für ihr polittaktisches Gespür. Für sie als Staatsfrau spricht es nicht. Die Kanzlerin hat abgedankt.

Anzeige