Online-Pranger der AfD - „Natürlich dürfen Lehrer ihre politische Meinung äußern"

Die AfD richtet Internetportale ein, auf denen Schüler Lehrer anschwärzen sollen, die sich im Unterricht kritisch über die AfD geäußert haben. Schulleiter Uwe Böken wurde schon übers Internet denunziert. Er fordert die Politik auf, ein Verbot der Portale zu prüfen

Bitte melden: Die AfD ruft Schüler dazu auf, Lehrer im Internet anzuschwärzen, die ihre politische Meinung äußern / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Uwe Böken leitet die Anita-Lichtenstein-Gesamtschule im nordrhein-westfälischen Geilenkirchen. In NRW hat die AfD noch kein Meldeportal eingerichtet. Bislang gibt es diesen Online-Pranger in Hamburg, Bremen und Baden-Württemberg. Auch in Berlin ging ein Beschwerdeportal“ online. Geplant ist es aber auch in Brandenburg, Bayern, Sachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern.  

Herr Böken, schon heute besteht die Möglichkeit, Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Lehrer zu erstatten, die versuchen, Schüler politisch zu indoktrinieren. Wozu braucht man da noch Internetportale, auf denen sich auch schon Schüler registrieren können?
Die Frage stelle ich mir auch. So ein Portal hat Denunziationscharakter. Es fördert Maßnahmen, die totalitären System zugeschrieben werden. In der DDR war es die Stasi, die Kritiker des Systems denunziert hat. Im Dritten Reich war es die Gestapo. 

Sie haben im März eine Dienstaufsichtsbeschwerde eines AfD-Bundestagsabgeordneten bekommen, weil Sie sich in einem WDR-Interview kritisch über seine Partei geäußert haben sollen. Was genau ist passiert?
Unsere Schule wurde nach Anita Lichtenstein benannt, einem jüdischen Mädchen, das im Alter von neun Jahren von den Nationalsozialisten umgebracht wurde. Dieser Name ist für uns Auftrag. Wir machen immer wieder Veranstaltungen zu dem Thema. Anfang März war Esther Bejarano bei uns zu Gast, eine der letzten Überlebenden des Auschwitzer Mädchen-Orchesters. Darüber hat der WDR berichtet. In einem Interview habe ich gesagt, dass es seit der letzten Bundestagswahl wieder rechtsextreme Abgeordnete im Deutschen Bundestag gibt.

Aber Sie haben die AfD nicht namentlich genannt? 
Richtig, und genau das ist der Punkt. Ein Aachener AfD-Bundestagsabgeordneter hat diesen Satz auf sich bezogen. Dabei ist diese Aussage in dem Moment richtig, wo es einen Abgeordneten im Bundestag gibt, der rechtsextreme Gedanken geäußert hat. Denken Sie nur an den vielzitierten „Vogelschiss“ von Alexander Gauland. 

Wenn Sie die AfD nicht erwähnt haben, worüber hat sich der Abgeordnete dann beschwert?
Er hat Dienstaufsichtsbeschwerde bei der Bezirksregierung in Köln mit dem Hinweis eingereicht, ich hätte gegen die Neutralitätspflicht verstoßen. Erfahren habe ich das aber nicht zuerst von der Bezirksregierung, sondern von einem Bekannten. 

Woher wusste er das?
Aus dem Internet. Der besagte AfD-Abgeordnete hatte gar nicht erst die Entscheidung meines Dienstherrn abgewartet. Er hat seine eigene Facebook- und Twitter-Seite dazu benutzt, um den 1:1-Wortlaut dieser Dienstaufsichtsbeschwerde unter Nennung meines Namens und mit Bundesadler oben drüber online zu stellen. 

Ist das noch Denunziation – oder schon Verleumdung?   
Es ist erstmal eine unwahre Tatsachenbehauptung, solange der Dienstherr nicht der Kritik des Abgeordneten gefolgt ist. Wenn der Mann der Meinung war, ich hätte gegen die Neutralitätspflicht verstoßen, dann hätte er schreiben müssen ... 

... ich bin der Meinung, dass .... 

Genau. Er hat die Beschwerde aber als Tatsache ins Internet gestellt. Ich habe über meinen Anwalt Strafanzeige erstattet. Ich habe auch mit dem Bundesamt für Justiz Kontakt aufgenommen, das ist die Aufsichtsbehörde für das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Danach sind die Plattformbetreiber verpflichtet, solche Dinge zu entfernen – und zwar zeitnah. 

