AfD-Parteitag - Die Zukunft der AfD heißt Alice Weidel

Tino Chrupalla ist wohl trotz seiner heutigen Wiederwahl bereits wieder Geschichte. Das kommende Gesicht der AfD heißt eindeutig Alice Weidel. Nur einer könnte ihr die Führungsrolle am Ende noch streitig machen: Björn Höcke. Deswegen dürfte es kein Zufall sein, dass er sich aktiv an den Parteitagsdebatten beteiligte.

Die Machtauseinandersetzung hat Weidel diesmal noch nicht gesucht, aber der Boden ist bestellt / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Die Zeiten für die AfD waren schon einmal besser: Bei neun Wahlen allein in 2021 und 2022 hat sie nunmehr an Zustimmung verloren und ihren Platz im Parlament teils ganz räumen müssen. Dabei waren die Rahmenbedingungen eigentlich gar nicht schlecht: Als Protestpartei nährt sich die AfD vor allem von gesellschaftlichen Krisen. Wenn sie ausbleiben, versiegt ihr gesellschaftlicher Rückhalt.

Gelang es der AfD insbesondere infolge der Flüchtlingskrise Mitte des letzten Jahrzehnts Stimmung zu machen und Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, hätte die sich anschließende Corona-Krise der Rechtspartei einen zweiten Frühling bescheren können. Aber daraus wurde trotz aller Corona-Proteste nichts.

Der eigentlich Grund dafür ist in der Partei selbst zu suchen. Auch neun Jahre nach ihrer Gründung hat sie sich organisatorisch, programmatisch und strategisch nicht konsolidieren können. Noch immer prägen politische Konflikte bis tief in die persönliche Verfeindung hinein das Bild der AfD auch nach außen.

Chrupalla: „Merz ist kein Patriot, er will den Weltkrieg“,

Mit dem Rückzug Jörg Meuthens von der Führungsspitze der AfD und aus der Partei selbst wurde Anfang dieses Jahres ein neuer Höhepunkt in den parteiinternen Auseinandersetzungen zwischen den Konservativen und den Radikalen erreicht. Der Wirtschaftsprofessor strich die Segel, weil er keine stabilen Mehrheiten gegen seine parteiinternen Gegner insbesondere aus dem Osten mehr zustande brachte. Die ehemalige Unionsabgeordnete Erika Steinbach nahm das ihrerseits zum Anlass, der AfD beizutreten, wie sie auf dem Parteitag bekannt gab.

Seit Meuthens Rückzug führt der Maler und Lackierer Tino Chrupalla aus Görlitz die rechtspopulistische Partei. Und das offenbar mit nicht allzu viel Erfolg. Mit nur rund 54 Prozent konnte er sich heute gegen den Bundestagskollegen Norbert Kleinwächter bei der Wahl zum ersten Parteivorsitzenden durchsetzen. Das dürfte auch daran gelegen haben, dass der alte und neue Vorsitzende auf Fragen der Mitglieder mitunter nicht nur hemdsärmelig, sondern direkt unbeholfen reagierte.

Während es Chrupalla schwer fiel, eigene Ideen für die Zukunft der Partei zu formulieren, lenkte er seine ganze Energie in den Angriff auf den politischen Gegner um. Insbesondere auf Friedrich Merz hatte er es dabei abgesehen: „Merz ist kein Patriot, er will den Weltkrieg“, rief er etwas unvermittelt in den Parteitagssaal. Es sind wohl auch solche nicht unbedingt als Glanzleistungen bewertbaren Entgleisungen, die bei West-AfDlern Zweifel wecken dürften. Und zwar nicht nur an bestimmten politischen Inhalten, sondern auch an der Kompatibilität der kulturellen Milieus der Partei.

