AfD-Parteitag - Die Selbstzerstörung der AfD

Noch gestern hatte die AfD sich auf ihrem Parteitag in demonstrativer Einigkeit präsentiert. Am heutigen Sonntag folgte eine radikale Selbstzerstörung, nach der wohl kaum noch jemand ernsthaft an diese Partei glauben dürfte. Die AfD hat mit dem Hintern wieder eingerissen, was sie am gestrigen Tage mühevoll aufgebaut hatte, schreibt Mathias Brodkorb.

Für AfD-Rechtsaußen Björn Höcke ist Putins „Spezialoperation“ nur ein „Konflikt“ / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Es hätte so schön werden können für die AfD. Nachdem die Wahl des neuen Bundesvorstandes am gestrigen Tage ziemlich harmonisch verlaufen war, versanken die Rechtspopulisten heute jedoch im vollständigen Chaos. Gegenstand der Auseinandersetzung war ein europapolitisches Papier, das vom Rechtsaußen Björn Höcke höchst persönlich eingebracht worden war. Kern das Dokumentes: die „einvernehmliche Auflösung der EU“ und die „Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft“, in der die nationale Souveränität der Mitgliedsstaaten gewahrt bleiben solle.

Aber nicht nur der Gegensatz zwischen Globalismus und einem „Europa der Vaterländer“, wie ein Delegierter den ehemaligen Präsidenten Frankreichs, Charles de Gaulles, emphatisch zitierte, war Kern der Auseinandersetzung. Im Zentrum der Debatte stand vielmehr die Tatsache, dass in dem Dokument mit Blick auf die Ukraine nicht von einem „Krieg“, sondern bloß von einem „Konflikt“ die Rede war. Insbesondere diese Wortwahl brachte Delegierte von West-Verbänden auf die Palme. Das klang für manchen ungefähr so, als stünde die AfD auf der Seite von Putins „Spezialoperation“.

Nachdem Höcke den Beschlusstext kurz und knapp eingebracht hatte, antwortete darauf die neue, zweite Vorsitzende der Partei und größte parteiinterne Konkurrentin Höckes, Alice Weidel. Sie fände den Beschlusstext ja gar nicht schlecht, er gehe „in die richtige Richtung“, sei aber stellenweise einfach zu verschwurbelt. Sie schlug daher vor, den Text noch einmal „sprachlich und inhaltlich zu überarbeiten“.

Ein „toxischer“ Text, der „wie ein Mühlstein am Hals“ hängt

Was auf diese Intervention folgte, näherte sich der Selbstzerstörung der „Alternative für Deutschland“. Stundenlang malträtierten sich Delegierte aus Ost und West mit Änderungsanträgen, Anträgen zur Geschäftsordnung sowie Fürsprachen und Gegenreden. Mehr als einmal stand das Tagungspräsidium kurz davor, die Kontrolle über die Veranstaltung zu verlieren. Das gegenseitige Misstrauen war am Ende sogar so groß, dass eine Mehrheit der Delegierten dem Tagungspräsidium das Vertrauen entzog: Alle Abstimmungen sollten demnach nur noch elektronisch vollzogen werden, um Manipulationsmöglichkeiten durch die Parteispitze auszuschließen. Was dann auch geschah.

Der von Höcke vorgeschlagene Beschlusstext sei im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine „verharmlosend“ und es sei genau das, was die westdeutschen Landesverbände gegenüber den Wählern „richtig in die Bredouille“ bringe, so ein weiterer Delegierter. Ein anderer wies mahnend darauf hin, dass sich auch die AfD demnächst in Niedersachsen einer Wahl stellen müsse. Ein weitere Delegierter hielt aus demselben Grund den zur Abstimmung stehenden Text sogar für „toxisch“ und prophezeite, dass er der Partei „wie ein Mühlstein am Hals“ hängen würde. Es handele sich bloß um ein Bekenntnis der eigenen „internen Blase“.

Der alte und neue Vorsitzende Tino Chrupalla versuchte es zwischenzeitlich mit einem vermittelnden Vorschlag. Man könnte den Antrag doch an den Bundesvorstand und entsprechende Fachgremien verweisen und dann einfach demnächst einen Beschluss fassen, der von einer breiten Mehrheit getragen würde. Aber der alte und neue Vorsitzende erlitt eine denkbar knappe Niederlage. Sein Vorschlag wurde mit 50,24 zu 49,76 Prozent aller Delegiertenstimmen abgelehnt.

