AfD-Spitzenkandidatin - Alice im Populistenland

Die AfD hat auf dem Parteitag in Köln Alice Weidel und Alexander Gauland zu ihrem Spitzenduo für die Bundestagswahl gekürt. Weidel gilt als liberale Hoffnungsträgerin. Die Volkswirtin versucht, seriös zu bleiben – und erliegt doch der politischen Versuchung am rechten Rand. Ein Porträt

Es ist nicht immer leicht, den politischen Standort von Alice Weidel zu bestimmen / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Man sieht es Alice Weidel an, dass ihr die Frage nach Goldman Sachs nicht gefällt. Während einige Zuhörer in der Bibliothek des Konservatismus in Berlin nicken, strafft die Referentin genervt ihre Gesichtszüge. Die AfD-Politikerin ahnt, die Frage nach der Investmentbank, „von der das ganze Finanzsystem beherrscht wird und auch die Bundeskanzlerin“, ist heikel. Will ihr ein antisemitischer Verschwörungstheoretiker eine Falle stellen? Hinter der Bank stünde „eine Organisation“, davon gibt sich der Fragesteller überzeugt. Deren Ziel sei die „ethnologische Vernichtung“ Deutschlands durch Migration, „man hat das mehrfach gelesen“.

So geht es in diesen Tagen zu auf AfD-Veranstaltungen. Als Alice Weidel 2013 in die AfD eintrat, galt diese als honorige Partei liberaler Professoren und enttäuschter Konservativer. Bernd Lucke kämpfte an vorderster Front für eine andere Eurorettungspolitik und für mehr direkte Demokratie. Alice Weidel kämpfte an seiner Seite. Im Sommer 2015 verließ der Parteigründer die AfD, gescheitert an seiner Führungsschwäche, geschlagen im innerparteilichen Machtkampf und verhöhnt von den Islamhassern und den Deutschnationalen, die die AfD unterwandert hatten. Weidel blieb.

Werben für den Dexit

Sie kämpft weiter mit schneidiger Stimme gegen den Euro, flucht über die „Rechtsbrecherei in der EU“. Dass der europäische Währungsraum scheitern wird, davon ist die Volkswirtin überzeugt; der Dexit, der Austritt Deutschlands aus der Eurozone, sei der einzige Ausweg.

Mittlerweile gilt die 37-Jährige in der AfD als Hoffnungsträgerin. Sie ist bemüht, der Partei der alten Männer und zornigen Frauen ein frisches, junges Aussehen zu geben, und sie präsentiert sich in der Partei standhaft als Konservative und Liberale. Weidel spricht unter anderem Chinesisch und Japanisch. Sie reist als Beraterin von Start-up-Unternehmen beruflich um die ganze Welt und lebt in Überlingen am Bodensee mit ihrer Freundin in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, gemeinsam mit zwei Kindern. Als Beisitzerin ist sie im AfD-Vorstand vertreten. „Wir verschieben die parteipolitische Tektonik in Deutschland“, tönt sie, und wenn die AfD im September kommenden Jahres in den Bundestag einzieht, könnte Weidel eines der Gesichter der Partei werden.

FDP-Positionen mit Populismuseinschlag

Noch ist es nicht so weit, die AfD ist ein Haifischbecken, in dem jeder gegen jeden kämpft. Innerparteilich profiliert sich Weidel dabei als Gegenspielerin von Parteichefin Frauke Petry. Deren Plädoyer, den Begriff „völkisch“ wieder positiv zu besetzen, hält Weidel für „enorm schädlich“. Und sie warnt ihre Parteifreunde, „wir dürfen den Arm nicht nach rechts raushalten“. Auch den thüringischen Landeschef Björn Höcke betrachtet sie deshalb mit Argwohn. Dessen Gerede über das Reproduktionsverhalten von Afrikanern oder das Tausendjährige Reich nennt sie „inakzeptabel“. Auch wenn sie zugleich betont, „ich schätze Björn Höcke persönlich sehr“. So viel innerparteiliche Solidarität muss sein, vor allem solange in der AfD das Motto gilt, der Feind meines Feindes ist mein Freund.

Es ist allerdings nicht immer leicht, den Standort von Alice Weidel zu bestimmen. Mal klingt sie wie eine FDP-Politikerin. Etwa, wenn sie eine Rentenpolitik nach Schweizer Vorbild fordert, ein Einwanderungsgesetz und eine „drastische Absenkung der Einkommensteuer“. Aber gerne wechselt Weidel auch ins Populismusfach. Sie weiß das jubelnde Publikum auf ihrer Seite, wenn sie SPD-Chef Sigmar Gabriel vorwirft, er habe „nichts gelernt und nie gearbeitet“. Oder Politiker pauschal „unqualifizierte Leute“ nennt, die „über Dinge abstimmen, von denen sie keine Ahnung haben“.

Liebäugeln mit rechten Ideen

Zwar wird Weidel nicht müde, die bürgerlichen Wurzeln der AfD zu betonen. Aber dann erliegt sie doch der Versuchung, ihren eigenen Arm nach rechts rauszuhalten. In einem Zeitungskommentar nimmt sie Nicolaus Fest in Schutz. Der hatte kürzlich bei seinem Eintritt in die AfD die Schließung aller Moscheen in Deutschland gefordert. Nicht grundgesetzwidrig nennt sie den Vorschlag des Ex-Bild-Journalisten, sondern „zu kurz gedacht“. Die Religionsfreiheit sei ein „trojanisches Pferd“ und die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus eine „Scheindebatte“. Vermutlich ahnt Alice Weidel, dass eine fundamentale Eurokritik und eine liberale Steuerpolitik alleine nicht ausreichen werden, um die AfD in den Bundestag zu tragen.

Der Falle des Verschwörungstheoretikers geht Alice Weidel jedoch gekonnt aus dem Weg. Mit ein paar scharf formulierten Gegenfragen fordert sie den älteren Herrn stattdessen heraus. Warum solle gerade Goldman Sachs die Welt beherrschen? Welche Politiker kämen denn von der Bank? „Das interessiert mich einfach so“, sagt sie mit gespielter Naivität und bringt ihr Gegenüber ins Stottern. Um anschließend ganz allgemein über die Interessenkollision zwischen Staaten und Banken zu räsonieren. Dass sie selbst einmal in der Welt der Investmentbanken zu Hause war und für Goldman Sachs gearbeitet hat, verrät Weidel ihren Zuhörern allerdings nicht.

Dieser Artikel stammt aus der Dezemberausgabe 2016 des Cicero, die Sie in unserem Shop nachbestellen können.

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