Umgang mit der AfD - Landtagsvizepräsident von Ramelows Gnaden

In Thüringen wurde der AfD-Abgeordnete Michael Kaufmann zum Landtagsvizepräsidenten gewählt. Eine Stimme bekam er ausgerechnet vom Lieblingsfeind der Partei, Bodo Ramelow. Die Linke ist entsetzt. Dabei kommt Ramelows Coup genau richtig.

Kein Handschlag für Höcke, aber ein Ja zum AfD-Landtagsvizepräsidenten / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Jetzt also doch. Die AfD stellt in Thüringen einen Landtagsvizepräsidenten. Im zweiten Wahlgang haben die Abgeordneten Michael Kaufmann gewählt, und niemand anderes als der neugewählte Übergangsregierungschef Bodo Ramelow hat nach der geheimen Wahl verkündet, er habe ihm seine Stimme gegeben. Auf den ersten Blick überrascht das Bekenntnis des Vorzeige-Linken. Denn noch nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten hatte er Thüringens AfD-Chef Björn Höcke den Handschlag verweigert. Begründung: Der Frontmann des völkischen Flügels habe die Ministerpräsidentenwahl genutzt, um die Demokratie lächerlich zu machen und den etablierten Parteien eine „Leimspur zu legen“.

Auf den zweiten Blick folgt Ramelow damit aber einem klaren Kurs. Ausgrenzen, wer andere ausgrenzt. Das ist sein Credo. Die AfD besteht aber nicht nur aus Björn Höcke. Der Landtag kann nicht die ganze Fraktion dafür in Haftung nehmen, dass Höcke die BRD als Irrenhaus bezeichnet und die Regierung für geistig nicht zurechnungsfähig erklärt hat. Dass das der falsche Weg ist, hat das Hickhack um die Wahl des Bundestagsvizepräsidenten gezeigt. Mit Mariana Harder-Kühnel hatte der Bundestag 2019 schon die dritte Kandidatin durchfallen lassen.

Unwürdiges Theater um die Wahl des Bundestagsvizepräsidenten

Dabei gehört sie – genau wie Michael Kaufmann – nicht zu den Hardlinern in der Partei. Dass die Mehrheit der Abgeordneten sie auch im dritten Wahlgang durchfallen ließ, darf getrost als Versuch verstanden werden, der AfD einen Denkzettel zu verpassen. Taktisch war das eher unklug. Denn die Rechtspopulisten nutzen solche Manöver, um sich als Opfer zu stilisieren.

Nach der Geschäftsordnung steht der AfD wie allen anderen Fraktionen das Recht zu, einen Vizepräsidenten zu stellen. Dass es die etablierten Parteien der AfD unter dem Vorwand vorenthalten, die Abgeordneten seien bei der Abstimmung nur ihrem Gewissen verantwortlich, kann sie als Rechtsbruch werten. Diese Erfahrung wollte Ramelow dem Thüringer Landtag ersparen. Er wolle den Weg freimachen für die parlamentarische Teilhabe, die jeder Fraktion zugebilligt werden müsse, erklärte er.

Kritik von Rot-Rot-Grün 

Seine eigene Fraktion hat er damit vor den Kopf gestoßen. Auch von Abgeordneten der Grünen und der SPD wurde Ramelow massiv kritisiert. Trotzdem hat er genau richtig gehandelt. Und auch das Timing für sein Bekenntnis ist perfekt. Nach dem Terroranschlag von Hanau steht die AfD vor der Zerreißprobe. Das hat der offene Brief gezeigt, den der neue Parteivorsitzende Tino Chrupalla kurz vor der Hamburg-Wahl an die Parteimitglieder geschickt hatte. Es war der Versuch, zu retten, was noch zu retten war. Es war ein Aufruf zur Selbstreflexion.

Die AfD sollte sich fragen, wie es dazu kommen konnte, dass die anderen Parteien ihr eine Mitschuld an den Morden geben konnten. Neun der Opfer hatten einen Migrationshintergrund. In einem Bekennerschreiben hatte der Täter seinen Hass auf Ausländer als Motiv angegeben. Die AfD musste sich die Frage gefallen lassen, ob sie mit Hassreden über „alimentierte Messermänner“ oder „Kopftuchmädchen“ nicht dazu beigetragen hat, den Weg für die Gewalt zu bereiten. Die Mehrheit der Mitglieder hat das empört von sich gewiesen.

Kalkulierter Tabubruch oder Bekenntnis zur Demokratie? 

Lange wird sich die Partei der Auseinandersetzung mit der verbalen Hetze in den eigenen Reihen aber nicht mehr verschließen können. Nach Informationen von WDR, NDR und SZ ist das Bundesamt für Verfassungsschutz zu dem Schluss gekommen, dass der „Flügel“, derzeit nur als Verdachtsfall eingestuft, beobachtet werden soll. Insider schätzen, dass dem Flügel ein knappes Drittel der Parteimitglieder angehören. Schon geht in der AfD die Angst um, dass jetzt scharenweise Mitglieder austreten. Die Partei muss sich entscheiden: Setzt sie den Kurs des kalkulierten Tabubruchs fort, manövriert sie sich früher oder später ins Aus. Im Grunde genommen bleibt ihr keine andere Wahl, als auf Chrupallas Kurs einzuschwenken.

Vor diesem Hintergrund kommt das Bekenntnis von Ramelow genau richtig. Indem er der Partei zu ihrem Recht verhilft, den Landtagsvizepräsidenten zu stellen, raubt er den Mitgliedern die Angriffsfläche, denen es wie Höcke nur darum geht, die Demokratie verächtlich zu machen. Sich von diesen Hardlinern zu trennen, wird für die Partei zur Überlebensfrage.  

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