Die Westverbände wollen keine „Lega-Ost“

Also ging es weiter in der Selbstzerfleischung der AfD. Es folgte Geschäftsordnungsantrag auf Geschäftsordnungsantrag, Änderungsantrag auf Änderungsantrag und Fürsprache auf Gegenrede. Immer weiter verstrickte sich die AfD in die Selbstzerstörung.

Einen letzten Versuch der Entscheidung des Konflikts unternahm Maximilian Krah. Der Jurist und Europaabgeordnete, der erst kürzlich als Oberbürgermeisterkandidat in Dresden krachend gescheitert war, innerhalb der AfD allerdings trotz seiner Sympathien für den rechten Rand der Partei sehr angesehen ist, wollte auf dem Parteitag eine Entscheidung herbeiführen. Dieser sei doch mehr dazu berufen, über die „Leitlinien der Politik“ zu entscheiden als der Vorstand, ermahnte er die Delegierten. „Man muss abstimmen, egal wie es ausgeht“, rief er seinen Parteikollegen zu. Aber auch er konnte der Veranstaltung keine machtpolitische Wendung geben.

Machte es anfangs noch den Eindruck, als würde der Parteitag notfalls seinem neugewählten Bundesvorstand in den Rücken fallen und das Höcke-Papier bestätigen, wurden die Einwände immer stärker. Den vorgeschlagenen Beschluss zu bestätigen, so ein Delegierter, laufe auf eine „grobe Schädigung unserer Partei“ hinaus. Das gelte jedenfalls „für alle, die auch im Westen Erfolg haben wollen“. Die AfD könne nicht erfolgreich sein, wenn sie sich selbst auf eine „Lega-Ost“ reduziere.

Das Kernproblem brachte schließlich Horst Förster auf den Punkt. Der ehemalige Richter und AfD-Landtagsabgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern gehört zu den besonnenen, konservativen Stimmen der rechtspopulistischen Partei. Angesichts des Verlaufes der Debatte warnte er davor, dass sich die AfD am Ende vor der Öffentlichkeit „blamieren“ werde. „Kann man dieser Partei“, so fragte er den Parteitag am Rande der Verzweiflung stehend, „die gestern die Einigkeit noch beschworen hat, die sich heute so darstellt, kann man die noch wählen?“

Das gestern Aufgebaute wurde heute mit dem Hintern eingerissen

Tino Chrupalla, der alte und der neue Vorsitzende der AfD, unternahm schließlich einen letzten Versuch, die totale Blamage abzuwenden. Mit rund einem halben Dutzend Landesvorsitzender trat er an das Rednerpult, um seinen ursprünglichen Vorschlag auf Vertagung der Entscheidung nach ermüdender Debatte noch einmal zur Abstimmung zu stellen. Dazu mag ihn auch motiviert haben, dass er seinen ursprünglichen Antrag nur mit einem Abstand von 0,48 Prozent der Stimmen verloren hatte.

Und tatsächlich: Zumindest einer Handvoll von Delegierten war im Rahmen der Debatte offenbar aufgegangen, dass die AfD dabei war, mit dem Hintern wieder einzureißen, was sie am gestrigen Tage mühevoll aufgebaut hatte. Für die Verweisung des Antrages an den Bundesvorstand und seine Fachgremien erhielt Chrupalla nun ganze 57 Prozent der Stimmen, für das sofortige Ende des Parteitages stimmte wenig später nur ein Prozent weniger. Wer sich am Fortgang der Debatte allerdings nicht mehr beteiligte, das waren Alice Weidel und Björn Höcke, die beiden Hauptkonkurrenten um die Macht in der AfD. Tino Chrupalla, der schwache Vorsitzende aus dem Osten, hatte damit einen Punkt gemacht.

Noch gestern hatte die „Alternative für Deutschland“ auf ihrem Parteitag selbstbewusst verkündet, sie sei die einzige Partei, von der sich das danieder liegende Deutschland Rettung, einen klaren Kurs und eine Lösung der fundamentalen gesellschaftlichen Probleme erhoffen dürfe. Nach der Selbstzerstörung des heutigen Tages sang man zum Abschluss eher bekenntnishaft und etwas trotzig die deutsche Nationalhymne. Aber die Zahl derjenigen AfD-Mitglieder, die in dieser Hinsicht noch ernsthaft an die eigene Partei glauben, dürfte deutlich kleiner geworden sein.

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