Und, hatten Sie Erfolg?
Ja und Nein. Das Bundesamt für Justiz hat mir bestätigt, dass es sich um eine unwahre Tatsachenbehauptung handelte. Dass also der Abgeordnete genau das gemacht hat, was er mir vorgeworfen hatte. Dabei war es bei mir ja noch fraglich, ob der Vorwurf zutraf. 

Das heißt, er hatte Fakten geschaffen?
Genau, das Bundesamt für Justiz hat die Angelegenheit an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Nicht nur von mir ist Strafanzeige erstattet worden, auch vom Bundesamt. Am Ende ist die Dienstaufsichtsbeschwerde aber erst vor einigen Tagen aus dem Internet verschwunden – also erst nach sechs Monaten. 

Immerhin haben sich die Behörden hinter Sie gestellt. Das scheint eher die Ausnahme zu sein. Ein anderer Lehrer aus Bremen, den wir schon für ein Interview angefragt hatten, durfte sich nicht zu dem Thema äußern, weil ihm sein Dienstherr einen Maulkorb verpasst hatte. Bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) heißt es, die meisten Lehrer seien unsicher, wie sie sich in einem solchen Fall verhalten sollen.  
Ich habe Glück gehabt. Mein Dienstherr, die Bezirksregierung, hat die Dienstaufsichtsbeschwerde sehr schnell zurückgewiesen und dem Abgeordneten mitgeteilt, dass das, was ich gesagt habe, abgedeckt ist durch mein  grundgesetzliches Recht auf freie Meinungsäußerung. 

Was hätten Sie gemacht, wenn sich die Bezirksregierung nicht hinter Sie gestellt hätte?
Dann hätte ich abgewartet. Ich hätte ein Disziplinarverfahren und eine Verwarnung bekommen. Und ich hätte trotzdem einen Anwalt bemüht, um gegen diese Online-Veröffentlichung der Dienstaufsichtsbeschwerde vorzugehen. 

Sie klingen nicht, als könnte Sie das erschüttern. Sie sind aber auch ein erfahrener Lehrer. Können Berufsanfänger das genauso cool wegstecken? 
Ich hab noch ein paar Jahre, dann gehe ich in den Ruhestand. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, was in den Köpfen jüngerer Kollegen vorgeht. Ich habe ja auch  einige an meiner Schule. Vielleicht sehen sie ihr berufliches Fortkommen behindert, wenn sie zu ihrer Überzeugung stehen. Aber: Wir dürfen nicht mit dem Finger auf die Kollegen zeigen, die im letzten Jahrhundert vor 1933 nichts gesagt und zugeschaut haben und die Frage stellen: Warum hat niemand etwas getan? Und heute machen wir fast genau das Gleiche. Wir schauen einer gesellschaftlichen Entwicklung zu, die eigentlich einen Aufschrei zur Folge haben müsste. Die Parallelen zur Weimarer Republik sind unübersehbar. Wir laufen Gefahr, dieselben Fehler zu begehen, die wir damals gemacht haben. 

Vor diesem Hintergrund ist ein Neutralitätsgesetz aber doch wichtig. Es ist Bestandteil des Beutelsbacher Konsenses, der 1976 erlassen wurden. Was hat sich die damalige Bundesregierung dabei gedacht?
Es war eine Reaktion auf den Radikalenerlass von 1972. Der war einen Schritt zu weit gegangen, weil er erstmal alle Junglehrer unter Extremismusverdacht gestellt hat. Der Beutelsbacher Konsens hat das wieder auf eine vernünftige Grundlage gestellt. Wenn ein Lehrer seine eigene politische Auffassung kundtut, heißt das nicht, dass er dadurch schon indoktriniert. Das tut er erst dann, wenn er keine andere Position gelten lässt. 

So hat es Ihr Dienstherr, die Bezirksregierung, jetzt auch in der Begründung für die Zurückweisung der Dienstaufsichtsbeschwerde geschrieben. Wie hat er die Neutralitätspflicht definiert? 
Dass Neutralitätspflicht nicht bedeutet, dass man als Lehrer keine politische Meinung äußern darf. Das ist der springende Punkt. Politische Kontroversen müssen auch im Unterricht als solche dargestellt werden. Man muss Gegenpositionen benennen dürfen. Man muss aber nicht als Neutrum durch die Gegend laufen. 

Trotzdem ist es ein schmaler Grat: Wo hört die eigene Meinung auf, wo fängt die Beeinflussung an?
Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten. In dem Moment, wo ein Lehrer seine eigene politische Überzeugung kundtut, hat er noch nicht gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Ein Verstoß ist es erst dann, wenn er andere Meinungen von Schülern nicht gelten lässt. Er kann darüber diskutieren in der Schule. Das ist auch gut so. Denn nur so kann ich erreichen, dass aus Schülern auch wirklich mündige Staatsbürger werden.