Die Doppelspitze passt nicht zur AfD

Aber wahrscheinlich ist Tino Chrupalla trotz seiner heutigen Wiederwahl bereits wieder Geschichte. Das kommende Gesicht der AfD heißt eindeutig Alice Weidel. Gemeinsam mit Chrupalla führt sie seit ein paar Monaten die AfD-Bundestagsfraktion und seit heute auch die Partei. Als zweite Vorsitzende konnte sie mit ihrer Rede nicht nur für deutlich mehr Begeisterung bei den Delegierten sorgen, sondern fuhr auch ein besseres Ergebnis als Chrupalla ein - und das trotz einer Gegenkandidatur von Nikolaus Fest, der sich der Partei als „sanfter Diktator“ anempfahl.

Weidel konzentrierte sich in ihrer Rede auf die strategische Ausrichtung und tat damit das, was eigentlich von Chrupalla zu erwarten gewesen wäre. Die AfD sei eben eine Partei, die von der gesellschaftlichen Krise lebe. Ob Flüchtlingswelle, Corona-Pandemie oder drohende Dauerinflation - dies alles biete der AfD eigentlich besten Nährboden, wenn, ja wenn sie selbst ein vernünftiges Erscheinungsbild gewährleiste. „Nichts hasst der Wähler mehr als eine Partei, die mit sich selbst beschäftigt ist. Das muss abgestellt werden“, ermahnte sie deshalb die Delegierten. Und das kam an. Der Bundestagsabgeordnete Stephan Brander, der ebenfalls erfolgreich für den Bundesvorstand kandidierte, lieferte später mit Hilfe Martin Luthers noch eine prosaische Übersetzung für Weidels Appell: „Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz. Lasst uns fröhliche Furze werden!“

Die Machtauseinandersetzung hat Weidel diesmal noch nicht gesucht, aber der Boden ist bestellt. Bereits am gestrigen Tage hat die AfD einen Beschluss gefasst, wonach der Vorsitz künftig alternativ von einer oder zwei Personen ausgeübt werden kann. Der Hintergrund für diese Satzungsänderung: Eigentlich passt eine Doppelspitze nicht recht zu einer Partei, die sich gern als konservativ inszeniert. Auch die hierdurch ungeklärte Führungsstruktur dürfte die parteiinternen Probleme der letzten Jahre mitverursacht haben. Deshalb soll die Doppelspitze eigentlich weg, endgültig aber erst auf dem nächsten Parteitag. Für weitreichendere Schritte ist die Lage noch zu ungeordnet. Eine heutige Zuspitzung auf eine Einzelspitze hätte die AfD vermutlich in tiefe personelle Auseinandersetzungen verstrickt.

Höcke hat Weidels Karriere vorbereitet

Alice Weidel muss jetzt eigentlich nur noch abwarten. In zwei Jahren wird ihr dann die Macht wie von selbst in den Schoß fallen. Wenn sie denn will. Kaum vorstellbar nämlich, wie es Tino Chrupalla gelingen soll, eine aus dem Westen der Republik bildungsbürgerlich drängende konservative Partei auf Dauer zufrieden zu stellen. Dafür fehlt ihm schon das erforderliche kulturelle Kapital.

Nur einer könnte Weidel die Führungsrolle am Ende noch streitig machen, und das ist der Landtagsabgeordnete Björn Höcke aus Thüringen. Und es war sicher auch kein Zufall, dass er sich am gestrigen Abend sehr aktiv an den Parteitagsdebatten beteiligte. Sogar der Antrag, der letztlich die Abschaffung der Doppelspitze einleiten soll, geht auf Höcke zurück und wurde auch von ihm selbst eingebracht. Er erhielt eine satte Mehrheit von 70 Prozent.

Auch für ihn käme aber eine sofortige Entscheidungsschlacht zu früh. Noch ist er zu umstritten, noch ist die Lage in der Partei zu ungeordnet. Chrupalla muss erst offensichtlich scheitern und die AfD noch etwas mehr unter Druck geraten, bevor Höcke ihn ohne zu großen Widerstand aus dem Westen beerben kann. Die Machtfrage schon heute zu stellen, hätte die bestehenden Gräben innerhalb der Partei eher noch vertieft, anstatt sie zuzuschütten. Wahrscheinlicher allerdings ist, dass Björn Höcke an diesem Wochenende gar nicht seine eigene Karriere vorbereitet hat, sondern die von Alice Weidel. Wider Willen!

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