Ist denn die AfD im Politikunterricht ein Thema?
Natürlich, die Kollegen sind angehalten, Bezüge in die Lebenswelt der Schüler herzustellen – und zwar nicht nur im Politik-Unterricht. Weil das nämlich das Begreifen befördert. 

Aber es ist doch das gute Recht von Eltern, zu intervenieren, wenn sie den Eindruck haben, dass Lehrer ihre Grenzen überschreiten. 
Ich habe ja auch nichts dagegen, dass jemand eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen mich erstattet,  weil er der Meinung ist, ich hätte gegen dieses Neutralitätsgebot verstoßen.  Das steht jedem zu. Aber dann muss man es auch akzeptieren, wenn die Beschwerde abgelehnt wird. Und das hat der AfD-Abgeordnete nicht getan. 

Warum?
Er hat über die Kölner Regierungspräsidentin, die die Beschwerde zurückgewiesen hatte, Fachaufsichtsbeschwerde bei der Schulministerin in Düsseldorf eingereicht. Soweit ich weiß, wurde diese Beschwerde jetzt aber wieder zurückgezogen. 

Die AfD behauptet, dass die Mehrheit der Lehrer links oder links-grün sei. Die Meldeportale sollen ein Gegengewicht schaffen. 
Es ist völliger Unsinn, dass es nach 1968 – ich überspitze es jetzt mal – nur Linksradikale im Lehrerberuf gegeben haben soll. Sie können doch nicht von jetzt auf gleich das ganze Personal austauschen.  Das ist 1968 auch nicht passiert. Im Gegenteil: Es hat Bundesländer gegeben, in denen genau geschaut wurde, ob Junglehrer Bezüge zum radikalen Umfeld hatten. Solche Leute wurden gar nicht erst eingestellt. Stichwort: Radikalen-Erlass. 

Schulpolitik ist Ländersache. Für übergreifende Angelegenheiten  ist die Kultusministerkonferenz (KMK) zuständig. Die hat sich auf ihrer jüngsten Tagung kritisch mit diesen Meldeportalen beschäftigt. Was erwarten Sie jetzt von der KMK?
Ich erwarte von der KMK, dass sie betroffenen Kollegen den Rücken stärkt. Soweit ich gehört, soll das jetzt auch passieren. Auch die Bundesjustizministerin hat  sich in dieser Richtung dazu geäußert. Ich fand das richtig so. Aber der Protest darf sich nicht in einer Floskel vor der Kamera erschöpfen. Der muss in der Schule spürbar werden. 

In welcher Form? 
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass diese Plattformen so, wie sie betrieben werden, mit unserem Recht vereinbar sind. Ich hab im Frühjahr hunderte Emails zur neuen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bekommen. Mich würde interessieren, wie sieht ein Fachjurist diese Plattform – nur mit Blick auf diese DSGVO? Wenn das kollidiert, erwarte ich, dass diese Portale verboten werden. 

Weil die Namen der angeschwärzten Lehrer für jeden sichtbar sind?
Natürlich. Ich habe jede Menge Emails bekommen, nicht nur von Unterstützern, auch aus der anderen Richtung. Ein anonymer Absender hat geschrieben: „Da kann man nur hoffen, dass es eine Namenliste gibt, wo auch Sie draufstehen. Diese wird dann, wenn die richtigen anständigen Leute an der Macht sind, abgearbeitet.“ 

Was schließen Sie daraus?
Dass ich mit dem, was ich befürchte, nicht falsch liege. Hier wiederholen sich Dinge, die im vergangenen Jahrhundert abgelaufen sind. Und alle schauen zu. 

Was raten Sie Kollegen, die jetzt über die Portale angeschwärzt wurden: Wie sollen die sich verhalten?
Ich würde sofort Kontakt zu einem qualifizierten Rechtsanwalt aufnehmen und Strafanzeige wegen übler Nachrede erstatten –  und zwar nicht nur gegen den Plattformbetreiber, sondern unbekannterweise auch gegen den, der die Denunziation zu verantworten hat. 

Aber den Anwalt müssen die Lehrer aus eigener Tasche bezahlen?
Wem das wichtig ist, der muss in den sauren Apfel beißen.

In Hamburg  haben Lehrer den Server des Meldeportals der AfD mit Spam-Mails, Pizza-Bestellungen oder Selbstanzeigen lahmgelegt. Ist das der richtige Weg, um sich zu wehren? 
Ja. Das ist genau die Antwort, die an dieser Stelle gegeben werden muss:  Dass man nicht bereit ist, sich das bieten zu lassen. 

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